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1462 and des Abgeordnetenhauses von ihren Stühlen ge trieben. Jeder einzelne dieser Rücktritte hat seine ganz bestimmte Specialgeschichte — wo der Ver. einiguftgSpunkt für diese trostlose Verödung unser- öffentlichen Lebens liegt, brauchen wir sicher nicht mehr ausdrücklich zu sagen. Es ist da- eine traurige, aber offenkundige Thatsache. Ein hochgefeierter Führer mag sich von dem aus gesetztesten Punkte des Kampfplatzes zurückziehcn, so sehr wir eS beklagen; wir müssen das Recht de« Ent schlusses achten, nud ein so umsichtiger und überlegter Politiker wie Hr. v. Bennigsen hat sicher einen solchen tiefgreifenden Entschluß nicht ohne ernste und ruhige Prüfung genommen; hat er doch schon bei ReichStagS- schluß seinen Freunden dahin zielende Andeutungen ge macht, aber eS ausdrücklich abgelehnt, in der Erregung großer parlamentarischer Entscheidungen den Entschluß zu fassen, dem wir jetzt gegenüberstehen, ohne uns gestatten zu dürfen, ihn zu bekämpfen. Für eine große politische Partei aber gibt eS keine Waffen ruhe und keine Pause der Thätigkeit. Der bevor stehende Wahlkampf muß die Thätigkeit der liberalen Partei auf das äußerste anspännen. Die Situation ist klar genug vorgezeichnet. Wir weisen eS allerdings trotz aller Provocationen ab, die Person des Reichs kanzler» in de« Wahlkampf zu ziehen. Den Freunden der liberalen Sache aber rufen wir zu, daß man nur an der Spitze einer Mehrheit mit dem Reichskanzler verhandeln kann und jede andere Betrachtung der Sache ein leeres Spiel mit Worten ist. Gelingt eS, diese Mehrheit zu schaffen, dann wird der Spuk der neuesten Aera mit der grotesken Figuren, die sie in den Vordergrund gerückt hat, schnell verweht sein. Daß wir in dem unmittelbar bevorstehenden Kampfe des ausgezeichneten Staatsmannes entbehren müssen, ist ein schwerer Verlust; aber dieser Verlust selbst ist doch nur eine Aufforderung mehr, die Zustände ernst in das Auge zu ziehen, welche unsern ersten Männern, einer nach dem andern, den Boden der Wirksamkeit unter den Füßen wegziehen." ..Den obigen An» und Ausführungen hätten wir nur zwei Bemerkungen hinzuzufügen: 1) Wenn hiernach Hr. v. Bennigsen zwar für den Augenblick nur für den preußischen Landtag ein Mandat ablehnt (da zur Zeit nur diese- in Frage steht), gleich zeitig aber doch im allgemeinen „von der parlamen tarischen Thätigkeit zurückzutreten" erklärt, so hätte man unter allen Umständen von ihm selbst eine öffent liche Darlegung seiner Beweggründe hierzu, sowie der Stellung, die er fernerhin ei«zunehmen gedenkt, er warten dürfen. 2) Die von der National-Zeitung hier geäußerte Ansicht, als ob der Schwerpunkt unser- politischen und ParteilebenS heutzutage überhaupt nicht im „Par lamentarismus" liege, also jemand Parteiführer im vollsten Sinne fein und bleiben könne, auch wenn er der parlamentarischen Thätigkeit gänzlich, und wäre eS nur für längere Zeit, entsagt — diese Ansicht scheint uns thatsächlich falsch und ihre Geltendmachung noch überdies politisch und patriotisch bedenklich, denn wir haben wahrhaftig keine Ursache, die ohnehin um sich greifende Gleichgültigkeit gegen das parlamenta rische Wesen durch derartige Aeußerungen noch zu unterstützen. industriellen Kreise kein rechtes Vertrauen zu dem Unternehmen. Das geflügelte Wort Reuleaux', mit welchem er die deutsche Industrie in Philadelphia in den Bann that, lag trotz alles berechtigten Unwillens über die drei inhaltschweren Worte: „Billig und schlecht", doch den Berlinern bleischwer auf dem Herzen, wenn sie daran dachten, daß ihre Metropole, concur- rirend mit den fortgeschrittensten Erzeugnissen deS Weltmarktes, au- eigenen, vereinten Kräften auftreten sollte. Nun, der glänzende Erfolg hat diese nach Tau senden zählenden Kleinmüthigen zu Muthigen gemacht, sie können stolz das Haupt erheben, wenn sie durch die prächtigen Hallen des AuSstellungSpalasteS von Gruppe zu Gruppe gehen und mustern, wie auf allen Gebieten der Gewerke und der Kunstindustrie sich der erfinderische Geist, der künstlerische Geschmack, der prak tische Sinn so kolossal entwickelt haben. Ob die Er zeugnisse aller der Dinge, die wir zu unserm täglichen Leben brauchen, mit denen wir es comfortabel machen können, an denen sich unser künstlerischer Sinn ver feinern lernt, „billig" sind, glaube ich nicht, und wenn ich ein mit drei heirathSfähigen Töchtern gesegneter Vater wäre, dem eine bevorstehende Ausstattung das Portemonnaie beklemmte, so würde ich wahrscheinlich nicht eine von den kostbaren Zimmereinrichtungen kaufen, die sich in glänzendster Auswahl in den Kojen mit dem raffinirtesten Geschmack vor unserm entzückten Auge präsentiren. Ich bin kein guter Taxator eines Ameublements, das ein Damenboudoir oder ein ge- müthliches Rauchzimmer oder auch einen Eßsalon mit dem schwerwuchtigen mittelalterlichen Buffet in einem jedem feinfühligsten Bedürfniß Rechnung tragenden Deutsche« Reich. Die neueste Nummer der Provinzial» Correspon- denz schreibt an der Spitze ihre- BlatteS: „Die Agence HavaS bringt folgende Notiz: «Rom, 3. Aug. Msgre. Roncetti, Botschafter beim deutschen Hofe, wird sich vor dem 20. Ang. auf seinen Posten begeben. Er wird sich sofort mit dem Fürsten Bismarck in Ver bindung setzen. Er ist Träger der Ernennungen der neuen Bischöfe, welche die mit Tode abgegangenen er setzen sollen.» Abgesehen von der vielleicht nur auf Unwissenheit de- Correspondenten zurückzuführenden Ver wechselung de» Nuntius in München mit einem «Bot schafter beim deutschen Hofe» haben wir zu bemerken, daß alle in neuester Zeit von Rom aus in wiener und pariser Blättern verbreiteten Nachrichten über die Verhältnisse zwischen der preußischen Regierung und dem Heiligen Stuhle sich mit der wirklichen Sachlage in einem Grade widersprechen, welcher die Vermuthung absichtlicher Mystifikation nahe legt." Lerlin, 6. Aug. Die Provinzial-Correspon- denz nimmt zwar heute endlich Notiz von den jüngsten Nachrichten über die bevorstehende Beilegung des CulturkampfeS; e» geschieht dies aber in einer so rein negativen Weise, daß die Sachlage dadurch keines wegs aufgeklärt wird. Alle bezüglichen Meldungen der auswärtigen Telegraphenbureaux werden einfach al» der Wahrheit widersprechend zurückgewiesen. Da» hatte die deutsche Presse ziemlich einstimmig auch schon ohne die Provinzial - Correspondenz gethan, weil diese Meldungen allzu sehr den Stempel der Entstellung, deS MisverständniffeS und der Combination an der Stirn trugen. Eine ruhige Erwägung aller Anzeichen hatte aber zu der Vermuthung geführt, daß doch in jüngster Zeit ein wichtiger neuer Schritt zur Wiederaufnahme und Förderung der Verhandlungen geschehen sein müsse, und darüber geht auch die Provinzial-Correspon- denz schweigend hinweg. Wir werden fürs nächste darauf verzichten müssen, das Dunkel, welches über dieser für die ganze Gestaltung unsers politischen Le ben» so entscheidenden Frage schwebt, zu durchdringen, und fühlen eine gewisse Befriedigung, daß die Dinge noch nicht so weit gediehen sind, wie e» nach jenen Meldungen schien, und daß die angeblichen Grund lagen der Verständigung sich al» irrthümlich erwiesen haben. Möchten wir nur auch bald eine positive Mit- theilung empfangen über da», was vorgegangen ist und wa» noch vorgeht! — Die berliner Volks- Zeitung gibt für künftig-Wahlen «ine höchstbedcnk- liche Parole qu», indem sie der FortfchrittSparteit anempfiehlt, in Wahlkreisen, wo dieselbe ihre eigenen Candidaten nicht durchzubringen vermag, jeden Gegner de« derzeitigen Regierungssystem- zu unterstützen, wenn er auch Socialdemokrat ist. Conservative Blätter haben sich diesen Rathschlag, der sich ja trefflich zur Verdächtigung de- gejammten Liberalismus verwerthen läßt, nicht entgehen lassen. Ist ja doch die Zusam menstellung „Bebel-Richter-Läsker" neuerdings in cön- servativen Blättern so beliebt geworden! Dem gegen über ist eS doch zweckmäßig, zu constatireu, daß mit diesem Rathe die VolkS-Zeitung ganz allein steht oder sich doch nur deS Beifalls der Frankfurter Zeitung erfreut, daß aber weder die fortschrittliche Parteileitung in Berlin diese Parole auSgegeben hat, noch daß wir irgendwo in den fortschrittlichen Kreisen der Provinz Luxus auSstaffirt, aber ich glaube, unter 3000 M. ist der Inhalt einer solchen Koje nicht zu haben. In den Gängen stauen sich auch die Bewunderer dieser SpecieS deS berliner GewerbfleißeS, und manche Schöne mag einen heimlichen Seufzer zum lieben Gott schicke«, daß ihr nicht das beneidenSwerthe Glück geworden ist, in solchem Boudoir ihre Freunde zu empfangen oder auf dem üppigen Ruhesitz das Dasein in süßen Träume reien oder über einer schmachtenden Lektüre hinbringen zu können. Und wenn sie dann aus diesem Zauber gange heraustritt, sieht sie sich gleich in dem unge heuer» Netz aller der Artikel eingefangen, welche nun einmal der Frauen Begehr seit Eva'S Zeiten sind. Ein Ehemann an der Seite seiner bessern Hälfte, den die Tausende von ganz verführerischen, das Schönste ahnen lassenden Stiefeletten ebenso kalt lassen wie die reichhaltige Collection der wundervollsten Kleider vom königlichen Brautkleide bis herab zu dem allerrrizendsttn Neglige, abgesehen von den vielen koketten Häubchen, von farbenprächtigen Bändern, verwegenen Hüten, zu denen Rembrandt nicht allein, vielleicht auch die ro mantischen Räuber in den Abruzzen das Modell ge geben haben, ein solcher Ehemann hat seine liebe Noth, das enchantirte bessere Ich durch diese ganz unglaub lich verlockende Scylla und CharybdiS, welche die launige Göttin der Mode wie Fußangeln zu allen Seiten auSgebreitet hat, glücklich durchzulootsen, bis er endlich auf sein Terrain kommt. Leitet ihn auf diesem gefährlichen Gange durch das Zauberland der weiblichen Mode nicht ein durchaus zugeknöpfter Sinn, ist er in einer schwachen Stunde und bei guter Gebe- laune, dann kann er einige 100-Markscheine im Um- Neigung finden, diese Taktik zu befolgen. Noch viel weniger wird man der national-liberalen Partei den Borwurf machen können, mit solchen Rathschlägen einverstanden zu sein. Wie tief immer die Kluft sein mag, welche die reactionären und liberalen Bestrebungen trennt, gegenüber der Socialdemokraten haben Conser vative und Liberale doch noch immer einen gemein samen Boden zu vertheidigen, den der StaatS- und Gesellschaftsordnung, und das sollte auch unter der höchsten Aufregung der Parteilcidenschaften niemals vergessen werden. — AuS Berlin vom 6. Aug. schreibt man der Magde- burgischen Zeitung: „Die kissinger Verhand lungen interessiren alle Kreise aufS lebhafteste. Ben unterrichteter Seite geht uns die Andeutung zu, «« sei wöl das Gerathenste, bestimmte Resultate nicht zu er warten, denn wenn Masella nichts vereinbart habe, weil er zu biSmarckisch gewesen, so werde Roncetti vollends nichts zu Stande bringen, weil er zu papistisch sei. Die Herren in Rom glauben, hier brauche der Kanzler den Fortfall der Maigesetze bloS zu wünschen und dann seien die Maigesetze beseitigt; auf der an dern Seite sind sie hochmüthig genug, um sich vorzU- stellen, an der Intimität niit der Curie liege Preußen viel. Beide Vorstellungen sind irrig, und weil sie in Rom für ausgemachte Dinge gelten, so kann die fal sche Beurtheilung der diesseitigen Verhältnisse jeden Augenblick den vollständigen Abbruch der Verhand lungen herbeiführen. Die Maigesetze sind eine schweit- wiegende Thatsache, die sich nicht wieder ungeschehen machen läßt, weil sie zu tief in unser politisches wie in unser Rechtsleben hineingedrungen ist. Mit den Maigesetzen stehen wir vor Institutionen, die der Staat als eine Nothwendigkeit erkennt. Nicht wie Windt- Horst, Franckenstein und Schorlemer insinuirten, sprach der Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten im Na men BiSmarck's und Fall'», sondern im Namen de» Königs sprach er Recht. Und speciell der CultuS- minister sprang mit den Klerikalen nicht etwa nach Belieben um, sondern die Gesetze zeichneten ihm sein Verhalten vor, ihm wie dem Reichskanzler und dem gesammten StaatSministerium. Nun stellt Kran sich im römischen Lager vor, es werde leicht sein, die Mai gesetze nicht weiter zur Anwendung zu bringen; allein 1)r. Falk hat solche Zumuthung an das Gewissen der - StaatSregierung vor versammeltem Abgeordnetenhanfe als frevelhaften Gedanken gekennzeichnet, und sein Nachfolger ist nicht weniger gewissenhaft al» 0r. Falk. Konnte nun der abgegangene Cultusminister auf nicht» sich einlaffen, wa» außerhalb der Mäigtsetze lag, so ist hierzu Fürst Bismarck gerade so wenig im Staude, ja, der Kanzler hat durch sein ganzes Auftreten noch viel mehr jeden Rückzug sich abgefchnitten. Weiß er doch, daß kein Gelöbniß ihn so populär gemacht hat al» sein berühmtes «Nach Canossa gehen wir nicht». Ginge er dorthin, aller Zauber seine» Namens wäre im Nu unwiederbringlich verloren, und er wird nicht hingehen, so wahr seine Größe in seinem übermächtigen StaatSgefühle ruht, welches jede Demüthigung auS- schließt. Die Maigesetze sind für Preußen wie für das Reich ein nicht hoch genug zu veranschlagender Gewinn, und sie fallen lassen oder modificiren heißt dem Feinde ohne Noth so viele Festuyge« auSliefern, al» wir Maigesetze haben. Die Cupie hat uns gar nichts zu bieten, wir könnten bei-eisern öto3u, vivoncli, der gültige» Recht in Frage stellt, nur verlieren." sehen los werden. Die verlockenden, in den präch tigsten Paliflanderschränken auSgebreiteten Artikel sind alle zu haben und ganz reizende Verkäuferinnen lade« niit dem unwiderstehlichsten Lächeln zum Kauf ein. Welch ein Anlaß für einen galanten Ehemann, den etwa durch eine Gardinenpredigt gestörten Hausfrieden dadurch schnell wiederherzustellen, daß er die holde Gattin, statt sie zu Herzog und Gerson zu führe», hierher geleitet und ihr zuruft: „Gebiete ganz nach Belieben über meine Brieftasche!" Aber auch die Männer haben, noch mehr al» un sere zarten, schwachen Frauen, ihre kostspieligen Lieb habereien. Huldigen sie dem edeln Sport und Turf, dann eilen sie gewiß spornstreichs in jene Säle, wo alle Attribute der edtln Reitkunst und des herzstärken den Jagdvergnügens in einer Ueberfülle aufgestapelt sind. Liebt Einer als gelehrter Mann die Wissenschaft, dann wird er sich in ver Gruppe festsetzen, wo der Buchhandel sein Reich aufgeschlagen hat, wo sich eine vollständige Ausstellung aller Lehrmittel in einer ganz vorzüglichen methodischen Uebersicht findet. Ist er ein Verehrer der edeln Musika, welchen schöner« Aufent halt kann er finden als da, wo die Flügel, die Pia- ninoS, die Harmoniums unserer besten Fabrikanten, einen Duysen an der Spitze, zum Kaufe (und oft zu einem sehr billigen) einladen. Wer das Glück hat, durch das Leben heiter fahren zu können, dem würde die Auswahl in jener Gruppe schwer werden, welche die Wagenfabrik in allen erdenklichen Nuancen des Comforts, de» Reichthums repräsentirt. Kurzum, auch da, wo nur für die Bedürfnisse, den gesteigerten Ge schmack der Männer gesorgt wird, ist die Parole: