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— 101 — cher, hartnäckiger uud unbändiger, ist her Spott über alles, was man Herkommen und alte ehr würdige Gebräuche nennt, jemals ausgelassener und bitterer, ist die Widersetzlichkeit gegen alles Ansehen jemals allgemeiner und entschlossener, ist die Neigung, über alles zu sprechen und jeden Schritt der Regierung öffentlich zu tadeln, jemals wirksamer und verwegener, ist der Kampf gegen ^Ue bestehende Ordnung, gegen alles, was den wilden Leidenschaften des Herzens Zwang anthut, jemals angestrengter gewesen als in unsern Ta gen? — Ist es nicht offenbar, daß die gewöhnli chen Mittel, Unordnungen in allen Theilen der bürgerlichen Verfassung vorzubcugen nicht mehr hinreichen wollen? Erfolgten nicht bald da, bald dort Ausbrüche gewaltsamer Unternehmungen, die es unwidersprechlich beweisen, ein Geist der Unge bundenheit sei der Geist des zu Ende gehenden Jahrhunderts; er habe alle Ordnungen und Stände der bürgerlichen Gesellschaft ergriffen? Brauche ich noch zu sagen, wie bedenklich die ser Umstand sei, welche Gewallhätigkeiten er drohe, in welches traurige Chaos er alles zuverwandcln strebe." rc. rc. Wie wahr, wie treffend auch für die nachher gekommenen Zeitereignisse! — -— Der Heirathsantrag nach der Mode. Keinwart, der Kaufmannsdiener oder, wie sich dieses Menschengeschlecht lieber nennen hört, der Commis, saß im Ladenstübchen und laS einen Roman von Eugen Sue. Da klingelte die La. denthüre und der herbeikommende Commis mußte einem barfüßigen Prolctarierknäblein für einen Pfennig einen Bogen Papier behändigen. Kaum daß Reinwart wieder nach seinem Buche griff, er tönte abermals die Klingel und eine rauht Stimme begehrte für 6 Pfennige einen Hering. Eugen Sue und die übelriechende Hcringslonne, in welche Reinmarts Kinger, die soeben mir der reizenden Adrienne von Cordoville verkehrt hatten, greifen und einen roggenen Seebewohner heraussuchen soll ten! Halten sich denn die Käufer insgesammt verschworen, den auf Adrienne's Schicksal gespann ten Reinwart nicht zum Weiterlesen kommen, zu lassen? „Ein Loth gebrannten Kaffee — ein halbes Viertelchen Zucker — für einen Dreier Syrup — einen Lampendocht — für 6 Pfennige Baumöl — für einen Pfennig Essig — ein Stückchen Bast matle gratis —" Es war zum Verzweifeln! Reinwart, der sonst so höfliche, dienstfertige, froh gelaunt« Commis- welcher bisher die Käufer stets um baldiges Wiederkommen bat, verabreichte jetzt mit finsterer Miene und stumm die begehrte Waa?e, ja unterließ sogar, den zusprechenden hübschen Dienstmädchen die üblichen und darum erwarteten Schmeicheleien zu spenden. Endlich schien die Ebbe «ingetreten zu sein. Reinwart blickte mit spöttischem Bedauern auf die Kupfer- und kleinen Silbermünzen hin, die, kaum von dem Betrage eines Dritttheil. Thalers, ihn länger als eine Stunde von seinem Buche abgezogen hatten , und kehrte nun zu demselben zurück. Eben befand sich der jugendliche Leser in dem reizenden, mit orientalischer Pracht und Ueppigkeit ausgestattetrn Boudoir Adriennes; er fühlte sich von dessen - Wohlgerüchen berauscht, von Adriennes Liebreiz entzückt da trat zu ihm herein die gealterte, knochen« und faltenreiche Prinzipalin, Madame Füllmich, eine ehrsame Wittib, legte ihre dürre Hand auf des vertieften Lesers Achsel und sagte mit einer Stimme, welche dem Knarren einer ge drehten Kaffeetrommel ähnelte: „Reinwatt, Sie müssen auf der Stelle Kaffee brennen. Ich be darf eines glühenden Plattstahls und habe deß halb der Christiane geheißen, auf dem Heerde Feuer zu machen. Man muß das Holz schonen und mit einem Schlage zwei Fliegen todtschlagen. Ich will indeß im Laden bleiben. Sputen Sie sich, lieber Reinwart." - .7 Der liebe Reinwart wünschte, daß seine Prin zipalin jetzt selbst eine Fliege, seine Hand aber eine Fliegenklatsche sein möchte, um jene auf der Stelle aus dem Wege zu raumen. Da aber die ser Wunsch unerfüllt blieb und Reinwart den Ge horsam als die erste Bürgerpflicht anerkannte, so trennte er sich von seiner Adrienne, um draußen in der finstern Küche den lebenden Bratenwender vorzustellen. Sinnend starrte er in die Flammen. Die schwarze Kaffectrommel ward zu Adriennes liebreizendem Gesichte und die sie umgebenden Gluthen zu deren goldenem Haupthaar. Das eintönige Schnarren der Maschine verwandelte sich in Adriennes Flötenstimme und der leiernde Com mis in den Prinzen aus Asien. Was ist der, Phantasie nicht alles möglich?! „Herr Je, Mousje Reinwatt, Sie lassen ja den Kaffee verbrennen!" Diese Worte, von der alten Christiane, der Magd, kreischend ausgesto ßen, machten die Seifenblase Reinwarts platzen, verhalfen der funkensprühenden Kaffeetrvmmel auS dem Feuer und überdieß zu wiederholtem Schwen ken durch die Luft. Als jene aber ihr Thürchen öffnete und ihren Inhalt zu Lage fördertet da kamen lauter Mohren, kohlschwarz und ölig Hlän-