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WOLFGANG AMADEUS MOZART SYMPHONIE ES-DUR, KV 543 Von Mozarts drei letzten, im Sommer 1788 geschriebenen Symphonien hat sich die in Es-dur, KV 543, verständlicher weise am wenigsten davon erringen kön nen, was man gemeinhin mit Beliebtheit oder Publikumsgunst bezeichnet. Die g- moll-Symphonie vermag mit ihrer schwer mütigen Erregtheit, ihrem Changieren zwischen Dämonie und Melancholie die stärkeren Emotionen zu mobilisieren und zudem die Empfindungsbrücke zum Bilde des notleidenden, „um letzte innere Werte ringenden“ Künstlers zu schlagen. Die C- dur-Symphonie wiederum weckt schon durch ihren Beinamen „Jupiter“ Assozia tionen des Strahlenden, das den Schmerz überwunden hat und in eine zeitlose Hei terkeit eingegangen ist. Die Symphonie in Es-dur kann sich demgegenüber nur auf ihre musikalische Substanz berufen. Daß manche Kenner der Musik und insbeson dere der Mozartschen, ihr den Vorzug geben, mag in der Universalität ihrer Ge danken und Empfindungen begründet sein, die sich in diesem Werk makellos und umfassend manifestiert. Schon die ungewohnte Orchesterfarbe (statt der sonst fast obligaten Oboen sind die milde ren Klarinetten verwendet) und die Tonart bereiten gleichsam den physiologischen Boden: Es-dur steht für Leuchten von innen her, für Glanz aus hochgemuter Haltung, für feierliche Würde, aber auch für die Verbundenheit mit allem Natürli chen, Kreatürlichen. (Es scheint kein Zu fall, daß Wagner seine Ring-Tetralogie im Rheingold-Vorspiel mit dem reinen, aus einer Urzelle wachsenden Es-dur-Klang anheben läßt.) Die Einleitung von 25 Adagio-Takten ist gleichzeitig große, erhabene Eröffnungs geste, Einstimmung auf ein breit angeleg tes Gefühlsdrama und dabei Vorwegnah me und Konzentration dieses Ablaufs auf engstem Raum. Die Unerbittlichkeit des punktierten Rhythmus und die harten Ge gensätze von Forte und Piano können formal als Reminiszenzen an die französi sche Ouvertüre gedeutet werden. Wenn dann das Allegro mit seinem herrlichen singenden Thema beginnt, kann sich die aufgestaute Spannung lösen und einer neuen Erwartungshaltung, diesmal auf größere Dimension bezogen, Platz ma chen. Bemerkenswert ist an diesem Alle gro, wie alle Themen in ihrer Grundform kantabel angelegt sind. Die kraftvollen und rhythmischen pointierten Kontrast partien haben Überleltungs- oder Coda funktion. Ein scheinbar nebensächliches Motiv, kurz vor Eintritt des zweiten The mas, erhält in der Durchführung architek tonische Bedeutung als Bewegungsele ment. Für Genießer formaler Zusammen hänge sei auf Takt 180 und folgende hin gewiesen, wo eine Fortebewegung ab rupt abbricht, und - nach einer General pause - in drei Takten die Holzbläser mit modulatorischen Kühnheiten zur Reprise überleiten: In Technik und Stimmung ein vollendetes Analogon zu den letzten vier Takten der langsamen Einleitung. An sol chen Steilen scheint eine Andeutung des meist unfaßbaren Mozartschen Form plans ans Licht zu kommen, der seinen einzelnen Werken ihre Logik und ihren unverwechselbaren Charakter gibt. - Die Reprise folgt, natürlich in der Grundtonart verbleibend, im wesentlichen der Exposi tion, nur an ihrem Schluß wird unmerklich, aber gravierend, die Coda geweitet und Im Sinne des Satzendes bekräftigt. Das Andante con moto schreitet auf seine - lyrisch-kantable - Weise den Empfin dungsbereich der Symphonie ab: fried voll, aber nicht ohne Rest von Melancholie