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ihm zuhörende Geiger an ein Wunder zu glauben. So steht dieser mysteriöse Mensch, der die seltsamste Mischung von Genialität und Scharlatanerie, von tiefstem, bis zu Trä nen rührenden Ausdruck und tollen diaboli schen Kunststücken in sich vereinigte, der täuschend jeden anderen Virtuosen wiederzu geben vermochte und dabei doch ein eigenes Spiel hatte, mit dem er niemand glich und alles übertraf, als ein Unikum in der Geschich te des Geigenspiels da" (Naumann/Schmitz). Da die Paganini-Zeit die extrem-subjektivisti sche Gefühlsbetonung liebte, vergötterte sie den genialen Einzelmenschen. Diesen Zeitgeist vertrat Paganini in typischer Weise, hatte er doch kein anderes Anliegen, als ein mög lichst großes Publikum durch sein Spiel zu faszinieren. Seine wichtigsten Kompositionen — nicht alle der unter seinem Namen laufen den Werke sind echt — sind die 24 Capricci für Violine solo op. 1, die Liszt, Schumann, Brahms, Rachmaninow, Casella, Dallapiccola, Blacher und Lutoslawski zu eigenen Kompo sitionen anregten, die Violinkonzerte op. 6 D-Dur und op. 7 h-Moll sowie zwölf Sonaten für Violine und Gitarre, Zeugnisse eines Schaffens, das aus engstem Zusammenhang mit Paganinis sensationellem Virtuosentum hervorging. Von den Violinkonzerten steht vor al lem das heute erklingende unverwüstliche er ste in D-Dur (1811) in der Gunst der Gei ger unserer Tage. Naturgemäß interessieren uns heute an dem Werk nicht so sehr die musi kalische Substanz oder satztechnische Gestal tung (das Orchester ist zumeist „dürftig" be handelt, damit der Solist um so mehr hervor treten kann), sondern vor allem die auf die Spitze getriebene Virtuosität des Soloparts. Dieser nämlich ist mit allen Kunststücken aus gestattet, mit denen Paganini seine Zeitgenos sen begeisterte: Doppelgriffe in verschieden sten Lagen, Pizzikati der linken Hand und raf finierte Springbogenpassagen, Flageoletts, das bravouröse Spiel auf einer Saite. Dennoch ist das Konzert nicht nur eine brillante Anein anderreihung geigentechnischer Aufgaben und Effekte, auch die Musik kommt durchaus zu ih rem Recht. Man denke an das innig-schlichte zweite Thema des ersten Satzes (Allegro mae stoso), das nach dem markanten ersten The ma bereits in der Orchestereinleitung vorge stellt wird, ehe sich das Soloinstrument der Themen spielerisch-virtuos bemächtigt, oder an das cantable Adagio espressivo, das mit sei nem opernhaften Anklang an Rossini erinnert. Das Rondo-Finale (Allegro spirituoso) aller dings dient weitgehend virtuosen Zwecken, obwohl auch hier das thematische Material prägnant ist. „Das russische Element in meiner Musik im allgemeinen — das heißt die dem russischen Lied verwandte Art und Weise der Melodie führung und ihre Harmonisierung — ist dar auf zurückzuführen, daß ich, in völliger Welt abgeschiedenheit geboren, von frühester Kind heit an von der unbeschreiblichen Schönheit der charakteristischen Züge der Volksmusik durchdrungen war und ich das russische Ele ment in allen seinen Erscheinungsformen bis zur Leidenschaft liebe, mit einem Wort, ich eben ein Russe bin im erschöpfendSBF Sinne des Wortes." Diese Worte Peter Tschaikowskis treffen in besonderer Weise auf seine in den Jahren 1877/78 (in un mittelbarer Nachbarschaft zur Oper „Eugen Onegin") entstandene, am 10. Februar 1878 in Moskau uraufgeführte Sinfonie Nr. 4 f-Moll o p. 36 zu, in der sich eine starke innere Beziehung zur Volksmusik seiner Hei mat deutlich widerspiegelt. Eine schwere, durch das Scheitern seiner unglücklichen Ehe be dingte Lebens- und Schaffenskrise des Mei sters, aber auch der Beginn neuer künstle rischer und menschlicher Gesundung fanden in dieser Sinfonie ihren Niederschlag. Tschai kowski widmete das Werk seinem „besten Freunde", seiner Gönnerin Nadjeshda von Meck, die ihm seit 1877 als verständnisvolle, seine Musik bewundernde Freundin zur Seite stand und ihn durch finanzielle Unterstützung für lange Zeit von materiellen Sorgen unab hängig machte. Durch den hochinteressanten Briefwechsel zwischen dem Komponisten und Frau von Meck, die sich übrigens bekanntlich persönlich niemals gesehen haben (was An laß zu zahlreichen romanhaften DeutunjMo dieses ungewöhnlichen Freundschaftsverl^^ nisses gegeben hat), erhalten wir gerade im Falle der vierten Sinfonie wesentliche Auf schlüsse über Haltung und Anliegen des Wer kes. Obwohl Tschaikowski anderen (so auch seinem Schüler Sergej Tanejew) gegenüber leugnete, daß die neue Sinfonie programma tisch zu deuten sei, berichtete er jedoch Frau von Meck in einem ausführlichen Brief von einem eigentlich nur für sie bestimmten Pro gramm der einzelnen Sätze: „Unsere Sinfonie hat ein Programm, das heißt, es besteht hier die Möglichkeit, in Worten darzulegen, was sie auszudrücken sucht." Der sehr umfangreiche erste Satz beginnt mit einer Einleitung, die nach Tschaikowski „den Keim der ganzen Sinfonie, ohne Zwei fel die Kernidee" enthält; der rhythmisch prägnante Triolengedanke des Anfangs sym bolisiert das „unerbittliche Fatum, jene Schick salsgewalt, die unser Streben nach Glück hindert, die eifersüchtig darüber wacht, daß Glück und Friede nicht vollkommen und un getrübt seien". Neben diesem Grundthema bestimmen zwei weitere Themen, eine schwe bend-elegische, sehnsüchtige Walzermelodie, das eigentliche Hauptthema, und ein liebli cher, von der Klarinette vorgetragener Seiten gedanke den an großen dramatischen Steige- •jen, Kämpfen und Auseinandersetzungen emein reichen Satz, der in unerbittlicher Härte endet. Liedhaft-schlicht ist das folgende lyrische An- dantino mit seinem ausdrucksvollen volks liedartigen Hauptthema. „Das ist jenes me lancholische Gefühl, das sich des Abends ein stellt, wenn man allein dasitzt, von der Arbeit ermüdet. Ein ganzer Schwarm von Erinnerun gen taucht auf. Das Leben hat einen er schöpft. Wie schön ist es, auszuruhen und zu rückzublicken. Vieles kommt einem ins Ge dächtnis zurück. Es gab freudige Augenblicke, in denen das junge Blut überschäumte und das Leben einen befriedigte. Es gab auch schwere Augenblicke, unersetzliche Verluste. All das liegt schon irgendwie in der Ferne. Traurig und doch süß ist es, in die Vergan genheit hinabzutauchen . . ." „Der dritte Satz drückt keine bestimmten Empfindungen aus. Es sind allerlei Bilder, die einem durch den Sinn schweben, wenn man ein Gläschen Wein getrunken hat und leicht berauscht ist. Es ist einem weder heiter noch traurig ums Herz. Man denkt an nichts, gibt die Vorstellungskraft frei. Da taucht plötzlich PHILHARMONISCHE NOTIZEN Am 26. Februar begibt sich die Dresdner Philharmonie mit Chefdirigent Jörg-Peter Weigle auf eine Tournee durch die Bundes republik Deutschland. Sie wird u. a. Konzerte in Wiesbaden, Bielefeld, Braunschweig, Köln (Philharmonie), Karlsruhe, Mannheim, Frank- furt/Main (Alte Oper) und Bonn (Beethoven halle) geben. In vier verschiedenen Program men spielen die Philharmoniker folgende das vergessene Bild eines betrunkenen Bäuer leins und ein Gassenhauer auf . . . dann zieht irgendwo in der Ferne Militär vorüber. Es sind abgerissene Bildfetzen, wie sie uns beim Ein schlafen durch den Sinn huschen" (Tschai kowski). Dieser Scherzo-Satz besticht vor al lem durch seine wirkungsvolle, aparte Instru mentierung. Während im ersten Teil, Pizzikato ostinato, nur Streicher eingesetzt werden, kommen im zweiten Teil ausschließlich Holz bläser, im dritten Teil nur Blechbläser zur An wendung, und „am Schluß plaudern alle drei Gruppen nacheinander in kurzen Phrasen". Variationen über das russische Volkslied „Auf dem Feld die Birke stand“ enthält das stür misch einsetzende Finale. Die Düsternis des ersten Satzes wird hier schließlich in ein fest lich glänzendes Dur umgewandelt, obwohl auch das Schicksalsmotiv der Einleitung wie der aufklingt. Lassen wir noch einmal die Deutung des Komponisten sprechen: „Wenn du in dir selbst keine Gründe zur Freude fin dest, dann schau auf die anderen Menschen. Geh unter das Volk, sieh, wie es sich zu ver gnügen versteht, wie es sich schrankenlos den Gefühlen der Freude hingibt . . . Ein Volksfest findet statt. Doch kaum hast du dich selbst vergessen in der Betrachtung fremder Freu den, als das Fatum, das unentrinnbare Schick sal, aufs neue erscheint. Aber die anderen kümmern sich nicht um dich. O, wie fröhlich sie sind! Wie sind sie glücklich, weil alle ihre Gefühle unbefangen und einfach sind! Und du willst immer noch behaupten, daß alles in der Welt düster und traurig ist? Es gibt noch so viele einfache und schlichte Freude, und — du kannst leben!" Tschaikowski dirigierte übrigens am 20. Fe bruar 1889 im 5. Philharmonischen Konzert die Dresdner Erstaufführung seiner 4. Sinfonie, die nach seinen Worten „Sensation erregt hat". Werke: die 5. Sinfonie von Franz Schubert, die 3. Sinfonie von Felix Mendelssohn Barthol dy, die 5. Sinfonie von Peter Tschaikowski, die 4. Sinfonie von Gustav Mahler, die Oberon- Ouvertüre von Carl Maria von Weber. Solo- Trompeter Mathias Schmutzler ist Solist in Jo seph Haydns Trompetenkonzert Es-Dur, Konzert meister Ralf-Carsten Brömsel übernimmt den Solopart im Violinkonzert Nr. 1 von Max Bruch, und die Leipziger Sopranistin Venceslava Hruba-Freiberger singt Strauss-Orchesterlie der sowie Carola Nossek, Berlin, das Sopran-