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EINFÜHRUNG Siegfried Matthus, Jahrgang 1934, zählt heute zu denjenigen deutschen Komponisten, deren Werke sowohl auf der Bühne als auch im Konzert saal immer öfter aufgeführt werden. Das hängt wohl damit zusammen, daß er mit seiner Musik zeigen will, worüber er nachdenkt, was er em pfindet, was er an Veränderungen wünscht, und daß wir uns davon ange sprochen fühlen. „Die Windsbraut“ von Max Ernst, dieses Fabelwesen aus zwei ineinander verschlungenen Leibern, scheint selbst im Ölge mälde nicht innezuhalten in ihrem Kampf um die Erneuerung des Lebens. Allein der Malerei sind Grenzen gesetzt, der Musik allen Anschein nach nicht, denn die vier thematisch miteinander verbunde nen Sätze des 1985 entstandenen Konzertes für Orchester lassen sich unschwer als Erlebnisbereiche der Windsbraut deuten. So entwickelt sich im ersten Satz aus anfangs eher zarten Konturen ein orchestrales Crescendo, suggerieren im zweiten die Durchführung und ein alles ver zehrender Höhepunkt ein unbeschreibliches Glücksempfinden, worauf wir im dritten Satz den ungleichen Dialog zwischen Liebe und Tod und im Finalsatz schließlich den Triumph der Windsbraut erleben, die uns von allem Bösen und Häßlichen befreit. Kurt Masur hat die „Winds braut“ 1986 zur Eröffnung des neuen Münchner Konzerthauses aus der Taufe gehoben. Wolfgang Amadeus Mozart schrieb das Konzert für Klarinette in A-Dur, KV 622, für den Klarinettisten Anton Stadler. Das Werk nimmt im Rah men der Konzerte, die Mozart für Blasinstrumente komponierte, gewiß eine Sonderstellung ein, denn kein anderes Bläserkonzert ist so voll kommen wie dieses. Schon das Allegro kostet die ganze Wärme aus, die seinem Kopfthema den Zauber edelster Sinnlichkeit gibt. Noch ein drucksvoller ist freilich, in welch unsagbare Tiefe des Gefühls Mozart taucht, wenn er das zweite Thema in C-Dur anstimmt und es schwelge risch sich aussingen läßt. Das Adagio aber stellt wohl den Höhepunkt des Werkes dar: wenn man diesen Satz mit der notwendigen Andacht zu hören bereit ist, dann offenbart sich einem plötzlich jene milde Weisheit, die den Stil der letzten Werke Mozarts verklärt. Über dem Allegro- Rondo endlich liegt der Glanz gelassener Heiterkeit. Einmal drohen sich zwar elegisch Schatten um die Klarinettenmelodie zu ballen, doch das Orchester zeigt keine Neigung, ihr zu folgen, und so werden denn die Kapriolen des Solisten nur noch ausgelassener, und die sprühende Laune hält bis zum Schluß an. Max Reger—die musikalische Welt gedenkt am 11. Mai der 75. Wieder kehr seines Todestages — hat die Variationen in seinem fast unüberseh bar breiten und formenreichen Schaffen zeitlebens bevorzugt, denn er glaubte dadurch seinem Kunstideal, der absoluten Musik, näher zu kommen. In den 1913 entstandenen Mozart-Variationen hat er sich die Aufgabe umso schwerer gemacht, als das altbekannte Thema schon bei Mozart (Klaviersonate A-Dur, KV 331) als Grundlage zu Variationen dient, die allerdings stark vom Klaviersatz bestimmt sind. In Regers Orchesterwerk spielt notwendig das wechselnde Instrumentalkolorit eine Hauptrolle, schon bei der schlicht und doch apart instrumentierten Exposition des Themas. Die folgenden acht Variationen sind zu einem sich stetig wölbenden Steigerungsbogen angeordnet. Er nimmt seinen Ausgang von der rein figurativen Variationstechnik nach älterem Muster, das heißt der Umschreibung des im wesentlich unverändert bei behaltenen Gedankens. Mehr und mehr wird dann die Gestalt des The mas zergliedert und sein Charakter umgedeutet. Die beiden letzten Variationen rücken zwar wieder die ursprüngliche Erscheinung ins Blickfeld, die achte und letzte Variation ist jedoch eine freie Phantasie im Rahmen eines Adagio-Satzes. Damit ist der Boden für die großange legte Doppelfuge (über ein zierliches Violin- und ein sangliches Klari nettenthema) bereitet, die schließlich das Mozartsche Originalthema in das verklärende Licht des hymnisch gesteigerten Ausklangs stellt. Dr. Heinz Klier