Als Textdichter des Weihnachtsorato riums gilt Christian Friedrich Henrici (Picander). Eine genauere Betrach tung des Textes stellt dessen durch gängige Autorschaft jedoch in Frage und macht Bachs eigene Mitwirkung an der Textierung größerer Teile des Werkes — zumindest eine enge Zu sammenarbeit zwischen Picander und Bach — sehr wahrscheinlich. Das „Libretto" des Weihnachts oratoriums (Teil I—III) besteht aus dem kontinuierlich die Handlung fortsetzenden biblischen Bericht des Evangelisten (nach Lukas 2, Verse 1 und 3—20), Kirchenliedstrophen (ne ben Chorälen von Paul Gerhardt, Martin Luther und Johann Rist auch einzelne Strophen von vier Lieder dichtern des 17. Jahrhunderts) und freier madrigalischer Dichtung (Ein leitungschöre, Arien, Accompagnato- Rezitative). In formaler Hinsicht sind viele Werke Bachs von einem zentralen Formglied, von einer Mittel- oder Gleichgewichtsachse bestimmt. Ähn lich wie in der kunstvollen Gesamt anlage des Weihnachtsoratoriums zeigt sich auch innerhalb der ersten drei Teile eine symmetrische Bogen form, sowohl innerhalb der einzel nen Teile wie auch in der Beziehung der Teile zueinander. Die Mitte des II. Teils mit den zen tralen Gedanken der Verkündigung der Geburt Jesu im „finstern Stall" liegt in der Kirchenliedstrophe „Schaut hin, dort liegt im finstern Stall, des Herrschaft gehet überall!" in C-Dur. Im Verhältnis zu den Ton arten der anderen Formteile (Teil I und III in D-Dur, Teil II insgesamt in G-Dur) wird mit diesem C-Dur, der zweiten Subdominante — und Raffaello Santi (1483-1520) Sixtinische Madonna damit harmonisch „in der Tiefe" liegend -, das unerhörte Maß der Erniedrigung des Göttlichen in sei ner Menschwerdung in einem „fin stern Stall" in Bethlehem symboli siert. Bereits die Rahmenteile von Teil II in G-Dur (Subdominante) weisen harmonisch auf diese Ernie drigung. Teil I behandelt in seiner ersten Hälfte (Nr. 1-5) die adventliche Ver heißung der Geburt des Heilands. Auffällig ist das Hervortreten der Alt-Partie, die der Mutter Maria ent spricht. Maria, als Ur- und Sinnbild des Glaubens, ist als erster Mensch mit dem Heiland ganz verbunden. Als Zeichen der Liebe wurde ihr die Oboe d'amore - bewußt erst in der Parodie! — zugeordnet (Accompa- gnato „Nun wird mein liebster Bräu tigam" und Arie „Bereite dich Zion"). Die Accompagnato-Rezitative die-