Zu Verdis Messa da Requiem "Geistliche Oper - ja oder nein?" Dies war über lange Zeit eine Frage, die die Fachwelt beherrschte und die auch heute noch manchen Hörer dieses Werkes bewegt. Die Frage wird sicherlich unbeantwortet bleiben. Diejenigen, die sie stellen, müs sen letztlich eine persönliche Antwort finden, denn "Geistliche Oper" ist das Werk nicht, auch wenn manches in Ausdruck und Gestik den Verdi zeigt, der der Schöpfer großer italienischer Opern war. Oder kann ein so genialer Komponist wie Verdi in ein völlig anderes Gewand schlüp fen und die dramatische Sprache des Requiem-Textes in ein Klangbild formen, das je des subjektive Empfinden vermissen läßt? Sicher nicht. So ist es nicht verwunder lich, daß er für dieses ihn selbst in besonderer Weise einbindende Unterfangen, nämlich ein Requiem für den von ihm hochverehrten Hanzoni zu schreiben, auch sein Bestes an musikalischer Ausdrucksfähigkeit einbringt. Grundlage des Werkes ist der altkirchliche Text der lateinischen Totenmesse, in dem einerseits Gebete für den Verstorbenen enthalten sind, andererseits die Schrecken des Jüngsten Tages in Worte gefaßt sind. Beides hat Verdi mit meisterlicher Hand und allen ihm zur Verfügung stehenden musikalischen Kitteln hochdramatisch vertont, wobei ihm natürlich die klangliche Vielfalt eines großen Orchesters mehr Möglich keiten eröffnete als sie etwa Mozart hatte. Aber sehen wir uns das Werk schlaglichthaft im einzelnen an. In der Ordnung der To tenmesse beginnt es mit der Bitte "Requiem aeternam", die mit dem "Kyrie eleison", in einem Satz zusammengefaßt, abgeschlossen wird. Die Stimmung ist ernst und ver halten. Hit Ausnahme der Hörner verzichtet Verdi auf Blechbläser. Die mit Dämpfer gespielten Streichinstrumente stimmen ein ruhiges Andante in a-moll an; ihr Thema ähnelt dem Beginn der f-moll-Messe von Bruckner. Aber schon nach wenigen Takten, nachdem der Chor leise hinzugetreten ist, klärt sich die Musik zum Dur. In kraft vollem a-capella-Gesang folgt der Lobgesang "Te decet hymnus". Das abschließende "Kyrie" gibt verschiedenartige Haltungen dem Text gegenüber wider: festes Vertrauen auf die Gnade des Herrn, aber auch fast unsicheres Fragen, ob denn die Hilfe erwar tet werden darf. Überraschend, wie beim Lobgesang zu Beginn, wandelt sich die Ton art noch einmal für vier Takte nach F-Dur, bevor im Schluß die Bitte durch die In strumente nach oben geführt wird.