Volltext Seite (XML)
kennzeichnet, aber auch dem Dramatischen (vor allem auf dem Gebiet der komischen Oper) und Effektvollen (in verschiedenen Or chesterwerken) zugewandt ist. Daß Ibert ein Meister der flüssigen, parlandomäßigen musi kalischen Diktion ist, zuweilen nicht ohne einen ironischen, aber immer liebenswürdigen Zug, beweist sein im Jahre 1934 komponiertes, im gleichen Jahr von Marcel Moyse in Paris ur- aufgeführtes Flötenkonzert. „Esprit, Scherz, Ironie, aber auch Innigkeit des Aus drucks sowie virtuose Anlage des Flötenparts haben das Werk zum beliebtesten Flötenkon zert unseres Jahrhunderts gemacht", stellte Hansjürgen Schaefer zu Recht fest. „In ihm ist der Geist klassisch-französischen Divertisse ments auf neue Weise lebendig.“ Von heiterem, leichten Charakter ist der erste Satz, in dem sich zwei Themen gegenüberste hen, von denen das erste, hurtig laufende dem ganzen Satz sein Gepräge verleiht. Das zarte Andante hat impressionistisches Flair. Der Schlußsatz wirbelt nur so dahin. Rhythmische Feinheiten verleihen ihm eine besonders sprit zige Haltung. Die Proklamation der Selbständigkeit Finn lands am 6. Dezember 1917 bedeutete leider keine Entspannung in den chaotischen Ver hältnissen, die auf die russische Revolution folgten. Die Unruhen im Lande griffen um sich, Streiks, Plünderungen und Morde bil deten Einleitung und Fortsetzung in dem tra gischen Bürgerkrieg, der nun ausbrach und den jungen Staat in ein blutiges Schlachtfeld verwandelte. Gegen Ende der aufreibenden Zeit, die durch den Weltkrieg eingleitet wurde und mit Finnlands Freiheitskrieg zu Ende war, war Jean Sibelius von einem überschweng lichen Gefühl befreiter Schaffenskraft erfüllt. In einem denkwürdigen privaten Brief vom 20. Mai 1918 hat er selbst mit einem wunder baren, charakteristischen Vergleich angedeu tet, in welchem Zustand er sich damals be fand: Als wäre ich eben dabei, das Le ben zu verlassen und schösse, während ich in mein Grab herniederstieg, einen Adler im Fluge, zielte lange und genau, ohne auch nur einen Augenblick zu bedenken, was mir be vorsteht. “ Um Neujahr 1923 gastierte der Mei ster in Schweden und Norwegen. Bei seiner Abreise hatte er, nach seiner eigenen Aus kunft, drei Sätze der 6. Sinfonied-Moll o p. 104 fertig. Bei der Heimkehr war das ganze Werk vollendet, und am 19. Februar wurde es unter der Leitung des Komponisten in Helsinki uraufgeführt, „als ich zum letzten Mal in der Heimat dirigierte", sagte er. (Zum letzten Male überhaupt als Dirigent ist Sibelius im Jahre 1924 in Kopenhagen auf getreten.) Ihrer formalen Konzentration und der Begren zung des musikalischen Materials nach kön nen wir die 6. Sinfonie als ein Mittel zwi schen der asketischen „Vierten" und der ex pansiveren „Fünften" bezeichnen. Das Streben nach Konzentration erreicht schließlich seinen Höhepunkt mit der einsätzigen 7. Sinfonie. Die Grundstimmung der „Sechsten" liegt in dem Gefühl von Klarheit und Gleichgewicht, das sie vermittelt, und in dem sorgfältigen, von männ licher Reife diktierten Vermeiden aller Extre me. Die Instrumentierung ist weder üppig noch dürftig (aber der Meister gestattet sich darin den Luxus einer Harfe, die er seit der 1. Sinfonie nicht mehr verwendet hat, und einer Baßklarinette, die er sonst in keiner sei ner Sinfonien verwendet). Das musikalische Geschehen drückt sich in neutralen Farbtö nungen aus, milde und weiche Lichter herr schen vor, die Tempi sind weder besonders rasch noch langsam und die dynamischen Ge gensätze niemals heftig oder gar gewaltsam. Die eigenartige, mit dem dorischen Moll ver wandte tonale Atmosphäre gibt allen vier Sätzen des Werkes eine verbindende, seelische Einheitlichkeit, ohne daß man irgendwelche direkt gemeinsame Motive feststellen könnte. Nach Jussi Jalas’ Feststellung aber verdient doch unterstrichen zu werden, daß das Thema, aus dem die ganze Sinfonie organisch hervor gewachsen ist, von diesem dorischen Zug ge prägt wird. Mit logischer Notwendigkeit ist er deshalb auch dem ganzen Werk eigen. Die Sinfonie beginnt schlicht und ruhig in friedvoll dahinfließenden Linien, die von den Streichern getragen werden. Aus diesem kla ren, von Andacht erfüllten Hintergrund löst sich die von den Holzbläsern eingeführte erste Version des Hauptthemas. Ein für den sinfo nischen Spätstil Sibelius' sehr charakteristischer Zug ist es, wie er kleine motivische Fragmente, z. B. Terzpassagen der Holzbläser, einführt, ausnutzt und entwickelt. Der Satz baut sich nach dem Gesetz der Sonatenform auf, und