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ZUR EINFÜHRUNG Bis 1800 waren die Grenzen zwischen Kam mermusik und Sinfonik, zwischen intimem und festlich-repräsentativem Musizieren, ja zwi schen Konzertsaal- und Freilichtaufführungen fließend. So gibt es gerade von Haydn und Mozart sowie ihren Zeitgenossen eine Fülle von Werken, die zwischen Kammermusik und Sinfonik stehen, zwischen Konzertantem und Sinfonischem, die in geschlossenen Räumen ebenso wirken wie im Freien. Zu solchen Schöpfungen, „Unterhaltungsmusik" im be sten Sinne des Wortes, rechnen neben den zahlreichen Divertimenti und Kassationen auch die etwa 30 graziösen Serenaden und Nachtmusiken Wolfgang Amadeus Mozarts, die meist frühen Schaffensperioden des Kom ponisten entstammen. Die Serenata notturna KV 239, eine dieser Kompositionen, nannte der Mozartforscher Alfred Einstein „eines der bezauberndsten Frühwerke Mozarts, nach Klang und Melo dik". Über Entstehungsanlaß und erste Auf führung der im Januar 1ZZ6 von dem damals 20jährigen komponierten Serenata ist uns nichts bekannt geworden. Einem solistisch besetzten Streichquartett (einem „Concerti no" im Sinne des älteren Concerto grosso) wird hier ein Streichorchester gegenüberge stellt, das allerdings zumeist nur verstärkende Funktionen hat, bisweilen aberauch selbstän dig in das musikalische Geschehen eingreift; hinzu treten Pauken. Das in seinem Charakter sehr launige und humorvolle Musikstück ist dreisätzig ange legt. Es beginnt mit einem Aufzugsmarsch der Spieler in „majestätischem" Tempo (Marcia, maestoso), der an die Stelle des üblichen er sten Allegro-Satzes tritt. Der zweite Satz ist ein Menuett mit einem solistischen Trio des Concertinos. In das Finale, ein Rondo mit zierlich-elegantem Hauptthema, sind zwei Intermezzi eingefügt, die nach Ansicht Ein steins nicht von Mozart selbst stammen, son dern dem damaligen Publikum bekannte Zita te darstellen: eine kurze Adagio-Episode und ein anschließender wieder marschähnlicher Allegro-Teil. Mozarts Klavierkonzert c-Moll KV 491 ge hört zusammen mit den Konzerten Es-Dur (KV 482) und A-Dur (KV 488) zu einer Gruppe von drei Klavierkonzerten, die, in den Winter monaten 1785/86 geschrieben, in der geisti gen Atmosphäre entstanden sind, die die Ar beit an „Figaros Hochzeit" umgibt. Von die sen drei Konzerten ist das c-Moll-Konzert, das am 24. März 1786 vollendet und am 7. April von Mozart in einem seiner Wiener Subskriptionskonzerte gespielt wurde und dessen Köchel-Nummerderdes „Figaro" un mittelbar vorangeht, entschieden das bedeu tendste. Es nimmt mit einem Vorstoß in Gebie te der Romantik einen ganz eigenen Platz im Gesamtschaffen Mozarts ein, in ihm offen bart sich deutlich die geistige Wandlung, zu der sich der Komponist zu dieser Zeit in einem schmerzvollen Reifeprozeß hindurchrang. Das ganze Werk atmet tiefe Tragik, düstere Leidenschaftlichkeit. Es ist verständlich, daß Beethoven, der die innere Verwandtschaft dieser Musik zu seiner eigenen fühlte, dieses Konzert besonders geliebt hat. Eine große Orchesterbesetzung (der reichste Orchester apparat, den Mozart jemals in einem Konzert einsetzte), eine höchst bedeutsame Behand lung und Anwendung der Bläser (Oboen und Klarinetten) weisen auf den ausgeprägt sinfo nischen Charakter des Werkes hin, für das ferner eine Verwischung der Grenzen zwi schen Dur und Moll der gleichen Stufe wie überhaupt eine Neigung zur Abschwächung der Gegensätze, zur Betonung eines einheit lichen Flusses bezeichnend sind. Der sehr in sich geschlossene erste Satz (Al legro) zeigt in seinem ausgesprochen auf Chromatik gestellten Klangcharakter beson ders stark das romantische Gepräge des Kon zertes. Das zuerst von Streichern und Fagot ten einstimmig vorgetragene Kopfthema des Tutti, das vom Solisten aufgenommen wird,