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RICHARD STRAUSS METAMORPHOSEN • STUDIE FÜR 23 SOLOSTREICHER Während der 2. Weltkrieg dem totalen Zusammenbruch entgegenstürzte, mußte Strauss in seiner Garmischer Villa hilflos mit ansehen, wie sein Land, seine Welt, die Stätten seiner Triumphe in Schutt und Asche versanken. Die Opernhäuser von München und Berlin waren schon seit Jahren Ruinen, nun hatten die Alliierten auch die Opern von Dresden und Wien, die ihm im Juni 1944 noch Zyklen zum 80. Geburtstag dargebracht hatten, zer bombt. Der Bankrott eines reichen Künst lerlebens: ob er noch erleben würde, daß jemals eine seiner Opern wieder aufge führt würde? Daß sich ein Weg aus die sem Chaos eröffnen sollte, schien unvor stellbar. Das war die Ausgangslage für die Komposition der Metamorphosen. Sie waren als Studie gedacht, als musikali sche Reflexion über die Trostlosigkeit der Zustände, der Monolog eines Trauern den, zuerst nur für die Schublade, nicht für fremde Ohren bestimmt, von vornher ein als Nachlaß deklariert. Und hier, wo der greise Meister auf sich selber zurück geworfen war, wo er nimmer einem Sujet verpflichtet war, wo er nicht mehr in Rol len schlüpfte (weder in kostümierte auf der Bühne noch in ideelle wie die des Helden, des Narren oder des Weltverbes serers) - hier äußerte er sich so unver- deckt persönlich, so verwundet, so unver hüllt intim wie in keinem seiner Stücke sonst. Die Besetzung für 10 Violinen, 5 Brat schen, 5 Celli und 3 Kontrabässe ergab sich aus der Werkidee: Grundfarbe des Melancholischen, die sich im Bläserklang nicht so konsequent realisieren hätte las sen; Primat des Melodischen und schließ lich extreme Differenzierungsmöglichkei ten vom feinsten bis zum dichtesten Ge flecht. Der Titel deutet auf die Beschäfti gung des nunmehr ganz introvertierten Komponisten mit Goetheschen Grund ideen. Im Gegensatz zur Variation, welche die äußere Gestalt verändert, ohne sie völlig zu ignorieren, meint Metamorphose Verwandlung, wie sie in drastischer Ur form der Schmetterling manifestiert, des sen strahlender Zauber die primitive Vor stufe der Raupe vergessen läßt, wiewohl deren Wesen doch in ihm weiterlebt. Was uns an Themen - weichen und schärfer konturierten -, an Wendungen und Kom binationen in stetem Fließen begegnet, wächst wie unbewußt aus einem einzi gen Gegenstand: vier Takte aus dem Trauermarsch von Beethovens Eroica, die erst am Schluß wörtlich zitiert werden, Ausdruck heilloser Hoffnungslosigkeit. Strauss bekannte später, er habe dieses Thema nicht von vornherein geplant, es sei ihm erst zum Schluß wie aus dem Unterbewußtsein zugewachsen. Davor spiegelt ein weiter Bogen von fast halbstündiger Dauer die Essenz von Strauss’ Künstlerdasein in der Rück schau. Aus milder Resignation in dunklen Farben entwickelt sich ein dichteres Ge flecht, wird heller, flüssiger, steigert sich im Tempo schrittweise bis zum Agitato\ die ganze Macht der Vergangenheit er greift Besitz vom Autor, reißt ihn fort in die Euphorie der Erinnerungen, nur manch mal getrübt vom mahnenden Menetekel des „Eroica-Themas“: drei markante Vier tel plus eine Halbe auf gleicher Tonhöhe, gefolgt von zwei fallenden .lombardi schen' Achteln. Nach der hymnischen Kli max, die etwa mit dem letzten Drittel des Stückes erreicht ist, fällt die Musik zurück ins Adagio. Das Eroica-Thema drängt sich immer fordernder hervor, bis (Takt 432) eine plötzliche Generalpause das er schrockene Erwachen aus einem holden