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ZUR EINFÜHRUNG Ludwig van Beethovens einziges Violinkonzert D-Dur op. 61 aus dem Jahre 1806 entstand in unmittelbarer Nachbarschaft mit der 4. Sinfonie, dem 4. Klavierkonzert und den Rasumowski-Quartet- ten. Das Konzert, das wohl das bedeutendste dieser Gattung überhaupt ist, demzufolge zu den Standardwerken der Violinliteratur ge hört, hatte Beethoven für den Konzertmeister des Theaters an der Wien, Franz Clement, komponiert, der es auch am 23. Dezember 1806 uraufführte, ohne allerdings damit eine restlos befriedigende Resonanz bei der Kritik finden zu können. In einzigartiger Weise sind im Beethovenschen Violinkonzert die ganz eigenen Möglichkeiten des Instrumentes er faßt. Das Werk ist lyrisch, gefühlsbetont und ist als erstes seiner Art zum Prüfstein geige rischer Kunst geworden, obwohl es eigentlich nur im Finale ausgesprochene Virtuosität for dert. Vollendung der Form, Tiefe und Schön heit der Gedanken, idealer Ausdruck klassi schen Humanismus — das sind Vorzüge des Werkes, das bei aller Universalität des zur Darstellung gelangenden Weltbildes jedoch mehr zu gelassener Ausgewogenheit als zur Überwindung dialektischer Spannungen neigt. Vier leise Paukenschläge, die im ganzen Satz verlauf späterhin motivische Bedeutung ha ben, eröffnen die Orchestereinleitung des er sten Satzes (Allegro man non troppo), die das thematische Material mit sinfonischer Impulsi vität an das Soloinstrument weitergibt. Zwei Themen werden entwickelt. In den Oboen, Klarinetten und Fagotten erklingt zunächst das gesangvolle Hauptthema, dem nach einem energischen Zwischensatz ein zweites lyrisches D-Dur-Thema der Holzbläser von bezaubern der Schlichtheit folgt. Nach der Entwicklung dieses Themas, die zu einem kraftvollen Hö hepunkt mit einer neuen, daraus hervorwach senden Melodie führt, setzt die Sologeige, zu rückhaltend von Bläsern und Pauken beglei tet, mit leichter Abwandlung des Hauptthe mas in hoher Lage ein. Und nun beginnt ein herrlicher Zwiegesang mit dem Orchester. In kaum zu beschreibender Schönheit fließt der Klang der Sologeige über dem Orchester hin oder begleitet es mit beseelten Passagen. Auch nach einem zweiten kräftigen Orchester tutti setzt sich der verklärte, melodische Ge sang des Soloinstrumentes fort. Nach der Durchführung kehren in der Reprise die musi kalischen Haupt- und Nebengedanken wieder, vom Orchester wesentlich getragen. Figuren reich ist der Part der Violine, der schließlich in die Solokadenz mündet. Der Schlußteil — mit seiner besonderen Berücksichtigung des zweiten Themas — schließt mit einem schwung- voll-energischen Aufstieg der Geige. Romanzencharakter besitzt das anschließende G-Dur-Larghetto, dessen erstes Thema, von gedämpften Streichern angestimmt, zu den Hörnern, Klarinetten und Fagotten überwech selt und von Passagen und Trillern der Solo violine kommentiert wird. Ein zweites lyrisches Thema gesellt sich nach einem Höhepunkt hinzu, von der Geige vorgestellt. Mit einer Kadenz leitet das Soloinstrum^M zum Rondofinale (Allegro) über und über nimmt sogleich mit einem fröhlichen, drei klangsbetonten Hauptthema die Führung, die es nunmehr durchgehend dem „Refrain" des Orchesters gegenüber beibehält. Der tänzerische Elan dieses Satzes, der formal zwischen Rondo und Sonatensatz steht, durch heitere und auch lyrische Episoden und Ein fälle aufgelockert, ist von geradezu mitrei ßender Wirkung. Die virtuosen Lichter des beglückenden Finales erzeugen den Eindruck eines bunten Wirbels. Mit energischen Ak korden verklingt das Werk. B o h u s I a v M a r t i n ü , der bedeutendste tschechische Komponist um die Mitte unseres Jahrhunderts, studierte Violine und Orgel am Prager Konservatorium, war 1913—1923 Geiger der Tschechischen Philharmonie und lebte 1923 bis 1940 in Paris. Hatte den Komponisten in Prag Josef Suk beraten, so wurde in Paris Albert Roussel sein Mentor, zugleich Lehrer und Freund. Nachdem Dvorak und Debu^Ä sein frühes Schaffen beeinflußt hatten, bekai^^ te er sich nun — nicht zuletzt von den freuna- schaftlichen Begegnungen mit Ravel, Stra winsky, Honegger und Milhaud beeindruckt — zum Neoklassizismus. Gleichzeitig machte sich seit den 30er Jahren die immer stärkere Be tonung eines national-tschechisch gefärbten Ausdrucks bemerkbar, das Bemühen, die gro ßen Traditionen der tschechischen Musik in der Gegenwart fortzuführen, immer auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, bedrängt aber auch vom Zwiespalt der vielen Stilwand lungen seiner Zeit, deren Vergänglichkeit er Jlisl BELOrILAVEK wurde 1940 in rrug bis 1966 studierte er am Prager Konservatorium die Fächer Violoncello und Dirigieren, 1966—1972 Dirigie ren bei den Professoren B. Liska, A. Klima und R. Brock an der Akademie der musischen Künste Prag. 1968 und 1969 nahm er an Dirigentenkursen Sergiu Celibi- daches in Stockholm teil. 1970 gewann er den 1. Preis in einem nationalen Wettbewerb junger tschechischer Dirigenten, 1971 den 5. Platz beim Internationalen Karajan-Wettbewerb in Westberlin. 1967 bis 1972 war er Leiter des Kammerensembles Orchestra Puellarum Pragensis; 1972—1978 wirkte er als Dirigent der Staat- Chefdirigent der Prager Sinfoniker (FOK). Er dirigierte alle führenden Orchester seines Heimatlandes und ga stierte u. a. in zahlreichen Ländern Europas, in aen LISA und in Japan. Bei der Dresdner Philharmonie ist der Künstler seit 1975 ständiger Gast. Nachdem er am 12. Mai 1988 mit der Tschechischen Philharmonie den diesjährigen „Prager Frühling" — mit dem Zyklus „Mein Vaterland" von Smetana — im Prager Kulturpalast er öffnet hat, leitet er am heutigen Abend das erste Sin foniekonzert der Dresdner Musikfestspiele 1988.