Volltext Seite (XML)
1. SONDERKONZERT Sonnabend, den 3. September 1988, 19.30 Uh Festsaal des Kulturpalastes Dresden Sonntag, den 4. September 1988, 19.30 Uhr philhs rmonie Dirigent: Jaromir Nohejl, CSSR Vysehrad Die Moldau Mein Vaterland - Zyklus sinfonischer Dichtungen Bedrich Smetana 1824-1884 PAUSE Aus Böhmens Hain und Flur Tabor Blanik JAROMIR NOHEJL, 1924 in Kutnä geboren, studierte am Prager Konservatorium und legte das Examen mit Auszeichnung ab Bereits während des Studiums hatte er einen Laienchor und ein Kammerorchester gegrün det. Als Sieger des Dirigenten-Wettbewerbes der CSSR im Jahre 1956 wurde er an die Mährische Philharmonie Olomouc berufen, ein Klangkörper, dem er seit 1960 als Direktor und Chefdirigent über mehr als zwei Jahr zehnte bis zu seiner Pensionierung vorstand. Der für seine verdienstvolle Arbeit wiederholt geehrte Künst ¬ ler gastierte bei allen bedeutenden Orchestern seines Heimatlandes sowie in der UdSSR, in der VR Polen, in der Ungarischen VR, in der VR Bulgarien, der SR Rumänien, der SFR Jugoslawien, in Schweden, den Niederlanden, in Italien, Kanada, in der DDR und der BRD. Unter seiner Leitung wurden bei Supraphon und Ponton mehrere Schallplatten eingespielt, insbeson dere mit Werken zeitgenössischer tschechischer und slowakischer Komponisten, für die er sich mit Nach druck ein setzt. ZUR EINFÜHRUNG Die in der Mitte des 19. Jahrhunderts von Franz Liszt begründete, in seinem Schüler- und Freundeskreis weitergeführte und dann kurz vor der Jahrhundertwende durch Richard Strauss auf ungeahnte Höhen geführte Gat tung der sinfonischen Dichtung, das heißt also eines musikalischen Werkes, das einem be stimmten literarischen, malerischen oder aus der Natur geschöpften „Programm" folgt und aus ihm seine Formgesetze ableitet, hat in musikästhetischen Auseinandersetzungen seit je ein lebhaftes Für und Wider erregt. Die Vertreter einer sogenannten „absoluten" Mu sik verwarfen den Gedanken einer Verbindung von Musik mit angeblich außermusikalischen Vorstellungen, ohne zu bedenken, daß bei spielsweise auch ein Werk wie die scheinbar „absolute" 5. Sinfonie von Beethoven offen kundig Träger bestimmter Ideen ist. Dagegen wiesen die Anhänger der Programmusik dar auf hin, daß die manchmal durch klangmalen de Kunstmittel vorgenommene Nachahmung oder Widerspiegelung von Bildern der Natur oder dichterischer Gedanken eine sehr alte Vorliebe der Komponisten bedeute und daß Musik ohne Ideengehalt zwangsläufig einer inhaltlosen technischen Spekulation verfallen müsse. Den erlösenden Gedanken hat Richard Strauss ausgesprochen, als er sagte: „Auch Programmusik ist nur da möglich und nur dann in die Sphäre des Künstlerischen gehoben, wenn ihr Schöpfer vor allem ein Musiker mit Einfalls- und Gestaltungsvermögen ist." Einer solchen Forderung entsprach kaum ein anderer Komponist sinfonischer Dichtungen besser als Bedrich Smetana (1824 bis 1884). Schon in jungen Jahren war der zu nächst gänzlich unbekannte tschechische Mu siker mit dem auf der Höhe seines europäi schen Ruhmes stehenden, außerordentlich großzügigen und hilfsbereiten Franz Liszt in Verbindung getreten. Er begeisterte sich für dessen neuartige Tonsprache, vor allem aber für Liszts Überzeugung, daß die Musik des 19. Jahrhunderts nicht allein gekennzeichnet sei durch ihre innige Verschmelzung mit dichte rischen und naturhaften Vorstellungen und Programmen, sondern daß ihre Haltung vor allem auch durch ihren nationalen Charakter bestimmt sei. So gewann Smetana sehr bald die Gewißheit, daß der Befreiungskampf der tschechischen Patrioten gegen die Habsburgi sche Kaisermacht und die reaktionären, zur Kollaboration mit Österreich bereiten Kreise nicht ohne die Hilfe der Musik geführt werden könne. So entwickelte sich Smetana zu einem bewußten Kämpfer für die tschechische Unab hängigkeit. Seine Opern und Instrumental werke sind nicht denkbar ohne diese von ihm klar erkannte Aufgabenstellung. Auch „Mein Vaterland", ein sechstei liger Zyklus von sinfonischen Dichtungen, wur de ein gewichtiger Beitrag zur tschechischen Nationalkultur und ein Teil des ideologischen Kampfes. Er ist wesentlich mehr als nur eine Folge historischer oder landschaftlicher Bilder bogen! Smetanas Tat ist um so bewunde rungswürdiger, als er gewissermaßen Mehrfrontenkrieg führen mußte. Zudem ihn persönlich das größte Leid, das einem Mu siker widerfahren kann: Wie Beethoven ver lor er sein Gehör. Aber statt zu resignieren, verdoppelte er seinen Arbeitseifer. In densel ben Wochen des Jahres 1874, in denen ein Nervenleiden eine rasche Zersetzung seines Hörvermögens mit sich brachte, begann er die Arbeit am Zyklus „Mein Vaterland", den er nach Unterbrechungen durch die Komposition mehrerer Opern und etlicher Instrumental werke Ende 1878 beendete. Er hat also nie mals mit dem äußeren Ohr vernommen, was seine Phantasie auf das Notenpapier gebannt hatte! „Vysehrad". Smetana beginnt seinen Hymnus auf die tschechische Heimat und ihre Geschichte nicht zufällig mit der klanglichen Darstellung der alten Prager Burg Vysehrad. In ihr sah er das Symbol für die ehemalige Größe des Landes und für die tschechische Nation überhaupt. Schon in seiner historisch legendären Oper „Libusa" hatte er den Vy sehrad zum Schauplatz der Geschehnisse ge wählt. Die alte tschechische Königsburg, h^te nationale Gedenkstätte mit den Gräbern^| deutender tschechischer Wissenschaftler una Künstler, darunter auch Smetana, erhebt sich in seinen Klängen vor unserer bildhaften Phan tasie. Harfenakkorde des sagenhaften Barden Lumir leiten ein und versetzen uns in die alten Zeiten, aus denen uns der Meister berichten will. Natürlich ginge es zu weit, wollte man jeden einzelnen Takt, jede musikalische Wen dung mittels eines konkreten Vorganges aus deuten, also vor dem inneren Auge gewisser maßen einen Film abrollen lassen. Es genügt dem Komponisten völlig, wenn wir — um einen Hinweis Smetanas zu verwenden — „die Er eignisse um Vysehrad, den Ruhm und Glanz, die Turniere, die Kämpfe und schließlich den