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Kennzeichnend für Hindemiths Persönlichkeit waren seine lebensbejahende Haltung und musikalische Unmittelbarkeit, die ihn die Verbindung zum volks tümlichen Musizieren suchen ließen. Auf diese Weise versuchte er den Krisen der bürgerlichen Musik, dem Klangrausch der Wagner-Epigonen entgegenzu wirken. Eine kritische Einstellung zur bürgerlichen Welt führte Hindemith in den zwanziger Jahren für einige Zeit zur Zusammenarbeit mit Bertojt Brecht („Das Lehrstück"), doch fand er nicht wie Hanns Eisler den konsequenten Weg auf die Seite der progressiven Kräfte. Hindemiths musikalischer Stil ist wesentlich geprägt von polyphonen und kon zertanten Traditionen der deutschen Musik. So kommt der Melodik eine be stimmte Rolle zu, ebenso der Eigenwertigkeit der Stimmen im polyphonen Satz. Ab 1935 gelangte der Komponist von dem erweiterten tonalen Gefüge dann immer mehr zu einem harmonisch bestimmten und tonal gefestigten Stil („Ma this der Maler") und bezog auch spätromantische Elemente mit ein. Obwohl in einigen vokalsinfonischen Spätwerken sein Hang zur Abstraktion und zum My stizismus z. T. erkennbar wird, bleibt Hindemiths Bemühen um die Gestaltung grundsätzlicher ethisch-moralischer Themen („Requiem" nach W. Withman) die bestimmende humanistische Grundtendenz seines Schaffens. Ludwig van Beethoven — Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 In allen Konzertsälen der Welt gilt Ludwig van Beethovens „ S i n f o n i a eroica" Es-Dur o p. 55 als eines der populärsten sinfonischen Meister werke der musikalischen Weltliteratur. Fast legendär schon ist die Entstehungs geschichte der Sinfonie. Beethoven, noch aus seiner Bonner Zeit ein glühender Anhänger von Aufklärung, Demokratie und der Französischen Revolution, empfing 1798 von General Bernadotte, dem Wiener Gesandten der französi schen Republik, die Anregung, ein großes Musikwerk zu Ehren des Revolutions generals Bonaparte zu schaffen und ihm zu widmen. Begeistert griff Beethoven den Vorschlag auf. Doch erst im Jahre 1801 sind Skizzen für den Trauermarsch und das Finale nachweisbar. Die genaue Konzeption und schließlich Ausarbeitung seines Pro jektes begann Beethoven erst 1803 und beendete sie im Mai 1804. Zweifellos hatte der Meister in Bonaparte den ersehnten Freiheitshelden und Vollstrecker einer neuen gesellschaftlichen Ordnung gesehen, vermerkte er doch auf dem Titelblatt seiner neuen Sinfonie: „Geschrieben auf Bonaparte". Doch als sich am 18. Mai 1804 der erste Konsul der französischen Republik zum Kaiser aus rufen ließ, tilgte Beethoven, grausam enttäuscht, über die Wandlung seines Idols zum Tyrannen, die Widmung und überschrieb das fertige Werk nun „Heroische Sinfonie, komponiert, um das Ansehen eines großen Mannes zu feiern' Darin aber liegt auch die ganze programmatische Idee des Werkes begrün det, das ganz allgemein „die Idee vom Heldentum eines von republikanischen 10 Tugenden erfüllt großen Mannes, in dessen Erscheinung sich Beethoven die progressiven politischen und gesellschaftlichen Ziele seiner Zeit repräsentiert vorstellte“ (K. Schönewolf), gestaltet, nicht etwa Episoden aus dem Leben Bo napartes. Erstmals ging Beethoven in der „Eroica" — als Konsequenz seiner revolutionär-demokratischen Weltanschauung — von einer bestimmten pro grammatischen Idee aus. Diese wiederum hatte zur Folge, daß er zu neu artigen künstlerischen Lösungen kam, ohne dabei die sinfonische Tradition auf zugeben. Dieses Neue, Epochale der schon rein umfangsmäßig ungewöhnlichen 3. Sinfonie bewirkte auch, daß die Uraufführung des Werkes am 7. April 1805 im Theater an der Wien selbst bei den innigsten Anhängern Beethovens keines wegs auf vollstes Verständnis stoßen konnte. Ungewohnt aber erschien Beet hovens Zeitgenossen nicht so sehr das scheinbar Maßlose einer bis dahin un erhörten „Musikentladung", sondern mehr noch die neue Ordnung dieser Sin fonie, die das bei Haydn und Mozart Gewohnte unermeßlich steigerte. Er war, kurz gesagt, die erstmals konsequent angewandte Technik der „durchbroche nen Arbeit", ein differenziertes Entwicklungsprinzip des thematisch-motivi schen Materials, das seinerseits zur Entfaltung neuer, erweiterter Proportionen bedurfte. Das sinfonische Schwergewicht ist auf die wesentlich erweiterte Durch führung, namentlich des ersten Satzes, gelegt; auch die abschließende Coda hat an Profil und Bedeutung gewonnen. Einmalig in der gesamten sinfonischen Literatur ist wohl die Trauermusik des zweiten Satzes. Zum ersten Mal voll ausgeprägt ist Beethovens Scherzotyp im dritten Satz der „Eroica" mit seinen hartnäckigen Wiederholungen und dä monischen Steigerungen, die im Trio durch romantischen Hörnerklang unter brochen werden. Variationsform und Kontrapunktion bestimmen schließlich die ungewöhnliche Anlage des Finales mit seinem tänzerischen sieghaften Ausklang. „Die .Eroica’ ist und bleibt die höchste musikalische Verkörperung der Ideen welt der bürgerlichen Revolution, in vier ungeheuer plastisch entworfenen Bil dern", die ihre stärksten Kräfte aus den Fanfaren, Hymnen, Märschen und Lie dern der Französischen Revolution ziehen. (W. Siegmund-Schultze). Prof. Dr. habil Dieter Härtwig 11