Volltext Seite (XML)
ZUR EINFÜHRUNG Die Musikgeschichte nennt Anton Bruckner mit Recht einen Sinfoniker, „nicht weil er im wesentlichen Sinfonien geschrieben hat oder weil er mit der Zahl neun in Beethovens Nachbarschaft steht, sondern weil er in dieser Form sein Gültiges so ausgesagt hat, daß wir es aus der Entwicklungsgeschichte der Sinfo nie nicht mehr wegdenken können. Bruckner hatte unablässig gelernt, geübt und ausgeübt, das letztere nicht wie ein Instrumentalsolist oder Dirigent auf breiter Basis, sondern auf der Orgelbank. Er hatte musikalisches Kapital in kleiner Münze angehäuft, aber nicht, um es wie ein Geizhals zu horten, sondern um Zin sen daraus zu schlagen zu gegebener Zeit. Er war, als er die Reihe seiner Sinfonien begann, weder ein Mann der kühlen Berechnung, der sich etwa gesagt hätte, dies oder jenes ver langt die Gegenwart, noch war er einer, der in blinder Vermessenheit nach den Sternen griff, sondern das Große, hier die Sinfonie, war ihm gerade groß genug, um es auf seine Art zu füllen, zu erfüllen" (M. Dehnert). Be rechtigt wies Friedrich Blume darauf hin, daß Bruckners Weltanschauung von einer Reihe elementarer Gegensatzpaare bestimmt ist: „Gott und Teufel, Leben und Tod, Gut und Böse, Seligkeit und Verdammnis, Licht und Fin sternis, Niederlage und Sieg sind die Welt, in der er lebt." „Das ist auch die Welt, die in Bruckners Musik dargestellt ist. Um seine Vor stellungswelt sinnfällig, bildhaft darzustellen, hat Bruckner eine Tonsprache von großer Ein dringlichkeit entwickelt. Man hat in der Be schreibung der Brucknerschen Tonsprache ihre Abhängigkeit von Richard Wagner oft über Gebühr betont. Nur in seiner Harmonik zeigt Bruckner Wagnersche Einflüsse. Seine Melo dik kommt weit eher aus der Tradition Beet hovens und Schuberts. Aber auch der Einfluß Bachs ist in den kurzen, prägnanten und im Hinblick auf kontrapunktische Arbeit erfun denen Themen nicht zu überhören. Bei alle dem ist Bruckners Tonsprache äußerst origi nell" (G. Knepler). Bruckners Sinfonien, insgesamt Höchstlei stungen der Sinfonik des vergangenen Jahr hunderts, weisen eine ganz unverwechselbare Organik auf. Wohl kennen auch sie die vier Sätze der Beethovenschen Sinfonie, die the matisch-motivische Arbeit. Aber Bruckner stellt nicht wie Beethoven dualistische Themen, etwa ein männliches und ein weibliches ge genüber, sondern läßt seine Themen (oft drei in einem Satz!) sich gleichsam aus dem Nichts entfalten zu zwingenden Melodiebögen, ja melodischen Blöcken (diese Entwicklung hält selbst in der Durchführung an). Weniger also dialektische Auseinandersetzung, sondern mehr thematisch-geistiges Wachstum zeigen diese Werke. Bruckners musikalisches Bau prinzip, das gewaltige Klangblöcke neben Episoden von innigstem Ausdruck setzt, wird meistens im letzten Satz gekrönt, wenn alle Themen der Sinfonie in großartig-hymnischer Schlußsteigerung wiederkehren. Bruckners Ton sprache atmet spätromantischen, klang schwelgerischen Geist. Die Melodienseligkeit der Volksmusik seiner oberösterreichischen Heimat hat ihn oft genug inspiriert. Monu mental, riesenhaft sind die äußeren Formen der Brucknerschen Sinfonien, die einmal „zy klopische Orgelimprovisationen" genannt wur den, doch niemals sind sie formlos. Ihre Ge setzmäßigkeiten erschließen sich nicht auf den ersten Blick, sondern erfordern vom Hörer in tensivste Aufmerksamkeit und Hörbereitschaft. Bruckner hat an seiner 8. Sinfonie in c-Moll von 1884 bis 1887 gearbeitet. Zu seinem Leidwesen brachte ihm aber die abge schlossene Arbeit nicht das erwartete Lob und Verständnis seiner Freunde. Hermann Levi, Joseph Schalk und andere bedrängten ihn, das gewaltige Werk einer Revision zu unter ziehen. Bald regte sich Bruckners erschüttertes Selbstbewußtsein wieder, und er begann Mitte