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4. ZYKLUS-KONZERT PROGRAMMATISCHE MUSIK Sonnabend, den 9. Januar 1988, 19.30 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden Sonntag, den 10. Januar 1988, 19.30 Uhr dresdner ohilhsmooniG^ Dirigent: Jörg-Peter Weigle Solist: Kolja Blacher, Berlin (West), Violine Günter Neubert geb. 1936 Sinfonia infernale (Sinfonie Nr. 2) Andante cantabile — Allegro vigoroso — Allegretto macabro Erstaufführung Robert Schumann 1810-1856 Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. posth. In kräftigem, nicht zu schnellem Tempo Langsam Lebhaft, doch nicht schnell Antonin Dvorak 1841-1904 Sinfonie Nr. 8 G-Dur op. 88 Allegro con brio Adagio Allegretto grazioso Allegro ma non troppo ZUR EINFÜHRUNG Günter Neubert, 1936 in Crimmitschau geboren, erhielt seine erste musikalische Aus bildung am Klavier, an der Violine und an der Orgel. Nach seinem Abitur studierte er Schulmusik an der Felix-Mendelssohn-Barthol dy-Musikhochschule in Leipzig. Nach Studien als Tonmeister an der Musikhochschule „Hanns Eisler“ in Berlin machte er 1960 sein Staatsexamen und Diplom. Als Gasthörer studierte er in den 60er Jahren Komposition bei Rudolf Wagner-Regeny und anschließend als Meisterschüler bei Paul Dessau an der AdMdemie der Künste der DDR. Neben seiner i^Bgkeit als Tonregisseur am Rundfunk in Leipzig erfüllt Günter Neubert seit 1975 einen Lehrauftrag für Komposition und Tonsatz an den Musikhochschulen in Dresden und Leip zig. Zahlreiche nationale und internationale Preise weisen ihn als einen bedeutenden Komponisten der DDR aus. Das CEvre von Günter Neubert umfaßt Orchestermusik, Solokonzerte für Violine und Klavier, Chormu sik, ein Ballett und Kammermusik für ver schiedenste Besetzungen und Soloinstrumen te. über seine zu den DDR-Musiktagen im Fe bruar 1986 uraufgeführte Sinfonia in fernale (Sinfonie Nr. 2) äußert sich der Komponist: „In ihrer Dreiteiligkeit ist die Sinfonia infer nale der Grundidee eines Sonatenhauptsat zes verwandt. Im ersten Teil wechseln lyrische Abschnitte der Streicher und Holzbläser mit Agitato-Teilen, die von Schlagwerk, Pauken und Blechbläsern bestimmt werden. Darin ist auch die fünftönige Struktur des Verdischen .Dies irae' verarbeitet. Im zweiten Teil ist das kantable Element weit gehend von Agitato-Passagen, die in eine in- f^Älische Steigerung münden, zurückge- diSngt. Dem Sinn eines Durchführungsteils verpflichtet, schließt dieser Teil in grellen Klangfarben (Schmerzsymbolik). Der dritte Teil nimmt die kantablen Elemente wieder auf, doch sind sie klanglich gebrochen. Nach einem Abschnitt .makabrer Bedrohlich keit', der aus einem Ostinato in eine viel schichtige Bewegung der Streicher führt, ver ebbt der melodische Charakter. In der musi kalischen Reduktion liegt der Charakter ei ner .gespenstischen Leere', gewissermaßen mit einem Fragezeichen endend. Während der Komposition beschäftigten mich Gedan ken der Anwendung von Gewalt und ihrer verheerenden Folgen. ,. . . Und die Erde war wüst und leer . . .'. Die Mahnung liegt nahe: Tretet an dagegen!" Die Dresdner Philharmoniker und Chefdiri gent Jörg-Peter Weigle führten die Sinfonia infernale bereits im Mai vorigen Jahres wäh rend ihrer. Gastspiele zu den „Duisburger Ak zenten“ und zum „Prager Frühling" auf. Unter den Violinkonzerten der großen Mei ster fristet bisher noch immer das Violin konzert d-Moll von Robert Schu mann ein Schattendasein. Es entstand im Frühherbst des Jahres 1853 und ist eines der letzten vollendeten Werke des Komponisten. Joseph Joachim hatte ihn bei seinem Besuch in Düsseldorf nach der Vollendung der Vio- linfantasie C-Dur dazu ermutigt. In knapp 14 Tagen beendete Schumann die Nieder schrift. In diese Zeit fiel auch der Besuch des zwanzigjährigen Johannes Brahms, der Ro bert und Clara Schumann mit seinen Kompo sitionen bekannt machte. Es waren für Schu mann glückliche Tage, die ihm neuen Auftrieb gaben und zweifellos auch im Violinkonzert ihren Niederschlag fanden. Wir können uns heute nur auf Vermutungen stützen, die nicht im künstlerischen Bereich zu suchen sind, wes halb das Violinkonzert durch den berühmten Geiger nie zur Aufführung kam. Nach Jo achims Tod ging die Partitur, in die niemand Einblick erhielt, in den Besitz der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek über mit einer testamentarischen Verfügung, die eine Veröf fentlichung erst nach Jahrzehnten gestattete. Durch Verkürzung der Sperrfrist erklang das Werk im November 1937 in Düsseldorf mit dem bedeutenden Solisten Georg Kulen- kampff zum ersten Mal. Schumann bevorzugt im Violinkonzert die tiefe Lage des Instruments. Dazu stellt das Werk noch exorbitante Anforderungen an den So listen, ohne ihn jedoch brillieren zu lassen. Darin ist der entscheidende Grund zu suchen, weshalb dem Werk nur ganz vereinzelt in den Konzertsälen zu begegnen ist, obgleich der Mittelsatz beispielsweise zu den schönsten und edelsten Eingebungen Schumanns gehört. Dieser innige Gesang beschäftigte ihn noch mals kurz vor seinem Tode. Brahms schrieb zu diesem Thema: „Wie ein im Entschweben freundlich grüßender Genius spricht es uns an, und wir gedenken mit Verehrung und Rüh rung des herrlichen Menschen und Künstlers." Von bemerkenswerter Schönheit ist auch der pausenlose Übergang vom langsamen Satz in das Finale. Wie improvisierend kündigt sich