Volltext Seite (XML)
ZUR EINFÜHRUNG Bohuslav Martinu, der bedeutendste tschechische Komponist um die Mitte unseres Jahrhunderts, studierte Violine und Orgel am Prager Konservatorium, war 1913 bis 1923 Gei ger der Tschechischen Philharmonie und lebte 1923 bis 1940 in Paris. Hatte den Komponisten in Prag Josef Suk beraten, so wurde in Paris Albert Roussel sein Mentor, zugleich Lehrer und Freund. Nachdem Dvorak und Debussy sein frühes Scharfen beeinflußt hatten, be kannte er sich nun - nicht zuletzt von den freundschaftlichen Begegnungen mit Ravel, Strawinsky, Honegger und Milhaud beein druckt — zum Neoklassizismus. Gleichzeitig machte sich seit den 30er Jahren die immer stärkere Betonung eines national-tschechisch gefärbten Ausdrucks bemerkbar, das Bemü hen, die großen Traditionen der tschechischen Musik in der Gegenwart fortzuführen, immer auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglich keiten, bedrängt aber auch vom Zwiespalt der vielen Stilwandlungen seiner Zeit, deren Ver gänglichkeit er fühlte. Nie gebärdete er sich als Radikaler, doch ebensowenig kann man seine Haltung konservativ nennen. Er war ein wahrer Musikant, dem Inspiration, Phantasie, Spielfreudigkeit mehr galten als theoretisch technische Erwägung. Das große Pathos liebte er nie: „Ich bin zutiefst von der inneren Würde der Gedanken und Dinge überzeugt, die ein fach sind und ihre ethisch-menschliche Bedeu tung besitzen, ohne durch hochtrabende Wor te und schwer verständliche Phrasen erklärt werden zu müssen." Vor dem Hitlerfaschismus floh er in die USA, wo er 1941 bis 1953 lebte. Die letzten Jahre hielt er sich abwechselnd in Frankreich, Italien und der Schweiz auf. Obwohl er den größten Teil seines Lebens fern von der Heimat ver brachte, verlor er nie seine innere Bindung an die Heimat, was sich in vie'en seiner Werke, in der Emotionalität seiner Tonsprache äußerte. Oft waren es Gedanken an die okkupierte tschechische Heimat, an das Schicksal des tschechischen Volkes im zweiten Weltkrieg, die Martinu zu Kunstwerken anregten. Das vielseitige und umfangreiche Lebenswerk des Komponisten, für das sich zahlreiche nam hafte Interpreten eingesetzt haben und im mer wieder einsetzen, beeindruckt durch sei nen starken emotionalen Gehalt, seinen Klang reichtum, seine geistvolle, differenzierte Ge staltung. Er schuf zahlreiche Opern und Bal lette, Orchester- Kammermusik- und Vokal werke. Das Doppelkonzert für zwei Streichorchester, Klavier und Pauken, eines seiner bedeutendsten In strumentalwerke, komponierte Martinu für Paul Sacher und das Basler Kammerorche ster. Zur Uraufführung am 9. Februar 1940 kam Arthur Honegger nach Basel, um das Werk seines tschechischen Kollegen zu hören, dessen Heimat inzwischen von den deutschen Truppen besetzt war, und war außerordentlich davon berührt ich habe den Eindruck, daß ich die bevorstehenden Ereignisse, die meinem Land drohende Gefahr spürte, und daß ich mich gegen diesen Druck auflehnen, mich mit meiner Arbeit schützen und gegen diese Gefahr kämpfen wollte, die jeden Künst ler und jeden Menschen in seiner tiefsten Überzeugung erschüttern sollte", hatte Mar- tinü damals in einer Programmbemerkung ge schrieben. Die Partitur des Doppelkonzerts trug am Ende ein mehr als unheilverkünden des Datum: beendet am 29. September 1938. Das war der Tag, an dem das Münchner Ab kommen unterzeichnet wurde, demzufolge im Rahmen einer sogenannten internationalen Befriedungsaktion große Grenzgebiete, die Sudetengebiete, von der Tschechoslowakei an Hitlerdeutschland abgetreten werden mußten. Martinu hatte in Vorahnung der sich in Euro pa anbahnenden Tragödie in der Abgeschie denheit der Schweizer Bergwelt in Schönen berg (Pratteln), wo er auf Einladung Sachers im September 1938 weilte, das Doppelkonzert geschaffen: „Es ist eine unter erschüttern den Ereignissen zustandegekommene Kompo sition, aber die Empfindungen, die sie aus drückt, sind nicht verzweifelt, eher geben sie Empörung, Mut und unerschütterlichen Glau ben an die Zukunft kund. Ihr Ausdruck ist scharf, dramatisch erregend: eine Fülle von Tönen strömt herab, die keinen Augenblick in nehält, und die Melodien fordern leidenschaft lich das Recht auf Freiheit" — äußerte Martinu später in den USA. „Es ist mir geglückt, meine Gefühle in eine wahrhaft klassische Form zu kleiden." Hier wird auf die Form des Con-