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16 nig Fürsprecher haben; allein viel, sehr viel ist gewonnen, wenn nur überhaupt etwas Gemeinsa mes zu Stande kommt. Das deutsche Volk hat alsdann in dem Chaos wenigstens einen festen Punkt gefunden, von dem aus je nach der einen oder der andern Richtung hin, seine Wiedergeburt von Neuem beginnen kann. Mögen die Resul tate der Conferenzen immerhin für Manche ein Gegenstand der Klage sein, es ist damit wenig stens für die Kritik, für das Streben und den Kampf der Völler ein gemeinsamer Mittelpunkt vorhanden. Jetzt ist es so mit uns bestellt, daß wir weder einen Gegenstand der Liebe noch des Hasses finden. Diese gänzliche Inhaltslosigkeit der Gemüther ist aber eben das Unglück der Zeit. Indessen wir stehen nicht auf diesem pessimisti schen Standpunkt; wir sind nicht gemeint, ein Urtheil zu sprechen, bevor nicht die Thatsache vor uns liegt. Es ist aber zu erwarten, daß aus die sen Conferenzen am Ende noch etwas Erträgli ches hervorgeht. Die Verhältnisse sind mächti ger als die Berechnungen der Menschen. Es ist gewiß, daß die zwingende Nothwendigkcit für Deutschlands Völker sorgt und den Diplomaten im Brühl'schen Palais aufgiebt, die gerechten Wünsche derselben nicht ganz unberücksichtigt zu lassen. Können wir daher auch nicht mit allen Segeln der Hoffnung in die andere Hälfte des neunzehn ten Jahrhunderts cinlaufen, wollen wir wenigstens nach und nach ein Segel um das andere vor dem Wehen des unergründlichen Weltgeistes entfalten. Die Geschichte, die Cultur, das Gute und Edle werden vorwärts gehen, und wenn sich auch alle Diplomaten der Welt dagegen stemmen wollten. Wer von uns wünschte sich, ungeachtet alles ge genwärtigen Jammers,, trotz aller Zerrissenheit und Hoffnungslosigkeit, in die Zeit und die Zu stände zurück, wie sie im Jahre 1801 in Deutsch land waren? Gewiß Niemand, und so wird sich im Jahre 1901 sicherlich kein Mensch in unsere Zeit zurückwünschen. Bis dahin wird der Same, welcher jetzt in Sturm und Wetter ausgesät wor den, aufgegangcn, Früchte zu tragen anfangen. Doch wir hören die zwölfte Stunde vom na hen Thurme herniedersummen, die Markscheide ist gezogen — ein halbes Jahrhundert ist mit seinen Leiden und Freuden hinüber. — Der Glocken fei erlicher Klang begrüßt von unsers Tempels Zinne den Zwillingsbruder des Jahrhunderts und das Neujahr. „Friede sei ihr erst Geläute!" — Friede zwischen den Völkern Deutschlands, bilden sie doch alle eine einzige Familie — Friede zwischen den Fürsten, sollen sie doch Landesväter sein, welche Segen über ihre Völker spenden — Friede zwischen Regierungen und Völkern, und der wird herrschen, wenn Recht, Gerechtigkeit, Wahr heit und Licht, Tugend und Sittlichkeit die gemeinsamen Zielpunkte des Strebens sein werden — Friede unter uns Allen, denn Zwie tracht und Hader zerstören Staaten und Häuser. Wenn eisst nach fünfzig Jahren ein Zufall die ses Blatt in die Hände eines Sohnes des zwei- tauscndsten Jahrhunderts führt, dann wenn viel leicht auf dem Grabhügel Desjenigen, der es be schrieben, und Derjenigen, welche es heute lesen, das schlanke Gras vom Winde geschaukelt wird, so soll er nicht sagen, baß wir gänzlich am Va terlande, an der Vorsehung, an dem Siege der Wahrheit und des Rechtes verzweifelt hätten. Muth und Vertrauen in schlimmer Zeit ist des Mannes echte Währung. Aus dem Klosterleben. Feßler erzählt in seinen „Rückblicken auf seine siebzigjährige Pilgerschaft" — welche Schrift so eben in einer zweiten, vom Prof. F. Bülau be sorgten und mit einem Vorwort eingeleiteten Auf lage erschienen ist — seine Entdeckung der Klostcr- gräucl, deren Mittheilung an den Kaiser Joseph zu Untersuchungen und durchgreifendsten Reformen Veranlassung gab, welche dem inbumanen Mis- brauch der geistlichen Macht ein Ziel setzten, fol gendermaßen : In der Nacht vom 23. zum 24. Febr. (1782) nach der elften Stunde wurde ich von einem Lai enbruder geweckt. „Nehmen Sie", sprach er zu mir, „Ihr Crucisix und folgen Sie mir." Er schrocken fragte ich: Wohin? „Wo ich Sie hin führen werde." Was soll ich? „Das werde ich Ihnen dort sagen." Ohne zu wissen, wohin und wozu, gehe ich nicht. „Der Guardian hat, kraft des heiligen Gehorsams befohlen, daß Sie mir folgen, wohin ich Sie führe." Sobald vom heiligen Gehorsam die Rede ist, muß unbedingt geschehen, was befohlen wird. Jede weitere Weigerung ist ein Capitalverbrechen. Unser Weg ging durch die Küche, aus dieser durch ein paar Kammern. Bei Eröffnung der letzten rief mir der Bruder zu: „Sieben Stufen hinun, ter!" Mir ward cs eng ums Herz, cs schien mir entschieden, daß ich kein Tageslicht mehr sehen sollte. Wir gingen durch einen langen, schmalen Gang, in dem ich rechts in der Mitte desselben einen kleinen Altar, links einige mit Hängeschlös sern verschlossene Thüren entdeckte. Mein Führer