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ZUR EINFÜHRUNG „Wenn heute", äußerte Gerhard Rosen feld, „die Dresdner Philharmonie meine 2. Sinfonie dem Dresdner Publikum vorstellt, kann ich nicht umhin, mehr als fünfundzwan zig Jahre zurückzublicken. 1963 nahm sich das Orchester — mit Gustav Schmahl als Solisten — meines Erstlingswerkes, des 1. Violinkonzer tes, an, dessen außerordentlicher Erfolg mich sozusagen über Nacht bekannt machte. Da mals war das eine mutige Tat, bedenkt man die Anfeindungen, denen das Werk nach so glänzendem Start ausgesetzt war. Der Kom ponistenverband kritisierte meine Musik mit dem Argument, es mangele ihr an dem von jedem Kunstwerk unbedingt zu fordernden, eindeutigen Optimismus. Mit diesem Etikett blieb ich in den folgenden Jahren behaftet, ein ungeliebter, unbequemer Zeitgenosse, den zu dulden man schließlich verfügte, denn die Qualität der Musik, die ich komponierte, ab zuleugnen, war wohl doch so leicht nicht mög lich. Nun will es das Schicksal, daß am Ende die ser Ära der künstlerischen Bevormundung auf Schritt und Tritt sich die Dresdner Philharmo nie noch einmal eines meiner Werke annimmt. Die 2. Sinfonie entstand — in ihrem Auftrag — in den Jahren 1988 89, also genau zur Zeit der Wende, und ich möchte es dem aufmerk samen und gutwilligen Hörer überlassen, in der Musik Assoziationen zu eigenen Emotio nen und Gedanken zu finden, die uns alle in diesen kritischen Tagen bewegten. Für die Mu sik als solche dazu konkrete Hinweise zu ge ben, widerstrebt mir. Dennoch hielt ich es für nötig, am Ende des Werkes ein Resume zu ziehen, und ich bedurfte dafür, die Gattung der Sinfonie vielleicht sprengend, unbedingt des Wortes. Gerhard Hartmann, der Librettist aller meiner Opern, dem ich in langen Jahren gemeinsa mer Arbeit, in oftmals schwierigen und heik len Situationen guten Rat und menschlichen Halt verdanke, hat in einem kurzen, lapida ren Text alles das zusammengefaßt, was nun einfach gesagt werden muß: So ist mein Leben vergangen: In all den Jahren, als die Mauer aus Stahl und Beton den Schlag meines Herzens hemmte, mir den Rücken krümmte, das Auge blendete, in all den Jahren bin ich stumm geworden. Als die Gewalt voll Hochmut die Faust erhob und die Worte bedeutungslos wurden, lehrte ich meine Kinder lügen, damit sie zu überleben lernten. Ich verbarg die machtlose Wut hinter dem mühsamen Lächeln des Sklaven. Warum hatte ich Angst? Trieb mich das Los des erniedrigten Untertanen zu den befohlenen Ritualen? Mein Leben ist fast dahin. Ich will es nun ändern." Wer wie der sensibel und kritisch auf die Zeit ereignisse reagierende Komponist mit Schwie rigkeiten und Widerständen gewissermaßen aufgewachsen ist, mußte sich — so schrieb der Berliner Kritiker Eckart Schwinger in einem Artikel zum 60. Geburtstag Rosenfelds am 10. Februar 1991 in der „Neuen Zeit" — dank sei ner Geradlinigkeit nie wenden, nicht als Mensch, nicht als Komponist. Daher auch die deutliche Ablehnung eines kompositorischen Zickzackkurses: „Ich halte nichts von stilisti schen Kehrtwendungen, quasi von einem Tag auf den anderen. So kontinuierlich, wie ein Mensch reift, reifen seine Handlungen, seine künstlerischen Äußerungen." Diese waren in Rosenfelds Falle nie bequem, wohl aber von unverkennbarer persönlicher Haltung, von subtiler, knapper, gelegentlich sogar asketi scher Ausdrucksweise und eigenwilliger Form gebung: die Kammermusiken und Lieder, die Orchesterwerke, die Vokalsinfonik und vor al lem die Opern. Geboren wurde Gerhard Rosenfeld 1931 im ehemaligen Königsberg, eine neue Heimat fand er in Potsdam. Er studierte von 1952 bis 1954 an der Berliner Humboldt-Universität Musikwissenschaft sowie seit 1955 an der Ost berliner Musikhochschule Musiktheorie und Komposition bei Rudolf Wagner-Regeny. 1958 bis 1961 war er Meisterschüler von Hanns Eis ler und Leo Spies an der Akademie der Kün ste. „Von meinen drei Lehrern — so verschie den in ihrem Wesen und Werk — komme ich her", sagt Rosenfeld, „gut ausgerüstet und ihrem Ethos umfassend verpflichtet." Er wirkte nach der Studienzeit als Verlagslektor, als Lehrbeauftragter an seiner einstigen Ausbil dungsstätte und an der Hochschule für Film-