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ZUR EINFÜHRUNG Benjamin Britten, der als der bedeu tendste englische Komponist seit Henry Purcell (1659-1695) gilt, studierte bei F. Bridge und am Royal College of Music in London bei J. Ireland. 1935—1939 arbeitete er mit dem Dich ter W. H. Auden zusammen, war 1947 Mitgrün der der English Opera Company und 1948 des Aldeburgh Festival und trat auch als Pianist (Begleiter des Tenors Peter Pears) sowie als Dirigent hervor. Im Jahr seines Todes, 1976, wurde er zum Pair of England erhoben. Seine Musik, die vielerlei Anregungen verschmolz, wurzelt fest in der Tonalität, zeigt eine ausge prägte, übersichtliche Faktur und betont die klanglich-melodische Dimension. Als Kompo nist von Opern und lyrischen Gesangsstücken war er am erfolgreichsten, konnte jedoch auch mit Orchesterwerken, Konzerten und Kammer musikwerken nachhaltige Erfolge erringen. Brittens bedeutendstes Orchesterwerk ist die Sinfonia da Requiem, 1940 als Toten opfer für die Eltern geschrieben. Der Titel die ses Werkes, insbesondere die einzelnen Satz bezeichnungen Lacrymosa - Dies irae - Re quiem aeternam, lassen erkennen, daß der Komponist keine abstrakte Sinfonie schreiben wollte, sondern eine angemessene Form für den Ausdruck der Trauer, des Gedenkens such te. So ist die geistige Haltung dieser Sinfonie nur gefühlsmäßig, nicht aber liturgisch der katholischen Totenmesse verwandt. In den drei pausenlos aufeinanderfolgenden Sätzen hat Britten meisterhaft Opernpathos mit sinfoni scher Intensität verbunden, kommt er zu einer allgemein verständlichen musikalischen Aus sage, die nuancenreich, dramatisch und lyrisch ist. Auffallend ist die Dichte, Geschlossenheit und Einheitlichkeit der motivischen Arbeit in den drei Sätzen, die nur ungenügend mit den tradi tionellen Bezeichnungen als Sonatensatz, Scher zo und Finale charakterisiert würden. Der erste Satz „Lacrymosa" (Andante ben mi- surato) ist ein breit angelegtes Lamento, ein Klagegesang, mit dem tonalen Zentrum D. Nach schweren, lastenden Pauken- und Kla vierschlägen der Einleitung erklingt in den Celli das synkopierte, sequenzartig sich fort setzende Hauptthema, dem Gestalt und Cha rakter der folgenden Themen (darunter ein Se'ptimenmotiv des Saxophons) verwandt sind. Der Satz entwickelt sich in einem großen Stei gerungsbogen. Die Musik drückt hier Trauer und Verzweiflung aus (beharrliche Synkopen im Sechsachteltakt). Der zweite Satz „Dies irae" (Allegro con fuoco) schildert die chaoti sche Unruhe, das Grauen und die Furcht des Jüngsten Gerichts. Die musikalischen Mittel sind demgemäß greller, kontrastreicher als im ungemein einheitlichen ersten Satz. Erregte Motorik ist das hauptsächliche Merkmal dieses faszinierenden „Totentanzes". Das rhythmisch profilierte Hauptmotiv beginnt - zuerst im Pianissimo — in den Flöten. Drohend steigert sich das musikalische Geschehen: Einwürfe der Pauken, Episoden im Blech, Läufe der Holz bläser, Trompetensignale, schließlich die Ka tastrophe. Als Mittelteil erscheint eine trauer marschähnliche Saxophonmelodie, eine Ab wandlung des Trauerthemas aus dem ersten Satz. Die Reprise bringt eine erschütternde Steigerung. Bizarre Unisono-Gänge des gan zen Orchesters, Glissandi führen zu einem plötzlichen Stillstand auf dem tonalen Zen trum D. Die Unisono-Linie verliert an Heftig keit und wird schließlich zur typisch wiegenden Begleitfigur (Harfe, Streicher) des letzten Satzes „Requiem aeternam" (Andante molto tranquillo), dessen Dur-Thema die Flöten an- stimmen. Mit seiner wiegenden Harfenbewe gung gleicht es einem Schlummerlied. Der dreiteilige, formal ausgewogene Schlußsatz weist ebenfalls einen Mittelteil auf, der wie der, wenn auch nunmehr versöhnlicher, das Trauerthema abwandelt. Danach wird das me lodiöse Anfangsthema erneut aufgenommmen und zu einem Höhepunkt geführt, der zugleich die Coda des Satzes bildet. Trauer, Verzweif lung, die Katastrophe wurden von den Kräften des Lichts und der Versöhnung überwunden. Mit diesem befreienden Schluß klingt die Sin fonia da Requiem aus. Der französische Komponist Jaques Ibert, Schüler des Pariser Konservatoriums, 1919 mit dem Rom-Preis ausgezeichnet, lebte freischaf fend in Paris. Seit 1937 war er Direktionsmit glied der Academie de France (Sitz in Rom) und 1955/56 Direktor der Pariser National- Oper. Ibert gilt als der Typus des kultivierten, eleganten französischen Musikers, der aus der Tradition etwa eines Mozart, Rameau, Chabrier und Debussy Anregungen für seinen gemäßigt modernen Stil gewann, der durch Bevorzugung kammermusikalisch fein zeichnender Mittel ge-