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7. PHILHARMONISCHES KONZERT Festsaal des Kulturpalastes Dresden Donnerstag, den 24. Mai 1990, 19.30 Uhr Freitag, den 25. Mai 1990, 19.30 Uhr (Verlegung vom 7,/8. April 1990) oresoner e ohihamnonie EVA ANDER wurde in Dresden geboren. Sie studierte 1945 bis 1950 in ihrer Heimatstadt an der Staatlichen Akademie für Musik und Theater. 1951 erhielt sie den Carl-Maria-von-Weber-Preis der Stadt Dresden, 1971 wurde sie mit dem Kunstpreis der Deutschen Demokra tischen Republik ausgezeichnet. In den Jahren 1961 bis 1963 war sie an der Hochschule für Musik „Hanns Eis ler" in Berlin als Klavierpädagogin tätig. Seit 1963 ist Eva Ander eine geschätzte Dozentin an der Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber" in Dresden, wo sie 1970 zum Professor ernannt wurde. Zahlreiche Rund funk- und Schallplattenaufnahmen entstanden unter ihrer Mitwirkung. Erfolgreiche Konzertreisen führten die Künstlerin in die Sowjetunion, CSFR, BRD, in den Libanon und Irak, nach Ägypten, Indien, Italien, Frank reich, Schweden, Rumänien, Polen und Bulgarien. Dirigent: Jörg-Peter Weigle Solistin: Eva Ander, Dresden, Klavier Jean Sibelius 1865-1957 Finlandia - Sinfonische Dichtung op. 26 Jürg Baur geb. 1918 Konzertante Musik für Klavier und Orchester (1958) Improvisation Scherzo Variationen Rhapsodie DDR-Erstaufführung PAUSE Antonin Dvorak 1841-1904 Sinfonie Nr. 7 d-Moll op. 70 Allegro maestoso Poco Adagio Scherzo (Vivace) Finale (Allegro) ZUR EINFÜHRUNG „Dem Musikleben Finnlands, wie auch der allgemeinen finnischen Kultur, ist ein spätes und rasches Hervorbrechen eigen, gleich dem nordischen Frühling, der nach langer winter licher Starrheit sozusagen über Nacht an bricht." So schrieb Ilmari Krohn, neben Sibe lius der markanteste Vertreter finnischer Musik aus dieser Generation. Schon im 17. Jahrhun- Brrt war die Welt auf den eigenartigen Schatz nnnischer Volkskultur aufmerksam geworden: 1835, als Elias Lönnrot die Runensammlung der „Kalevala" in gedruckter Form vorlegte, erreichte diese Entwicklung einen Höhe punkt, der sich bald auch auf das Ent stehen einer eigenständigen Kunstmusik aus wirken sollte. Jean Sibelius (1865—1957) verhalf dieser finnischen Musik um die Jahr hundertwende zu Weltruf. Dabei hat sein Werk für die nationale Unabhängigkeitsbewegung Finnlands, das bis 1809 zu Schweden, dann zu Rußlang gehörte und erst 1919 selbständi ger Staat wurde, eine große Rolle gespielt, in besonderem Maße die Tondichtung „Fin landia", deren Musik 1899 anläßlich einer politischen Demonstration gegen die zaristi sche Unterdrückung entstand. Durch und durch national empfunden, greift sie den Ton finni scher Folklore auf, ohne doch — wie Sibelius ausdrücklich versicherte — diese direkt zu zitieren („es herrscht eine irrige Meinung in der auswärtigen Presse, daß meine Themen oft Volksmelodien seien; bis jetzt habe ich nie ein Thema verarbeitet, das nicht meine eigene Erfindung gewesen wäre. So ist das themati sche Material von .Finlandia' . . . ganz und gar mein eigen"). — Mit düsteren Farben in einem markanten Blechbläsersatz beginnend, führt das Stück zu jubelnd hymnischem Aus klang. Bemerkenswert ist die für die Zeit der Jahrhundertwende auffallend „herkömmliche" Harmonik und Melodiebildung; die aphoristi sche Gedrängtheit, in der die einzelnen The men nebeneinandergestellt werden, erinnert an die Art Griegs oder mancher Tonbilder der russischen Schule. Der Reiz der einfailsstarken und prägnanten Thematik dieses Stückes hat sich aber bis heute frisch und unverbraucht erhalten, über das Sibelius sagte: „Wir haben 600 Jahre lang für unsere Freiheit gekämpft, und ich durfte der Generation angehören, die sie errungen hat. Freiheit! Meine .Finlandia' erzählt davon, sie war unser Kampflied, das zur Siegeshymne wurde." Jürg Baur, einer der prominentesten und meistaufgeführten Komponisten der BRD, ge boren 1918 in Düsseldorf, studierte an der Kölner Musikhochschule (bei Philipp Jarnach) und Universität, wirkte nach dem zweiten Weltkrieg als Kantor und Organist sowie als Dozent am Robert-Schumann-Konservatorium Düsseldorf, dessen Direktor er 1964 bis 1972 war. 1971 wurde er als Nachfolger Bernd Alois Zimmermanns als Professor und Leiter einer Kompositionsklasse an die Staatliche Musik hochschule Köln berufen. Sein umfangreiches Schaffen, das Sinfonien, sinfonische Dichtun gen, Solokonzerte, verschiedenste Besetzungen der Kammermusik, Chor- und Liederzyklen um faßt, erlebte seit 1950 eine starke Beachtung und Pflege im In- und Ausland, nicht zuletzt durch die Schallplatte, und wurde auch geför- der durch Kompositionsaufträge vieler Städte, Rundfunkstationen und Musikfeste. Seine „Sin fonischen Metamorphosen über Gesualdo" brachte die Dresdner Philharmonie 1985 zur DDR-Erstaufführung, die Visionen für Orche ster „Romeo und Julia" 1986 und die 2. Sinfo nie 1988. 1958 erhielt Jürg Baur den Robert-Schumann- Musikpreis Düsseldorf sowie 1960 und 1963 das Rom-Stipendium der Villa Massimo, de ren Ehrengast er auch 1930 war. Erst vor weni gen Wochen verlieh ihm das Land Nordrhein- Westfalen den Verdienstorden des Landes. Sein ästhetisch-stilistisches Programm umriß er einmal mit den Worten: „Es geht mir eigent lich immer wieder darum, die menschlichen Bezüge nicht zu verlieren und auch bei größtem Expressionsdrang nicht von den herkömmlichen Mitteln abzuweichen, diese allerdings bis an die Grenze des Möglichen zu führen. Es ist für mich generell oberstes Gesetz, nur das zu schreiben, was man bewußt hören kann." Nach dem Titel eines Büchleins über den Komponisten war Jürg Baur „nie Avantgardist", gleichwohl strebt er nach Synthese der ver schiedenen Kompositionstechniken zeitgenös sischer Musik von der erweiterten Tonalität bis zu seriellen und aleatorischen Verfahren. Jürg Baurs Konzertante Musik für Klavier und Orchester im Spiegel der Presse nach der Uraufführung im Januar 1959: „. . . sehr starken Erfolg. Dieser ist um so bemerkenswerter, als die viersätzige Arbeit die neuesten Techniken anwendet, also bei ei nem vorwiegend mit Beethoven und Brahms versorgten Publikum als ungewohnt und vom Vertrauten stark abweichend wirken muß. Aber Baur ist hier über serielle Regeln so glücklich ins Musikalische vorgedrungen, daß das auch konservative Hörer unmittelbar ansprach. Und darauf kommt es an. Suitenförmig einande folgende Stücke — Improvisation, Scherzo, Va riationen und Rhapsodie — sind beziehungs reich auch innerlich gekoppelt. Das rhythmi sche Geschehen waltet innerhalb eines großen und farbigen Instrumental-Apparates vor; doch kommt auch der Melodiker mit einem ver gleichsweise einprägsamen Thema zu Wort (3. Satz), dessen Veränderungen in vielfältige Formen Phantasie verrät. Das Klavier betätigt sich, spannend und lösend, am modernen Dia log, der den Vorzug hat, im guten Sinne ef fektvoll zu sein. Dem, was man musikar^Bh nennt, gelingt es (besonders, sobald es dwei akustische Nüsse zu knacken gibt) stets am ehesten, sich unmittelbar durchzusetzen. Baur hat erreicht, daß niemand erst umständlich fragt, warum ersieh angezogen fühlte" (Aache ner Nachrichten vom 3. 2. 59). . . . und im Rückblick des Komponisten vom Januar 1990 für die heutige Aufführung: „Nach über 32 Jahren — Begegnung mit der eigenen Vergangenheit; damals der erste Versuch eines mehrsätzigen, sinfonisch-konzertanten Werkes in großer Or chesterbesetzung — eine Herausforderung für einen Komponisten, der bis dahin vorwiegend Kammermusik schrieb, — und nun mit diesem Opus seinen Weg als Sinfoniker begann. Die .Konzertante': eine aggressive, fast zu aggres sive Musik, voll schneidender Dissonanzen, ge formt mit .harten' Zwölfton-Strukturen, erwach sen aus der Lust an Klangexplosionen, an schrillen Akzenten, am Ausprobieren des um fangreichen Schlagzeugapparats mit seinen vielfältigen Möglichkeiten an Farben und Rhythmen. Vielleicht etwas zu viel Dramatik und Pathos — zu viele spannungsvolle Steige rungen, zu viel Sturm und Drang — und fast zu wenig Raum für das lyrische Element, ck^ eigentliche Baur-,Movens'? Schwer zu entsc^B den, mehr als ein Menschenalter danach. TOr zwei Jahren hörten die Dresdner Musikfreunde die Sinfonie ,Aus dem Tagebuch des Alten', — ob sie ihn (den Alten) in seinem temperament vollen Jugendwerk wiedererkennen?" Der Komposition seiner Sinfonie Nr. 7 d-Moll op. 70 widmete Antonin Dvorak besondere Sorgfalt, wollte er sich doch — bei gleichzeitigem Blick auf seinen Freund und Gönner Johannes Brahms — zu den Höhen Beethovens emporschwingen. In einen Brief Dvoraks lesen wir: „Soeben be schäftigt mich eine neue Sinfonie, und wohin immer ich mich wende, habe ich nichts anderes