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DAS KLAGENDE LIED I. Waldmärchen Es war eine stolze Königin, gar lieblich ohne Maßen; kein Ritterstand nach ihrem Sinn, sie wollt' sie alle hassen. O weh! Du wonnigliches Weib! Wem blühet wohl dein süßer Leib? Im Wald eine rote Blume stand, ach, so schön wie die Königinne; welch Rittersmann die Blume fand, der könnt' die Frau gewinnen! O weh! Du stolze Königin! Wann bricht er wohl, dein stolzer Sinn? Zwei Brüder zogen zum Walde hin, sie wollten die Blume suchen; der eine hold und von mildem Sinn, der and're konnte nur fluchen! O Ritter, schlimmer Ritter mein, o ließest du das Fluchen sein! Als sie so zogen eine Weil’, da kamen sie zu scheiden, das war ein Suchen nun im Eil’ im Wald und auf der Heiden! Ihr Ritter mein, in schnellem Lauf, wer findet wohl die Blume? Der Junge zieht durch Wald und Heid’, er braucht nicht lang’ zu geh’n; bald sieht er von ferne bei der Weid’, die rote Blume steh'n. Die hat er auf den Hut gesteckt, und dann zu Ruhe sich hingestreckt. Der And’re zieht im wilden Hang, umsonst durchsucht er die Heide, und als der Abend hernieder sank, da kommt er zur grünen Weide! O weh! Wen er dort schlafen fand, die Blume am Hut, am grünen Band! Du wonnigliche Nachtigall, und Rotkehlchen hinter der Hecken, wollt ihr mit eurem süßen Schall den artmen Ritter erwecken. Du rote Blume hinter’m Hut, du blinkst und glänzest ja wie Blut! Ein Auge blickt in wilder Freud’, dess’ Schein hat nicht gelogen; ein Schwert von Stahl glänzt ihm zur Seit’, das hat er nun gezogen. Der Alte lacht unter’m Weidenbaum, der Junge lächelt wie im Traum. Ihr Blumen, was seid ihr vom Tau so schwer Mir scheint, das sind gar Tränen I Ihr Winde, was weht ihr so traurig daher, was will euer Raunen und Wähnen? „Im Wald, auf der grünen Heide, da steht eine alte Weide." II. Der Spielmann Beim Weidenbaum, im kühlen Tann, da flattern die Dohlen und Raben. Da liegt ein blonder Rittersmann unter Blättern und Blüten vergraben. Dort ist’s so lind und voll von Duft, als ging ein Weinen durch die Luft. O Leide, weh, o Leide! Ein Spielmann zog einst des Weg’s daher, da sah er ein Knöchlein blitzen; er hob es auf, als wär’s ein Rohr, wollt’ sich eine Flöte d’raus schnitzen. O Spielmann, lieber Spielmann mein, das wird ein seltsam Spielen sein! O Leide, weh, o Leide! Der Spielmann setzt die Flöte an und läßt sie laut erklingen. O Wunder, was nun da begann! Welch’ seltsam traurig Singen! Es klingt so traurig und doch so schön! Wer’s hört, der möcht’ vor Leid vergeh’n. O Leide, weh, o Leide!