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viele Jahrzehnte Breitenwirkung sicherte. Die Verknüpfung von gediegenem Handwerk und Volkstümlichkeit macht seine Musik wertvoll und gab vor allem dem Laienmusizieren, der Kinder- und Jugendmusik anregende Impulse. Joseph Haas, 1879 in Maihingen geboren, war Sohn eines Volksschullehrers, der seine Begabung früh erkannte und förderte. Er übernahm zunächst den Beruf des Vaters, ging aber 1904 als Schüler Max Regers nach München, 1907/08 an das Leipziger Konserva torium, wo auch Karl Straube Einfluß auf sei ne Entwicklung nahm. Nach einer Lehrtätig keit 1908 bis 1911 an der Musiker-Fachschule in München folgte er der Berufung als Kom positionslehrer an das Stuttgarter Konserva torium und 1921 als außerordentlicher Profes sor an die Bayrische Akademie der Tonkunst in München. 1924 wurde er dort zum ordent lichen Professor ernannt und leitete die Aka demie nach dem zweiten Weltkrieg als Präsi dent bis 1950. Seine Nachfolger wurden Robert Heger und 1953 sein Schüler Karl Höller. Er starb 1960 in München. Als Musikorganisator und Pädagoge hat sich Joseph Haas große Verdienste erworben, wie er auch als Verfech ter der sozialen Rechte der Musiker zur För derung der jungen Künstlergeneration beitrug. Sein kompositorisches Schaffen und sein ge sellschaftliches Wirken trugen ihm zahlreiche Preise und Ehrungen ein. So wurde er u. a. Dr. h. c. der Universitäten Rom und München, Vizepräsident und Ehrenmitglied der Robert- Schumann-Gesellschaft Zwickau sowie Ehren senator der Musikhochschulen Stuttgart, Leip zig und Dresden. Seit 1949 besteht eine Jo seph-Haas-Gesellschaft. Anläßlich unseres Konzertes kommt erstmals sein Enkel Wolf gang Haas nach Dresden, der den Nachlaß Joseph Haas’ verwaltet und die Verbreitung von dessen Werken fördert. „Ich habe eine Zusammenstellung von Volks liedern des 16. bis 18. Jahrhunderts gemacht", schrieb Joseph Haas 1951 über sein Volks- lieder-Oratorium „Das Jahr im Lied" op. 103. „Die Melodien blei ben . . . unangetastet. Alles übrige stammt aus meiner Feder. Ich will die Beziehungen aufzeigen, die das menschliche Leben in sei nem Alltagstun und -treiben und dem Werden und Vergehen in der Natur hat, nachgewie sen am Volkslied. Daß ich dabei das Brauch tum als besonderen Anhaltspunkt unterstrei che, ist selbstverständlich. Es ist also ein rich tiges Volkslieder-Oratorium, nicht hohen Stils wie die Haydnschen Jahreszeiten, sondern eine Gebrauchsmusik, die lediglich Konzessio nen an die Aufführungsmöglichkeiten macht, nicht an die künstlerische Haltung. Im Grunde wird es ein musikalisches Bilderbuch . . .“ 1952 wurde „Das Jahr im Lied“ in Kassel ur aufgeführt. Die Wahl der Lieder nähert das Werk musikalisch einer Anschauungsweise, die den Wechsel der Jahreszeiten mehr als natur gegebenes Geschehen betrachtet denn als Spiegelbild nur-menschlicher Empfindungen. Daß dabei echte Gefühlsinnigkeit nicht fehlt, ist für Haas selbstverständlich. Liebe ist hier mehr als nur Überschwang, Tod mehr als Gra- beskälte. überaus reizvoll, wie der Tondichter die gegebenen Volkslieder einbettet in Eigel nes, das nun wiederum einem Urgrund ent springt, der dem der Volkslieder wesensver wandt ist. Besonders deutlich in den zahlrei chen Orchestersätzchen, doch spürbar auch an der Art, wie Chöre und Solopartien geformt werden. Da das Werk mit dem Winter beginnt und mit dem Herbst endet, läßt es sich sinn- bildhaft als Ernte eines Lebens auffassen. Warum es um Joseph Haas nach seinem Tod still geworden ist, mag daran liegen, daß sich unsere Lebenssituation verändert hat. Sie ist komplizierter geworden. Sowohl Musiker als auch Hörer wenden sich tiefgründiger Philo sophie zu, loten nach den Fragen zwischen Leben und Tod, suchen Tradition in Kunst und bei Künstlern, denen sie sich darin verwandt fühlen. Das einfache, naiv-heitere Volkslied zählt dazu nur bedingt. Die von Joseph Haas ausgewählten Lieder in seinem Volkslieder- Oratorium „Das Jahr im Lied" spiegeln ein ungebrochenes Verhältnis zwischen Mensch und Natur wider, integrieren den Menschen und seine Erlebniswelt in die Natur. Uns ist diese Haltung heute ferner gerückt. Die bela stenden Gründe dafür begegnen jedem von uns tagtäglich. Geblieben ist die Sehnsucht nach dem Erlebnis Natur, nach Gemeinsam^ keit und Geselligkeit der Menschen unter einander. Wollen wir uns diese Sehnsucht auch damit bewahren, daß wir uns der Einfachheit des Volksliedes wieder aufschließen, seine Fröhlichkeit, seine Unbeschwertheit aufneh men und in uns nachklingen lassen. Verstehen wir auch Joseph Haas' und unser eigenes An liegen mit dieser Aufführung als eine der möglichen Arten, Erbe lebendig bleiben zu lassen. Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Dipl.-Phil. Sabine Grosse Verwendete Literatur: Karl Laux, „Joseph Haas", Henschelverlag, 1954; Horst Seeger, Musiklexikon, Band I; Otto Schumann, Handbuch der Chormusik und des Klavierliedes, Heinrichshofen’s Verlag, Wil helmshaven. 1953. Chefdirigent: Jörg-Peter Weigle — Spielzeit 1987/88 Druck: GGV, BT Heidenau 111-25-16 JtG 009-62-87 EVP —,20 M