HOHE MESSE IN H-MOLL Dieses gewaltige Werk, in das in würdiger Weise einzuführen ein ganzes Buch erforderlich wäre, steht in enger Beziehung zum sächsischen Herrscherhaus und damit auch zu Dresden. Am 21. April 1733 fand im Rahmen der Erbhuldigungs feier der Stadt Leipzig früh 7 Uhr in der dortigen Nikolaikirche ein Festgottes dienst statt, in dem Bach das Kyrie und Gloria aufführte. Das Kyrie erinnert verschiedentlich an die Trauerode, die am 17. Oktober 1727 in der Leipziger Universitätskirche zu Ehren der verstorbenen Kurfürstin Eberhardine unter Bachs Leitung erklang. Das Kyrie war als eine Art Requiem für den am 1. Februar 1733 heimgegangenen August den Starken gedacht. Mit dem Gloria wollte Bach dem neuen Kurfürsten huldigen, auf den er große Hoffnungen setzte. Außer der bereits erwähnten (Gratias [1. Chor] aus der Ratswahlkantate) hat Bach noch eine Anleihe bei sich selbst ausgeführt, indem er den Einleitungschor der Kantate „Schauet, doch und sehet“ zum „Qui tollis peccata“ umarbeitete. Kyrie und Gloria faßte Bach als Missa zusammen und überreichte am 27. Juli 1732 die Stimmen dem Kurfürsten mit der Bitte um Verleihung „eines Praedicats von Dero Hoff-Capelle“. Den erbetenen Titel erhielt der Meister erst drei Jahre später. Obwohl sich mit der Einreichung der Missa-Stimmen für Bach eigentlich die Sache erledigt hatte, komponierte er doch gar bald die ganze Messe durch. In Leipzig hätte er das Riesenwerk nie aufführen können. Auch in Dresden wäre eine Auf führung nicht möglich gewesen, da die Hofkirche erst später erbaut wurde. Der kürzlich verstorbene Musikgelehrte Arnold Schering hat die Vermutung aus gesprochen, Bach hätte die Hohe Messe als Ganzes für die im Jahre 1734 statt gefundene Königskrönung in Krakau geschaffen, sei aber einem anderen Musiker gegenüber, dessen Namen wir nicht wissen, unterlegen. Daß nicht alle Teile der h-moll-Messe Originalmusik sind, wurde bereits zum Teil gezeigt. Im Credo und Confiteor ertönen alte Gregorianische Weisen. Wahr scheinlich wollte Bach damit zeigen, daß diese Glaubenssätze den christlichen Kirchen gemeinsam sind. — Das Osanna ist aus dem Chor „Preise dein Glücke, gesegnetes Sachsen“ hervorgegangen. — Expecto resurrectionem ist ein Meisterwerk umgestaltenden Schaffens. Der Kantate „Gott, man lobet dich“ ent nahm Bach das glanzvolle Vorspiel zum 2. Chor und fügte dem Instrumentalsatz einen 5 stimmigen Chor ein. Ferner vermehrte er den 4 stimmigen Satz des Chores „Jauchzet, ihr erfreuten Stimmen“ um eine selbständige 5. Stimme. Im Dona nobis pacem hat Bach das Gratias fast notengetreu wiederholt. Bedenkt man, welch reiche musikalische Mittel Beethoven in der Missa solemnis verwendete, um die „Bitte um inneren und äußeren Frieden“ in Tönen auszu drücken, so könnte man meinen, Bach habe wenig Zeit gehabt oder sich am Schluß der Hohen Messe keine Mühe mehr gegeben. In Wirklichkeit aber entsprach die Übereinstimmung des Gefühls der Dankbarkeit gegen Gott mit dem Bitten um Frieden Bachs religiöser Grundeinstellung. In seiner Brust rangen nicht zwei verschiedenartige Seelen miteinander, sondern Bach war eine in sich einheitliche Persönlichkeit. Als gläubiger Protestant brauchte er sich im Ringen nach Frieden nicht förmlich zu verzehren. Er trug diesen Frieden bereits in sich und war Gott hierfür dankbar. Fritz Müller.