Volltext Seite (XML)
„Ich will klipp und klar aussprechen, daß ich meine Musik, ob sie nun schön oder häßlich ist, nicht einfach hinschreibe, sondern daß ich bemüht bin, ihr Charakter zu geben!" Giuseppe Verdi ZUR EINFÜHRUNG Giuseppe Verdi - „Macbeth" DIE ZEIT Die Entwicklung Giuseppe Verdis zum „Meister der italienischen Revolution", sein Aufstieg zu nationalem Ruhm vollzog sich in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, der Zeit des „Risorgimento", der „Wiedererhebung". In die ser Bewegung sammelten sich — mit unter schiedlichen Mitteln und Vorstellungen - Poli tiker, Intellektuelle, Künstler, ja zeitweilig schloß sich ihr sogar der Papst an, gegen die öster reichisch-habsburgische Vorherrschaft und Un terdrückung jeglicher nationaler Bestrebungen. Zum Siedepunkt gelangte sie in der Revolu tion von 1848/49, die jedoch von den Öster reichern gewaltsam niedergeschlagen wurde. Vierzehn Opern schrieb Verdi bis dahin. Die dritte, „Nabucco“, von 1843 wirkte auf seine Landsleute wie ein Fanal. Im historischen Ge wand ist hier die Idee der nationalen Wieder geburt Italiens dargestellt, und so wurde Verdi mit einem Schlag Nationalkomponist Italiens. 1847 erschien im Florenzer Pergola-Theater Verdis „Macbeth", jenes Werk, das das Schick sal eines grausamen Tyrannen, seine unheil vollen Taten und sein böses Ende eindring lich darstellt. Zwar war dem „Macbeth“ ein nur mäßiger Erfolg beschieden, denn er ist für das belcantogewohnte italienische Publikum eine recht unbequeme Oper, zumal ihm der strahlende Tenorglanz und eine zentrale Lie besgeschichte fehlen, die düstere Stimmung vor herrscht. Trotzdem mußte auch dieser Stoff gleichsam als Symbol für die gegenwärtige Knechtschaft durch die ausländische Militär macht gelten, mit der die Italiener zu diesem Zeitpunkt in offenen Konflikt gerieten. Zehn Jahre später, als die nationale Frage Italiens erneut, jetzt aber an den Tischen gesamteuro päischer Diplomaten ausgehandelt wurde, ge riet Verdis Name direkt „auf die Straße". Er wurde selbst zum Symbol für die Italiener. Der Ruf und die Inschrift „Viva VERDI" galt als Chiffre für die leidenschaftlich propagierte, aber verbotene Losung „Vittorio Emanuele, Re D’ltalia". („Viktor Emanuel, König von Ita lien"). König Viktor Emanuel II. von Sardinien Piemont sollte das Oberhaupt einer italieni schen Einheitsmonarchie werden. Als dieser Wunsch der Italiener nach großen Volkserhe bungen 1861 endlich — teilweise — Wirklich keit wurde, war Giuseppe Verdi unter den Ab geordneten, die in das Parlament von Turin einzogen. Zwar hatte Verdi dieses Ehrenamt nur widerstrebend und auch nur für eine kurze Zeit übernommen, zum Politiker fühlte er sich nicht geboren, doch nahm er bis zuletzt lei denschaftlich Anteil an dem Schicksal seines Landes. „. .. andererseits ist es mir in diesen schweren für uns so sorgenvollen Stunden bei nahe peinlich, mich mit Musik zu beschäfti gen", schrieb er 1866 in einem Brief an Leon Escudier, seinen Pariser Verleger. Es war dies die Zeit, als mit der Angliederung von Vei^^ tien und später des römischen Kirchenstaat^ die endgültige Einigung Italiens erstritteh wurde, eine „Einigung von oben", ähnlich wie 187Q/71 in Deutschland, zur selben Zeit und mit denselben latenten innen- und außenpoli tischen Spannungen. DER MUSIKDRAMATIKER Verdi entdeckte mit dem Spürsinn des echten Musikdramatikers die Stoffe für seine Opern sowohl in historischen Begebenheiten mit Hel dengeschichten und Volksbewegungen als auch in den Werken der dramatischen Weltliteratur mit menschlichen Einzelschicksalen in extremen Lebenssituationen, wobei ihn Shakespeare, Hugo und Schiller besonders anzogen. „Mac beth“ war das erste Werk, in dem er Shake speare nachspürte. Danach hat ersieh viele Jah re mit Plänen für „König Lear“ beschäftigt, ohne daß diese zu einem Bühnenstück geron nen wären. Doch hat die jahrzehntelange Hin wendung zu dem englischen Dichter, der für ihn der Vater aller dramatischen Kunst war, größte Bedeutung für Verdi. Die Kühnheit und Durchschlagskraft seiner Operndramatik hat aus dieser schöpferischen Auseinandersetzung mit Shakespeare wichtige Impulse bezogen, im „Otello“ ihren Gipfelpunkt erreicht, und dem „Falstaff“ ist ihm am Ende seines Lebens gar eine Erneuerung der Buffo-Oper gelun gen. Verdi erfaßte mit einem Blick die musik dramatischen Möglichkeiten, die eine Vorlage bot, und entwarf oft das Szenarium zu einer Oper selbst. So auch zu „Macbeth“, für den er Francesco Maria Piave nur hinzuzog, um das Buch in Verse setzen zu lassen. Im „Macbeth“, Verdis zehnter Oper (von sechsundzwanzig), sind die typischen Merkmale seiner Musikdramatik erstmals umfänglich angelegt. Im „Rigoletto“ (1851) erfahren sie dann ihre volle Ausprägung. Auf der Grundlage eines äußerst konzentrier ten Handlungsgerüstes ist jede szenische Si tuation von bisher in der italienischen Oper nicht dagewesener musikalisch-szenischer Span nung erfüllt, wird jede Figur ein genau ge zeichneter, musikalisch erfüllter Charakter. Die damaligen Vorwürfe gegen Verdi, er sei deut schen Einflüssen (Wagner!) erlegen und ge fährde die Grundlage der Oper, den Belcan to, verweisen auf das Neue in seinen Werken: Die „Nummer“ weitet sich zu großen Szenen blöcken. Wo noch geschlossene Formen anzu treffen sind, dienen sie der Charakterisierung von Personen oder Situationen oder werden selbst zur großen musikdramatischen Szene wie die Nachtwandelszene der Lady Macbeth im vierten Akt unserer Oper. Wesentlich sind •Verdi dabei die großen, empfindungsdurch- hten Melodiebögen, die auch aus den gro ßen Ensemble- und Chorszenen nicht wegzu denken sind. Ebenso erhält das Orchester im mer größeres Gewicht. Harmonik, Instrumen tierung und Dynamik folgen sensibel den Aus drucksdifferenzierungen der Gesangslinien. Das Orchester wird dadurch zu einem wesentli chen Stimmungsträger, bis es in den späten Opern mit den Singstimmen regelrecht ver schmilzt. Doch verläßt Verdi auch dann nie die Tradition der italienischen Oper, die stets von der Gesangsstimme ausgeht, ihr Melos zur Grundlage der Orchesterbehandlung macht. Hierin grenzt er sich von Richard Wag ner ab, der, auf dem sinfonischen Prinzip auf bauend, auch die Singstimmen instrumental führt, diese in den orchestralen Ablauf ein ordnet. Von diesen gegensätzlichen Standor ten aus treffen sich beide Meister in ihren reif sten Werken auf dem Höhepunkt des Musik dramas. DIE WERKGESCHICHTE Zur selben Zeit, in der Wagner den „Lohen- grin“ schrieb, entstand Verdis „Macbeth". Die ser ist ebensoweit von der italienischen Kon- usrtion entfernt wie jener von der deutschen, war Verdi in künstlerisches Neuland vor gestoßen und hat sich einem musikdramati schen Ideal genähert, das lange in ihm gereift war. Deutlich kommt seine Überzeugung darin zum Ausdruck, daß er erst dieser Oper der Wid mung an seinen „Vater, Freund und Wohltä ter“ Antonio Barezzi, den Vater seiner ersten Frau, für würdig hielt. Die gewaltige Kunst Shakespeares ist hier bereits deutlicher Weg weiser für Verdi gewesen, obwohl vom Sprech drama kaum mehr als die Grundzüge der Handlung und Umrisse der Charaktere in das Libretto eingegangen sind. Umso mehr bedurf te das zusammengedrängte Buch der Musik. Sie erst verleiht ihm seine volle Wirkung. Die Schwächen des „Ur-Macbeth“ von 1847 erken nend, hat Verdi seine Oper für Paris 1865 um gearbeitet. Diese Fassung ist auch die Grund lage unserer heutigen Aufführung. Einige Num mern hat Verdi hinzukomponiert, vor allem aber hat er mehrere Szenen, seinen in den dazwi schenliegenden achtzehn Jahren gewonnenen Erfahrungen entsprechend, dramatisch wir kungsvoller gestaltet und musikalisch verfei nert. Obwohl Verdi durch das Einfügen eines Balletts dem Pariser Geschmack etwas nach gegeben hatte, stieß die düstere Grundhaltung der Oper nicht auf die Gegenliebe des Pari ser Publikums, und so war der zweiten Fassung im Pariser Theätre Lyrique auch nur ein mäßi ger Erfolg beschieden im Gegensatz zum Triumph des „Rigoletto" vorher und des „Don Carlos" zwei Jahre später. Bis zum 21. April 1928 dauerte es, daß sich mit der Staatsoper Dresden im Zuge der von hier ausgehenden deutschen Verdi-Renaissance erstmals eine deutsche Bühne des „Macbeth“ annahm. Fritz Busch, seit 1922 Opernchef der Dresdner Staatsoper und auch der Dresdner Philharmonie durch gemeinsames Konzertie ren eng verbunden, hatte die Aufführung an geregt, die von Kapellmeister Hermann Kutzschbach geleitet wurde. Fritz Busch war gleicherweise Initiator — und Dirigent — der deutschen Erstaufführung der „Macht des Schicksals" (1926), die wie „Otello" und „Fal staff“ von Dresden aus ihren Siegeszug über alle großen Opernbühnen antrat. In Berlin setz ten sich der Dirigent Fritz Striedry und der Regis seur Carl Ebert für „Macbeth“ ein. Durch ihre Inszenierung an der Städtischen Oper 1931 ge lang die eigentliche Neuentdeckung der halb vergessenen Verdi-Oper. Fritz Busch übernahm sie dann gemeinsam mit Carl Ebert 1938 in das Programm der Glyndebourner Festspiele. Allzu zahlreich sind ihre Aufführungen seither jedoch nicht. Umso erfreulicher ist deshalb die Tatsache, daß die Landesbühnen Sachsen den Besuchern der diesjährigen Dresdner Musik festspiele ergänzend zu unserer konzertanten Aufführung eine szenische Darstellung des „Macbeth" in deutscher Sprache darbieten. ZUR MUSIK Abweichend vom Shakespeareschen Drama, gewinnt in Verdis „Macbeth“ die Gestalt der Lady an Bedeutung. Sie wird zur Figur, die das Geschehen bestimmt, während der Titelheld, zum willenlosen Werkzeug ihres Ehrgeizes her absinkend, an Profil verliert. Die Folge war allerdings, daß diese Frauengestalt den Kom-