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Wolfgang Amadeus Mozart hinter ließ sein Requiem als gewaltigen Torso. An dere haben es nach seinem Tode, zunächst im Dunkel der Anonymität, vollendet. Die Ge schichte der Werkentstehung wurde nach Mo zarts Tod phantastisch ausgeschmückt, um ei nen höchst prosaischen Sachverhalt zu ver schleiern: Franz Graf von Walsegg Stuppach, ein reicher Musikliebhaber, kompositorisch sehr ehrgeizig, aber ohne Talent, pflegte sich bei namhaften Komponisten Werke zu bestellen, die er abschrieb und für seine eigenen aus gab. Mozart hatte er durch einen Boten den Auftrag für ein Requiem gegeben. Depressive Todesahnungen, hervorgerufen durch Überar beitung und seinen äußerst bedenklichen Ge sundheitszustand, hatten ihn mehrfach äußern lassen, daß er es für sich zu schreiben meinte: „Immer sehe ich den Tod vor mir, er bittet, er drängt mich, ungeduldig fordert er die Arbeit von mir. Ich setze sie fort, weil mich das Kom ponieren weniger ermüdet als Ruhe. Sonst habe ich ja vor nichts mehr zu zittern. Ich fühle es, mein Zustand sagt es mir: Die Stunde schlägt! Ich werde sterben müssen. Ich bin zu Ende, ehe ich mich meines Talents erfreuen durfte." Mozart konnte das Opus nicht vollenden, er starb über der Komposition an seiner Toten messe. Im Sommer 1791 hatte er das Werk be gonnen. Arbeiten an der „Zauberflöte" und am „Titus“ bedingten Unterbrechungen. So hinter ließ Mozart bei seinem Tode nur Introitus, Ky rie, Sequenz und Offertorium. Teile hinterließ Mozart in vollständiger Partitur, andere nur in instrumentatorischem Gerüst und einige ledig lich in Skizzen. Die wirtschaftliche Notlage trieb Mozarts Frau dazu, das unvollendet gebliebene Werk von fremden Händen ergänzen zu las sen, damit sie es dem Besteller aushändigen konnte, um so die zweite, dringend benötigte Honorarhälfte zu erhalten. Ein Kompositions schüler Johann Georg Albrechtsbergers, Joseph Eybler (1765—1846), wurde zunächst dafür ge wonnen, der instrumentatorische Ergänzungen vornahm, sich aber überfordert fühlte, als er Eigenes geben sollte. Daraufhin übernahm Mo zarts Schüler Franz Xaver Süßmayr (1766 bis 1803) die Vervollständigung des Werkes. Er instrumentierte den Fragment gebliebenen größten Teil der Sequenz sowie das Offerto rium und komponierte selbst Sanctus, Benedic- tus und Agnus Dei. Süßmayr war von Mozart selbst genau in die Entstehung des Werkes eingeweiht worden. Mozarts Totenmesse hat sich in seiner Bearbeitung bis zum heutigen Tag eine beherrschende Stellung in der Re quiemliteratur erhalten. Die ergänzende Arbeit Süßmayrs wurde „zum tauglichen Vermittler der ungeheuren Eindruckskraft von Mozarts großartigem Fragment auf die ganze musika lische Welt" (Abert). Johannes Brahms schätz te Süßmayrs Arbeit wohl gerecht ein, wenn er über ihn schrieb: „Er hat die Anlage Mo zarts sorgsam kopiert und sie mit so viel Fleiß wie Pietät ergänzt." Mit seinem Requiem hat Mozart neben der „Zauberflöte" und den letzten großen Instru mentalwerken auch auf dem Gebiet der geist lichen Musik seinem Lebenswerk den krönen den Schlußstein eingefügt. Seit der c-Moll- Messe, also in den letzten zehn Jahren seines Lebens, hatte Mozart, abgesehen von einer Ausnahme, keine Kirchenmusik mehr geschrie ben. Die große zeitliche Spanne zwischen die sen beiden Werken einer Gattung offenbart die Weiterentwicklung seines Schaffens. In der c-Moll-Messe vermischt sich der strenge Kir chenstil Bachs und Händels noch mit Stilele menten italienischen Einschlags. Das Requiem in seiner Reife der Innerlichkeit hat diese Ein flüsse zu neuem Wesen umgeschmolzen. Das Band zwischen beiden Werken und die Brücke auch zur „Zauberflöte" ist die „Maurerische Trauermusik", geschrieben 1785 auf den Tod zweier Logenbrüder. Auch in diesem Werk ist Trauer und Ernst mit Gefaßtheit und Trost ver bunden. Mozart schöpft in seinem Requiem aus der kirchenmusikalischen Tradition, der Kunst Bachs und Händels. Er verschmolz diese Grund lage mit seinem persönlichen Musikempfinden und Ausdrucksstreben und nicht zuletzt mit dem dramatischen Atem der Opernbühne im Dienste eines vertieften Aussagewillens, so daß in man cher Beziehung eine Verwandtschaft mit der „Zauberflöte" zu erkennen ist. Diese Verwandt schaft zeigt sich nicht zuletzt in der Ähnlichkeit der verwendeten kompositorischen äußeren Mittel. Die Verbindung von Bassetthörnern, Fa gotten und Posaunen, Trompeten und Pauken, die schon in der „Zauberflöte" die Träger der erhabenen Welt eines Sarastro gewesen wa ren, kehrt auch im Reauiem wieder; nur sind durch das Fehlen der übrigen Holzbläser und der Hörner die Farben dunkler geworden. Trotz Wahrung aller liturgischen Forderungen erhebt sich das Werk weit über jede dogmati sche Begrenzung zum ureigenen Bekenntnis Mozarts. Mozart empfand den Tod im Sinne des Freimaurertums als „Freund" und nicht als ein „Bild des Schreckens": „Da der Tod, genau zu nehmen, der wahre Endzweck unseres Le bens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren besten Freund des Men-