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— 100 —- durch alle Herzen, und ein lautes Schluchzen er hob sich in der Kirche, während er selbst bebend die Kanzel verließ. „Laß uns ein wenig in's Freie gehen!" sagte Reinhagen zu seiner Tochter, als sie^aus der Kirche zurück gekommen waren, und-er sich um gekleidet hatte. „Wir haben heute noch eine hei lige Stätte zu besuchen!" — Ada folgte dem Vater, und so gingen sie hinaus auf das Schlacht feld und erstlegen daselbst einen Hügel, von dem sie es frei übersehen, konnten. ' ^„An jener Waldspitze also?" -- fragte der „Ja, dort ist er gefallen!" entgegnete Ada: „Im tiefen Dickicht erhebt sich dort der große Grabhügel, >wo unter den vielen Tapfern auch unser Joseph ruht!" Um den Hügel, auf dem sie standen, wogte jetzt das reife Korn, aus den grünen Angern weideten die Hecrdcn, und auf den vielen Degen im Thale sah man bunte Gruppen von Menschen wandeln, die auch dies Feld besehen wollten. Der Friede hatte das blutige Bild des Krieges ausgelöscht und auf derselben Tafel sein liebliches, kindlich frohes Antlitz gemalt. Doch Reinhagen stand unbeweglich und blickte schweigend nach der Waldspitze hin, während ihm große ThräaenÄber die bleichen Wangen rollten. Ein Wagen hielt unten am Hügel und zwei Fremde stiegen ebenfalls hinauf. Der Prediger - snv seine Tochter bemerkten sie nicht, und indeß Ada liebend und besorgt ihre Arme um den Va ter schlang und dieser einen Kuß auf die Stirn des Mädchens drückte, ging der älteste der beiden Fremden freundlich auf sie zu, bot dem Alten die Hand und sagte: „ich bin auch Vater! haben Sie einen Sohn dort unten verloren?" " : „Ja" antwortete dieser, und zeigte nach der Waldspitze und wendete sich ab, um seine Thrä^ nen zu verbergen. „Ärmer Vater!" sprach der Fremde: „waren Sie heut nicht in der Kirche? haben Sie auS jener trefflichen Predigt nicht auch reichen Trost geschöpft?" „Ich bin getröstet!" erwiederte Reinhagenund sah ihn mild und freundlich an. Da erkannte der Fremde den Prediger wieder, der von der Kanzel auch zu ihm gesprochen hatte; er breitete seine Arme aus und zog ihn an die Brust. Die beiden Alten vertieften sich bald in ein ernstes Gespräch, indeß sich der junge Mann, «in schöner schlanker Jüngling, von Ada erzählen ließ„was sie von der Schlacht wußten — Er lä chelte zuweilen bei ihrer begeisterten Schilderung und sagte endlich: : , > „Wie schön es nicht aus Ihrem Munde klingt, wenn Sie die Heerhaufen so muthig anrücken lasten! Aber. es war auch ein großer, heiliger Lag, und ich bin stolz, unter jenen Freiwilligen mitgefochten zu haben, die Sie die kühnen Ret ter deS Vaterlands nennen!" Es fand sich nun, "daß der junge Mann Ada's Bruder gekannt hatte und daß sie Freunde ge wesen waren. Sie erfuhr von ihm, daß auch er dort an jener Waldspitze, wo daS Gefecht am hartnäckigsten gewesen, an ihres Bruders Seite gestritten und auch eine schwere Wunde au der Hand erhalten habe. Die Sonne war dem Sinken nahe; der Fremde wollte scheiden; er faßte die Hand des Predigers und sagte: „Mir ist der heutige Tag durch Ihre Bekanntschaft sehr werth gewordene deshalb er lauben Sie mir eine theilnrhmende Frage: Wie kommt es, daß ein Mann von. solchem Geistund Gemüth sich auf dieser dürftigen Stelle befindet?" „Ich bekleide sie erst seit zwei Jahren! " ent gegnete Reinhägen bescheiden: „aber ich muß glau ben, daß ich hier an meinem Platze stehe, denn sonst würde das Schicksal mich wohl anderswo gelassen habend . . „Waren Sie denn einst glücklicher und ist dies« Stelle nicht Ihre freie Wahl?" „Ja, ich war einst viel glücklicher!" antwor tete der Geistliche sehr bewegt: „aber jetzt steht mir keine Wahl mehr frei! — Hohen Sie denn niemals," fuhr er nach einer Pause fort, „von dem Pfarrer, aus Jmmenhayn gehört, der, wie Kain, seinen Bruder erschlagen haben sollte?" „Wie?" fragte der Fremde etstaunt: „Sie sind der unglückliche Thomas Reinhagen?" „Ja!" sprach der,Prediger; „ich bitt's!" . Der Fremde, schien betroffen und schwieg einige Augenblicke; dann sagte er: , „Leben Sie wohl! Sie sind gewiß unschuldig! ich hoffe, wir werden uns froher wieder sehen!" und hiermit stieg er, nebst dem Jünglinge, den Hügel hinab, und der Wagen rollte davon, auS welchem der letztere oft noch zurück grüßte.' Thomas Reinhagen bekleidete einst hie schöne Pfarrstelle zu Jmmenhayn. Sein alter Vater, der früher Oberamtmann gewesen, und durch weise Thätigkeit reich geworden war, hatte sich nach dem Lode seiner treuen Hausfrau von allen grö- ßern Geschäften zurückgezogen und sich zu Immen-