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SächfischeStaalszeilung Staatsan?eiger Mr de» Zreiftaat Sachfen Rr.39 Donnerstag, 15. Februar 1923 Erscheint «e»«»,« nachmittag» mit dem Datum de« Erscheinung»»»-««. »e,ug»»rei«: Monatlich 2000 Mart. Einzeln« Nummern SO Mart. Fernsprecher: «eschLMelle Nr. 21295 - SchrisUeitung Rr. 14K74. Postscheckkonto Dresden Rr. 2486, Ankündigungen: Die 32 mm breite GrundzeUe oder deren Raum im Ankündigung* teile 2MM., die 66 mm breite Grundzeile oder deren Raum im amtlichen Teile 400 unter Eingesandt SOO M. Ermäßigung auf Familien- u. GeschäftSanz eigen. Schluß der Annahme vormittag« 16 Uhr, Bitweise Nebenblätter: Landtag». Beilage, Synodal-Beilage, Ziehung«ltste« der Verwaltung der Staatsschulden und der Landeskulturrentenbanl, Jahresbericht und Rechnungsabschluß der Landes-Brandversicherungsanstalt, »ertaufslist« von Holzpflanzen aus den Staattsorftreviere». verantwortlich für die Redaktion: HauptschrifUeiter Bernhard Jolle» in Dresden. England einer Intervention nicht abgeneigt. Die Eröffnung des englischen Parlaments brachte die große Aussprache über Frankreichs Einfall in das Ruhrgebiet, der man mit Spannung entgegensah, ohne doch Entscheidendes von ihr zu erwarten. Im Mittelpunkt deS Interesses stand naturgemäß die von uns gestern im Aus. zug veröffentlichte Rede des englischen Minister- Präsidenten, die Ausklärung darüber geben mußte, wie sich England der französischen Aktion gegen über verhält. Bonar Law gibt sich ganz als un interessierter Beobachter. Seine UnterhauSrede erweckt fast den Eindruck, als habe sich England bereits vom europäischen Schauplatz abgewandt. Wenn er an: Schluß seiner Rede einer unbe stimmten Hoffnung auf eine englische Intervention Räum gibt, so spricht daraus noch keineswegs der Wille zur Tat, es hat vielmehr den Anschein, als handle eS sich um eine rhetorische Schlußnendunq. Man kann nach dieser Rede nur wiederholen: Deutschland steht allein. Das ist eine Tatsache, die man im Interesse des Wiederausbaue- Europa; und des Friedens bedauern muß, bleibt aber trotzd:m eine harte Tatsache, die mit aller Klar heit in die deutsche Rechnung eingestellt werden muß. Den ersten Teil der Rede füllte ein Rück blick auf di« Londoner und Pariser Konferenz. Bonar Law sagte: England schlug Frankreich vor, die Frage tz«r Sanierung Deutschlands einem Nat bon sew« Personen anzuvertrauen, i» dem ein Amerikaner und ein R utraler Sitz und Stimme haben sollte. Deutschland sollte ein Moratorium von vier Jahren gewährt werden, die Wiedergutmachungssumme sollte auf 2^/z Mil- liarden Pfund Sterling festgesetzt werden. Für den Fall der Annahme diese- Vorschläge« sollten die französischen und italienischen Schulden an England gestrichen werden. PoincarS schlug eine D skujsion de- Vorschlags ab, er bestand auf der Besetzung dc« Ruhrgebiet-; er bestand auf jenen Verpflichtungen, die deutlich über die Leistungs fähigkeit Deutschland» hinausgingen. Das sind die Tatsachen, die Bonar Law als kritischer Beobachter seststellt, und wir haben die Pflicht, auch diese Tatsachen in unsere Rechnung einzufetzen. Wir hören hier von einem sehr vor sichtigen und seine Worte auf die Wagfchale legenden Engländer, daß eS Poincarä nicht auf Bezahlung, nicht einmal auf Streichung der französischen Schulden ankam, sondern allein auf die Besetzung de- Ruhrgebiet». Bonar Law unterstrich diese Tatsachen im Verlauf seiner Rede und kam wörtlich zu folgendem Schluß: „Jetzt wird ein Kampf der Ausdauer zwischen zwei Völkern geführt ... Die französische Regierung hat sich auf dieses Abenteuer ein geloffen, sie ist gezwungen, da- bi« zu Ende durchzusühreir." Die Debatte der beiden Häuser de- Paria- ment» ergab zweifellos, daß keine politisch maß geblichen Kreise Englands di: Ruhraktion Frank- reich- unterstützen. Anderseits ist es aber klar, daß vorwiegend da« Bedürfnis besteht, Frank- reich die Sympathie auszudrücken und ihm die Freundschaft zu bewahren, dies besonders deutlich in drn Reden der Liberalen beider Häuser. Die Opposition unterscheidet sich von der Regierung wesentlich nur durch das Ber- langen einer sosortigen Intervention oder einer Entscheidung de» Völkerbundes, wobei Asquth geradiW einen starken Druck auf beide Ruhr- parwie» «»«zuüben empfahl. Die Regierung machte deuttch^ daß augenblicklich für den Völkerbund keine geeignete Stimmung unter den Kämpfenden vorhanden sei und Frankreich direkt ablehnen würde. Dagegen steht e» jetzt außer Zweifel, d:ß die englische Regierung jede an sie heran« tretende Anregung bezüglich einer Intervention jorgsältigst behandeln würde. Lsrß Grey verurteilt die Ruhraktion. London, 14. Februar. O«i Ve» Aussprache über di« Thronrede führte L»rd G««h im Oberhaus folgende- au»: Da» einziWch um» wi^lich den Handel Großbr tanniens wieder Herstellen würde, sei der Wiede raus bau der Stabilität in der Welt, besonder- in Europa. Die Frage de, interalltteren Schulden müsse im Zusammenhang mit einer vollständigen Regelung der Repa- rationSfrage gelöst werden. Lie Aktion der französischen Regierung habe e« jedoch fast . Die „Leipziger Volkszeitung" schreibt: Wir haben immer darauf hingewiesen, daß es not wendig sei, Maßnahmen gegen den Hunger zu ergreife». Nichts ist geschehen. Obwohl e« von Tag zu Tag schlimmer wird, werden durch- greisende Maßnahmen nicht getroffen. Man kommt aus dem Stadium der Erwägungen nicht heraus. Inzwischen verhungern Teile der deut schen Bevölkerung. Da» ist keine Über treibung! . . . Rach den „Leipziger Neuesten Nach, richtrn" hat der Phyfiolag« der «»iverfität Halle, Seh. Rat Emil Adderhalde a, dieser Tag« einen Vortrag «der seine Erfahr»»ge» aus de» Gebiete »er «»terstütz«, alter Lent« in Deutschland -«halte«. Ur erklärt«, daß in Deutschlaud lm Laufe diese« Winters diele Tauseude von Menschen buchstäblich verhungert feie«, Was die Mtershtlfe deiresse, so kämt« die Hilssbedttrfttge», v«r- nrhmlich die „verschämten Ar«««", vielfach viel zu spät, in Lumpe« gewickelt, halb erfroren >«» »» Ute- leiten abgemagert. Praf. Adder- Halden meint, baß in Deutschland »och die» zu wenig siir die hunger»»«» alte« Leute getan werde. Um im A»-la,de anf den wahren Zustand im Deutschen «eiche hi», zu Weis r», wird er in nächster Zeit Auf. kläruugsvorträge in «er«, Bafel »ud Zärich halten. Professor Abderhalden, der frither an der Universität Basel wirkte- ist geboren»» Schweizer. Die L. N. N. geben diese Mitteilungen ohrre Kommentar wieder. Sie müssen sie als wahr anerkennen. So weit sind wir also gekommen. Der Hungertod geht um in Deutsch land. Wie Hot man sich rntsetzt, al- im Vor jahre di: Nachricht«» ans Rußland über die Hungerkatastrophe kamen. Und jetzt sind hier ähnliche Erscheinungen zu verzeichnen. Biele Tausende sind bereit« verhungert. Weitere Massen sind dem Hungertode nahe. Hunderttausend«, ja Millionen sind unterernährt. Die Jugend darbt, sie verkümmert. Die nächste Generation wird kraftlos sein. Natürlich sind es die Be sitzlosen, die allein von diesem furchtbaren Elend betroffen werden. Die Besitzenden mästen sich an reichgedecklen Tafeln. Der Wucher herrscht in Demschland. Jetzt ist der Dollar ge fallen, sehr erheblich gefallen, doch die Preise steigen. Und wo eine Steigerung nicht mög lich ist, werde» sie künstlich aufrecht erhalten. So berichten die L. R. St. von der Berliner Produktenbörse: „Am Produkt,«markt I»u«te« sich, »et sta,kerzurLckhalt««gde» »«gebot», die Getreidepreif« »«gefähr behaupte«." B n der Leipziger Produktenbörse liegen ähn liche Meldungen vor. Starke Zurückhaltung de« Angebot«: Da- heißt, da) Brotgetreide wird setzt nicht auf den Markt gebracht!! Dabei werden für ren Zentner Wei-en 66 OM M. und für den Zentner R ggen bi« 58 OM M. an den Produkten börsen bezahlt. Diese Preise sind den christlich und national gesinnten Agrariern zu niedrig. Da für geben die „zu allen Opfern bereiten Land wirte" dar Getreide nicht ab. Ihre Spekulation ist auf noch höhere Preise gerichtet. Damit er reichen sie, daß jetzt die Preise nicht fallen, und wenn Wieser ein neuer Marksturz erfolgt, streichen sie neue enorme Wuchs-g Winne ein. Keine bürgerliche Zeitung wendet sich dagegen. Richt ei» Pastor erhebt dagegen s-ine Stimme, obwohl n den Kirchen gebetet wird: Unser täglich Brot gib nn« heute. . . irrelevant gemacht, diese Frage im gegenwärtigen Augenblick zu entwickeln. Er gebe der Hoffnung Auädruck, daß die Türken den Lausanner Vertrag noch unterzeichnen würden. WaS die Frage der Ruhrbesetzung anlange, so werde die Aufrechterhaltung herzlicher Beziehungen Zu dem gleichen Thema, insoweit e» den Wucher betrifft, schreibt die „Berliner Volks- zeitung": Die vor einigen Tage» angekündigte KarioffelpreiS.rhöhung ist inzwischen Tatsache ge- worden, da !m Kleinverkauf das Pfund Kar toffeln heute 60 Mark koste!. Die Preis- prüfungSflelle hat sich an da- zuständige Mini sterium gewandt, um von diesem Maßnahmen gegen di« hohen Kartoffelpreise zu verlangen. Ob diese Aktion Erfolg h ben wird, ist sehr fraglich. Die Schuld an der Preissteigerung liegt saft ausschließlich bei den Erzeugern, den Land- wirte«, die „unangemessene" Preise für Kartoffeln verlangen. Tatsächlich sind die Zufahren während de« Monat« Januar nach Berlin außerordent lich gering gewesen. Während die Bauern sich sonst auf die im Januar übliche Kälte beriefen und di« Mieten nicht öffnen wollten, um den Frost nicht in die Lagerbestände eindringen zu lassen, entschuldigten sich die Produzenten diesmal mit dem anhaltenden Regenwetter. E» sei ihnen nicht möglich gewesen, mit ihren Gespannen durch da» aufgrweichte Erdreich an die Kartoffel mieten heranzukommrn, und so wurde di« Ware in steigendem Maße zurückgehalten. Nachdem jetzt der Frost eingesetzt hat, ist e« überhaupt nicht möglich, Kartoffeln au» der Erde heraus zunehmen und zu den Bahnstationen zu dringen. Diese Schwierigkeiten lasse» sich jedvch «berwludt», fvbald der «artofselhä»dler aus de« Laude Preis« von 4» 6« bi« 4 äs« ». ««legt. Die Laudwtrte habe« au-gertchue», baß e» Varteilhafter ist, bei ber »»rhaade«,« Knappheit au Futter, mittel«, n«d »«sauber« a« Klee, ri««n Dell brr Kartoffel» sär die Bietz,ätter»»g tnräckzuhalte». Di« La»dwirt« rech»e«, baß fWf Zk«t»«r Kartoffel» i, ihre« Nährwert e«»em Ze»t»er «ärnrrsrucht gl«ichzuj«tze» sind. Nu» kostet ein Ze»t«er Rogge» augenblicklich 46««« M., u»d so ist bas Ziel der Agrarier und ihre« A»ha««es, P«»Kart»ffelpreis auf ber Gr»»dlage des «ogge»prelse« zu errechn«« uu», «ach de« verhält»» Sri, die Kartoffeln auf 8««« M. i« die Hiitze zu treibe». Die bi»herigen Kartoffelpreise, welche die Landwirtschaft erhalten hat, werden von Fach leuten al» vollkommen ausreichend be zeichnet. Gefordert wird jedoch, daß der Reichs- ernährungrminister dies Herstellung der Kar toffelstöcken verbietet. Zur Herstellung eine» Zentners Flocken sind etwa fünf Zentner rohe Kartoffeln nötig, und der Zentner Flccken wird heute schon mit 40 OM M. bezahlt. * Ma« sieht also, daß trotz be, allge«ei«eu Not, i« ber sich da» bratsche Balk befiadrt, «ud «»t«r der brs««der» die werktätige Bevblker««, der Städte leidet, die Agrarier u«d ihr Auha«g nur ans ihren Prosit bedacht sl»b. Sie fordern wohl i« ihrer Presse bi« sog««»»te „nationale Einheits front", aberh wie alle« bct ihnen, ist dies nur eine leer« Phrase, durch die sie sich tarier» lich nicht ge-nnbe» fühle». S«»a» wi« in» Kriege, «itssc» auch diesmal iu »rm wirtschaft liche» slbwehrkampf gegr» die Ruhrb«s«tz»»g di« «ass«» alle Lasten auf sich nehme», währe»» die Herre» La»dwtrt« » » r a»« Verdi«»«» denke». Pflicht der «aßgebrude» vehsr»«» ist es, hier ver,rd»u»ge» z» erlasse», die »ot- wc»diger st»d al» der «uckirische Kampf gege» »Schlemmerei uud Lustbarkeit". Hunger und Wucher. Die „nationale Einheitsfront" aus Kosten der — anderen. zu Frankreich täglich notwendiger. Vom Standpunkte nationaler Sicherheit wie auch vo« Standpunkt Europa« au« gesehen, müsse eine Trennung zwischen der französischen Regierung und England zu einer Katastrophe führen. Da« Zusammenwirken zwischen beiden Ländern fei wesentlich, um den Friede» wieder her zustellen. Diese Zusammen ar bett sei augenblicklich nicht vorhanden. Vom wirtschaftlichen und finanziellen Standpunkt aus gesehen, sei Frank reichs Vorgehen im Ruhrgebiet nicht nur unklug, sondern es werde verhängnis voll sein. Da» Ende dieser Akiio» sei noch nicht abzusehen. Vielleicht sei e» möglich, durch da« von der französischen Regierung angenommene Verfahren, in Deutschland den Willen zum Zahle« hervorzurufen. Aber di: deutsche Zahlungsfähig- keit würde sehr vermindert werden. Die Wurzel dieser wachsenden Schwierigkeiten sei da» Gefühl der Unsicherheit mit Bezug aus die Zukunft. Das Scheitern de» französisch-eng lischen und de» frauzöfisch-amerikani schen Garantievertrage« sei in Wirklichkeit verantwortlich für einen großen Teil der Unruhe, der Ungeduld und dessen, wa» viele Leute al« den aggressiven Geist Frankreichs betrachtete«. Da- Problem der künftigen Sicherheit Frankreich« bleibe noch immer ungelöst. E» werde nicht gelöst »»erden durch da» französisch« Vorgehen im Ruhrgebiet, da» dazu führen dürft«, daß Deutschland und Rußland immer mehr vereinigt würden. Diese beiden Ra tionen würde», obwohl sie augenblicklich nicht mächtig seien, in Zukunft wieder stark werden. Der Völkerbund sei da» einzig mögliche Mittel für eine dauernde Lösung. Er müsse die Frage der Reparationen als eine finanzielle und wirtschaftliche Frage behandeln und auf diese Weise zu ande bringe», daß Deutschland wieder auf die Beine gestellt werde, um zahlungsfähig zu werden. * Paris und die Parla«e«1sreden. Paris, 14. Februar. Ter „TempS" ist mit der Rede Bonar Laws nicht zufrieden. Die Zeitung fragt, ob ein französischer Premierminister ebenso sprechen würde, wenn England sich in gleicher Lage befände wi« Frankreich, und auf eine Er- ktärung der BundeStreue warte. Bonar Law habe ave Beweggründe der Franzosen uud alle Folgen ihre» Unternehmen» in düsteren Farben gemalt und dadurch der „deutschen Propa ganda" die Möglichkeit gegeben, Cuno zu ermutigen, Poineart anzugreifen. Bonar Law habe ovch die Londoner Verhand lungen nicht richtig dargestevt. Pomcarä hab« im Dezember nicht erkärt, daß die vejetzung de» Ruhrgebiet«» di« Vorbedingung für jede Verstän digung sei. Poincarä habe im Gegenteil wieder holt gesagt, daß die Alliierten die Pfänder ohne jede militärische Besetzung sichern lönnten, fall« Englrnd gemeinsam mit den All ierten die deut schen Pfänder für die Gewährung eine» ZahluugS- ausschude» verlangte. Die Prophezeiung Bonar Law», daß Frankreich kein Geld erhalten würde, auch wenn Deutschland kapituliere, sei überflüssig gewesen. Deutschlaud werde au» diese» Worten seinen Vorteil zu ziehe» wissen. Die „Libertä" stellt nach der Rede de» englischen Premierminister» fest, daß Bonar Law die Franzosen nicht verstehe und Frankreich nicht den englischen Minister. Da» „Journal de« DäbatS" findet die Rede wenig befriedigend und fürchtet, daß Bonar La« die Politik Frankreich» »ach de» erhitzten Äuße rungen einiger Zeitung-politiker beurteilt. * Hi» «euer ck«erit»»ischer Prstest zege» die Nuhrbese-»»-. Wafhingt«», 1b Februar. Der «epasltka»er v«i,t brachte i» Kepräfr«t»»tenh»»fe eine «»tschlteß»»» ei«, w»rl» gegen di« «efetz»»» de» »uhr- grhiet» pr-testtert »ad gefordert wir», »aß Präslve»t Harding eine WeltwirtfchastSkoaser«»» einderufe. Ferner heißt e» in »er »ntjchtteßnag. t.