Volltext Seite (XML)
Von frühester Jugend bis in seine letzten Le bensjahre hat Mozart Arien und dramatische Szenen komponiert, die in ihrer Mehrzahl nicht für das Theater bestimmt waren, obwohl ihnen meistens Operntexte zugrundelagen und sie häufig als Austauschstücke für weni ger wirkungsvolle Arien älterer oder zeitge nössischer Opern bzw. als Einlagen in Mo zarts eigene Werke oder fremde Opern ver wendetwurden. Alle diese Einzelkompositio nen - Gelegenheitsstücke also für bestimmte Anlässe oder Interpreten - bilden zusammen genommen eine ansehnliche Werkgruppe, unter denen sich eine Reihe bedeutender (freilich oft nur dem Fachmann bekannter) Stücke befindet, die unter dem Gattungsbe griff „Konzertarie" zusammengefaßt werden, der jedoch weder in Dokumenten von Mozarts Hand noch überhaupt im 18. und frühen 19. Jahrhundert begegnet. Es handelt sich dabei durchaus nicht um eine eigene Gattung wie etwa Sinfonie oder Konzert, sondern um nach Entstehungsbedingungen und Charakter höchst verschiedenartige Ge sangsstücke, die in Kammer und Konzert auf geführt wurden. Denn es war zu Mozarts Zei ten und noch lange danach üblich, in öffentli chen und halböffentlichen „Akademien" In strumentalmusik und Gesangsdarbietungen zu mischen. Mozart hat etwa ein halbes Hun dert solcher Werke für Solostimme und Or chester, durchweg Auftragskompositionen, geschaffen, mehr als die Hälfte für Sopran, nur acht für Tenor, sieben für Baß und eines für Alt. Die Textvorlagen stammten häufig von Pietro Metastasio oder von seinem Librettisten Lorenzo da Ponte. Im Falle der heute erklingenden Arie „Per questa bella mano" für Baß, obligaten Kon trabaß und Orchester KV 612, komponiert am 8. März 1791 in Wien, ist der Textautor ebenso wie ein eventueller szenisch-drama tischer Zusammenhang unbekannt. Das Stück gehört zu einer Gruppe später Arien, die durch ausgiebige Verwendung solistischer (obligater) Instrumente auffallen. Bestimmt war die Komposition für den seriösen Bassi sten Franz Xaver Gerl (1764-1827), der der erste Sarastro in der am 30. September 1791 uraufgeführten „Zauberflöte" werden sollte, auf dessen Partie schon manches hindeutet, und für den namhaften Kontrabaßvirtuosen Friedrich Pischelberger, der einst mit Ditters dorf zusammengearbeitet hatte. Beide Künst ler gehörten übrigens, wie auch Gerls Frau, die nach zeitgenössischen Berichten Mozart durch ihre Reize völlig in ihre Netze gezogen haben soll, zur Theatergesellschaft Emanuel Schikaneders, der damals Impresario und Schauspieler am Wiener „Theater auf der Wieden" war, und Mozart das „Zauberflö- ten"-Libretto und sich selbst darin die Rolle des Papageno schrieb. Der findige Schikaneder wird es denn wohl auch gewesen sein, der Mozart auf die Kom position der Arie mit ihrer etwas kuriosen Be setzung gebracht haben dürfte. Der für dama lige Verhältnisse recht virtuos behandelte Kon trabaß - nicht zu Unrecht ist auf die Nähe die ses Parts zu den Baß-Konzerten von Dittersdorf aufmerksam gemacht worden - erweckt im Verein mit der mehr getragenen Führung der Baßstimme trotz des ernsten Textes, eine Liebeserklärung, „einen leicht humoristischen Eindruck", wie es der Mozart-Forscher Her mann Abert formulierte. Und auch ein anderer beutender Mozart-Biograph, Alfred Einstein, weist auf den „ungewollt oder gewollt etwas parodistischen Anhauch" des gleichwohl kompositorisch höchst bemerkenswerten, sub stanzreichen Stückes hin, das möglicherweise als Einlage in eine Buffa-Oper bestimmt war.