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1304 die Wichtigkeit der Wahlen zum Abgeordnettn- hause hin, die im October stattfinden werden. „Der EntwickelungSproceß", sagt sie, „der im Reichstage nur eingeleitct worden ist, wird im Landtage seine Consequenzen offenbaren, und der letztere wird unter diesen Umständen eine Bedeutung gewinnen, wie sie Landtagssesstonen selten eigen ist. Die Conservativen mögen — in Erinnerung an die ansehnlichen Erfolge bei den jüngsten ReichStagSwahlen — sich zu den schönsten Hoffnungen berechtigt glauben; sie mögen er warten, in dem künftigen Abgeordnetenhause ebenso stark vertreten zu sein wie in dem gegenwärtigen Reichstage. Die Stimmungen und Strömungen im Volke sind viel zu unsicher und unberechenbar, zumal im gegenwärtigen Augenblick, als daß wir untersuchen mögen, ob jene Hoffnungen berechtigt sind. Insofern jedoch scheinen die Aussichten für die Conservativen ungünstiger als bei den Reichstagswahlen, als der Socialistenschrecken nicht mehr in dem Maße wie früher seine Wirkung übt und die wirthschaftlichen Fragen, die eine so tiefgehende Verwirrung in den politischen Anschauungen hervorbrachten, die Landtags wahlen unmöglich noch in dem Grade beherrschen können wie die Reichstagswahlen. Gleichwol ver kennen wir durchaus nicht, daß den liberalen Parteien die äußerste Kraftanspannung nöthig sein wird, um ihren parlamentarischen Besitzstand zu wahren, und wir müssen darin die Aufforderung erkennen, trotz der sehr berechtigten Ermüdung zeitig und kräftig in die Wahlbewegung einzugreifen, früh und eindringlich die öffentliche Meinung mit den Landtagswahlen zu be schäftigen und uns von den Gegnern nicht überflügeln zu lassen." — Die Adresse der berliner Studentenschaft an den Cultusminister 0r. Falk hat folgenden Wortlaut: Ew. Exc. haben in einer Epoche großer nationaler Ent wickelung, deren Aufgaben Ihre volle Manneskrast in An spruch nahmen, Zeit und Gefühl für die Interessen der deutschen Universitäten bewahrt und bewiesen. Deutsche Universitäten haben Ew. Exc. während Ihrer AmtSIHätig- keit vielfach den Beweis tiefer Sympathie deutscher Stu denten entgegengebracht. In dem Augenblicke Ihres Schei dens fühlen wir als Studirende der berliner Universität uns von heißem Drange beseelt, Ihnen, Herr Minister, die Gesühle unserS Danke- und unserer Verehrung auszu sprechen. Zu Ihnen, al« dem Leiter unserS gesammten Unterrichtswesens, haben wir von dem Augenblicke, da wir zu selbständigem Denken erwachten, mit Zuversicht und Be geisterung emporgeblickt. Genehmigen Sie, Herr Minister, die Versicherung, daß diese Gefühle nicht mit der Stande entstanden, mit der Stunde verwehen werden, sondern, wie sie durch Ucberzeugung gegründet und gefestigt, vorher in un« lebten, so für alle Zeit in unserer aller Herzen fort leben werden. — Die Volks-Zeitung schreibt: „Der „Culturkampf" geht der Beendigung entgegen. Gegen den frühern Erzbischof Grafen Ledochowski war zum 15. Juli von dem Kreisgericht zu Deutsch-Krone wegen Excom- municirung des Pfarrers Lizak in Schrotz wiederum Termin angesctzt; derselbe wurde jedoch aufgehoben und die Acten an das Justizministerium gesandt." — Die Neue Preußische Zeitung theilt mit: „Der Landeshauptmann der Oberlausitz und Vorsitzender des Provinzialausschusses für Schlesien, v. Seydewitz, der jetzige erste Präsident des Reichstages, ist, wie wir erfahren, zum Oberpräsidentcn von Schlesien an Stelle des zum Cultusminister designirten Hrn. v. Puttkamer auscrsehen und soll sich zur Annahme des Amte- be reit erklärt haben. Alle übrige» bisher genannten Candidaturen beruhten nur auf Conjectur." — Die bekannte August-Conferen; wird in Ber lin am 27. und 28. Aug. abgehalten werden. Zur Besprechung sollen folgende Gegenstände gelangen: Die Simultan- und ConfessionSschule. Woran leidet gegenwärtig die Schriftauslegung auf Katheder und Kanzel? Die lutherische Kirche ein Salz und Licht für die Zukunft unserS Volkes. Wie ist den Gefah ren zu begegnen, welche die Verderbniß großer Städte für das Land hat? — Die Neue Frankfurter Presse berichtet au» Frank furt a. M., vom 14. Juli: Heute Morgen gegen 10 Uhr drang da» Gerücht durch die Stadt, daß ein Geldpostbote ermordet und be raubt worden sei. Wir erfahren über den Fall Folgende«: „Zwei Arbeiter, die sich Müller und Meyer nannten, waren in einer Logirwirthschaft in der Bendergaffe eingekehrt. Meyer sandte an Müller einen kleinen Geldbetrag per Post- anweisuna. Als heute Vormittag der Postbote Tafel, wohn haft in Niederrad, in ihrem Zimmer erschien, um da» Geld auszuzahlen, fielen beide über den Beamten her. Der eine schlng ihn mit einem wol zu diesem Zwecke angekausttn neuen Beile mehrmals auf den Kopf, sodaß er Hülse rufend zu Boden sank. Sein Ruf war gehört worden. Es eilten mehrere Leute herbei, doch gelang e« den Burschen, unter Zurücklassung ihrer Mützen zu entfliehen. BiSjetzt, mittags 12 Uhr, sind sie noch nicht ergriffen. Der Postbote hat mehrere Kopfwunden davongetragen und ist schwer verletzt in das Heiliggeist-Hospital gebracht worden; an seinem Aufkommen wird gezweifelt. ES soll den Raubmördern gelungen sein, einen kleinen Geldbetrag zu erbeuten. Die umfassendsten Anordnungen behufs Verfolgung derselben find veranlaßt worden. Thüringische Staaten. 1. Eisenach, 13. Juli. Die Herstellung einer normalspurigen Secundär- eiseubahn zwischen Ruhla und Wutha ist nunmehr gesichert; c» waren die Staatssubventionen schon früher von Weimar und Gotha bewilligt, die Privatzeichnun gen ließen jedoch noch einen Rest von 80000 M. un gedeckt; eS wurde derselbe aber von den ruhlaer Ge meinden zur Actienzeichnung übernommen und hat dieser Beschluß auf seiteu der diesseitigen Bezirksver waltung vorigen Freitag die verfassungsmäßige Zu stimmung erhalten, sodaß nunmehr bald mit dem Bau begonnen werden wird.— Vorgestern hat der Groß herzog mit Prinzeß Elisabeth Schloß Wilhelmsthal bezogen, nachdem er in voriger Woche das Oberland bereist und sich dort eingehend mit den localen Ver hältnissen dieses LandeStheilS beschäftigt, insbesondere auch die neue schmalspurige Feldabahn mittels Extra- zugS befahren. Er war von dem Bau dieser Straßen bahn sehr befriedigt. Baiern. Der augsburger Allgemeinen Zeitung schreibt man aus München vom 12. Juli: „Die in Kemnath in der Oberpfalz heute erfolgte, bereits in einem Telegramm mitgetheilte Wahl des Pfarrers Dr. Schäffler zum Abgeordneten unserer II. Kammer ist ein entschiedener Sieg der extremen Katholischen Volkspartei, ebendeshalb aber auch eine Niederlage der «Gemäßigten», der Anhänger der CentrumSfraction, die übrigens, wol in Aussicht auf die sichere Nieder lage, einen eigenen Candidaten nicht aufgestellt hatten. Nach diesem Wahlresultat dürfte wol auch die Wahl des vr. Schäffler für den Reichstag gesichert sein. Der verstorbene Abg. Dekan l)r. Lindner war Mit glied der Patriotischen Fraction unserer Abgeordneten kammer; sein heute gewählter Nachfolger aber wird ohne Zweifel der extremen Fraction Rittler-SchelS beitreten." Frankreich. * Paris, 13. Juli. Die Republique fran;aise ist der Ansicht, daß mit dem Sohne Napoleon'S ltl. in ChiSlehurst auch der BonapartismuS zu Grabe ge tragen worden ist. Sie schreibt: „Die Pforten der Geschichte schließen sich mit dem heutigen Tage über diese unselige Familie, welche den Geschicken des Va terlandes einen Verzug von 50 Jahren auferlegt hat. Frankreich wird ihr nichts als eine große Lehre ver danken, die aber, wenn eS sie beherzigt, unsern Enkeln nicht zu theuer erkauft scheinen wird, daß nämlich ein Volk sich niemals in die Hände eines einzigen, wer es auch sei und gleichviel unter welchem Vorwande, ausliefern soll. Weil unser Land diese Wahrheit ver gessen hat, mußte eS dreimal in einem halben Jahr hundert die Demüthigung, einem fremden Eroberer zu unterliegen, über sich ergehen lassen. Immerhin könnte man aber für die Jrrthümer unserer Väter mildernde Umstände entdecken, die sich für uns, wenn wir in denselben Jrrthum verfielen, nicht mehr geltend machen ließen. DaS eine mäl hatte der Zauber der Gloire, das andere mal die politische Unerfahrenheit der Massen den Sieg des Cäsarismus möglich gemacht. Jetzt läge keine solche Entschuldigung mehr vor. Die Laterne deS nächtlichen DiebeS vom 2. Decembcr hat schon längst die Sonne von Austerlitz erbleichen lassen, und nach dem eigenen Geständnisse der in ihren Traum verrannten Bonapartisten müßte man die Krone des letzten Erben der Bonaparte «im Rinnsteine» auflesen. ES sieht nicht danach auS, daß Frankreich jemals bis zu diesem Grade der Schande herabsinken sollte." Der Wintercircus war gestern ganz gefüllt, um die Rede von Hrn. de Mun betreffs der Rechte der Hausväter und der Ferry'schen Unterrichtsgesetze anzu hören. Das versammelte Publikum zollte ihm lauten Beifall. Es wurde folgende Resolution votirt: „In Anbetracht, daß die freie Ausübung der Gewissens freiheit für alle Bürger ein unumstößliches Recht aus macht, so fordert eine Versammlung von 4—5000 (?) vereinigten Personen mit Energie die Aufrechterhaltung der Freiheit des Unterrichts zurück, so wie sie durch die Gesetze von 1850 und 1875 festgestellt wurde. Sie protestirt gegen alle Maßregeln, die sie schmälern oder schmälern werden." Großbritannien. Aus dem Norden von England kommen sonder bare Nachrichten über eine neue religiöse Tobsucht, angeregt durch die sogenannten „Feldhauptleute" deS Heeres der Selig mach er. Man glaubt sich in- dunkelste Mittelalter versetzt, in die Zeiten der Tanz wuth am Rhein und an der Mosel, von der die lim- burger Chronik meldet. Den Mittelpunkt der Thätig- keit deS „Heeres der Seligmacher" bildet seit ein paar Wochen die Stadt Newcastle on Tyne. Es sind dies mal nicht wie bei dem „WiedererweckungS"-Treiben der amerikanischen Wanderprediger Moody und Sankey die untersten bürgerlichen Schichten noch auch die eigent lichen Arbeiterklassen, in denen der Unfug spielt. Viel mehr hält sich die Bewegung wesentlich an die Victor Hugo'schen „Elenden", an den verwahrlosten und ver brecherischen Theil einer in Unbildung versunkenen Be völkerung. DaS Gebaren auf den Versammlungen spottet in seiner Tollheit und seiner oft ins Sitten lose übergehenden Losgebundenheit aller Beschreibung. Die ganze Ausstattung einer Kunstreiterbande, der ganz« Lärm einer herumziehenden Bude von fremd- artigen und wilden Thieren kennzeichnet diese io ge- schlvssenen Räumen wie auch unter freiem Himmel sich abspielende Narretei. Burschen und Dirnen treten in Rotten und Riegen dabei auf. Die „Regimenter" stehen unter männlichen und weiblichen Hauptleuten; sie führen rothe Fahnen mit blauem Rande und einer flammenden Sonne oder Stern in der Mitte. Die Inschrift lautet: „Blut und Feuer!" Eine große Rolle spielt die „Hallelujah-Fiedel". Sobald der pietistische Rattenfänger zu geigen beginnt, geht eS sofort merk würdig unter den Burschen und Dirnen zu. Wenn der Prediger seine salomonische Weisheit zum besten gibt, bewegen sich die „Hallelujah-Mädchen" mit ge falteten Armen vorwärts und rückwärts. Dann stugt jeder und jede nach beliebigem Ton. Man jubelt, schreit, stampft, tanzt, schwingt die Taschentücher. Man ruft: „Gesegnet sei der Herr!" und „Amen!" — und alle Welt scheint sich köstlich zu vergnügen. Unter den Führern ragt der „Missionsriese" hervor, der 33 Stein (462 englische Pfd.) wiegt, ferner der „Ein äugige Hauptmann", der „Bekehrte Schornsteinfeger", der „Hallelujah-Hansel" und andere ins Muckerhafte umgewandte Schwartenhälse, die an die Umgebung eines berühmten deutschen Räuberhauptmannes erinnern. Jene seuchenhafte Verrücktheit, die so leicht unter einer rohen Menge ausbricht, trägt auch in diesem Falle die Früchte, die man aus der alten limburger Chronik kennt. Mädchen entlaufen ihren Aeltcrn, gehen ins gesegnete Heer der Seligmacher und haben bald die Folgen davon. Vielfache Klagen tauchen auf, daß diese Bewegung schon manches Mädchen zu Grunde gerichtet hat. Die Wirksamkeit des „Heeres der Selig macher" hat sich auch auf den Norden von Norkshire erstreckt. In Warwickshire ist ebenfalls eine Vorhut erschienen. Ein Mann, dessen Tochter entlaufen wollte, um zum „gesegneten Regiment" zu stoßen, wurde, als er ihr zu wehren versuchte, von sechs „Seligmachern" überfallen und mit dem Knüppel niedergeschlagen. Belgien. Mit alleiniger Ausnahme des Journal de Bruxelles und des Escaut haben sämmtliche klerikalen Zeitungen wegen der amtlichen Verkündigung des neuen Ele mentarschulgesetzes sich einen Trauerrand beigelegt. Ja, das Avenir von Charleroi trägt sein Leid sogar in zwei schwarzen Rahmen öffentlich zur Schau. Der eine umschließt die Namen der Depütirten und Sena toren, Pie für und die gegen das Gesetz gestimmt haben, Auszüge aus bischöflichen Hirtenbriefen rc.; in dem andern liest man Beleidigungen gegen den König uud die Minister, z. B.: „Die Könige haben kein Herz; denn der lange Nothschrei, den 5 Mill, christlicher Stimmen ausgestoßen haben, ist nicht erhört worden", und: „Sire, hat Ihre Hand nicht gezittert, als Sie das TodeSurtheil für Ihr Volk unterzeichneten?" Eine Erzählung in Reimen schildert den „Besuch Satans bei seinem Gevatter Vanhumbeuck" (dem Minister des öffentlichen Unterrichts). Rußland. Die Brande in Rußland nehmen einen er schreckenden Umfang an, fast täglich laufen darüber neue Meldungen ein. Zwei große GouvernementS- und 18 Kreis- und Bezirksstädte sind im Laufe der vorigen Woche von Feuersbrünsten heimgesucht und mehr oder minder beschädigt worden. Die sibirische GouvernementSstadt Irkutsk ist, wie wir gemeldet, am 4. und 5. Juli fast gänzlich abgebrannt. In der Nacht vom 2. zum 3. Juli brannte die polnische Stadt Siedlzy ebenfalls beinahe gänzlich nieder. Von der innern Stadt blieb nicht ein einziges Hau- un versehrt. Der Brand brach gleichzeitig an drei ver schiedenen Stellen aus, und zwar im Hause eines armen jüdischen Schneider», in einer Fabrik künstlicher Mineralwässer und im Hause de» katholischen Geist lichen. Das Feuer wurde» wie dem Petersburger GoloS vom 7. Juli geschrieben wird, gelegt. Am 27. Juni brannte, wie demselben Blatte vom 7. Juli geschrieben wird, da» Städtchen Sekurjany im Be zirke Cholin de» Gouvernement» Bessarabien bei einem großen Sturmwinde total nieder. Auch hier wurde da» Feuer gelegt. Sollten alle diese Unglücksfälle in verarmten Gegenden auf die Initiative der Socia- listen zurückzuführen sein, die denn doch gerade mit den am stärksten Betroffenen, mit dem nieder» Volke, am meisten sympathisiren? Königreich Sachsen. /V Dresden, 13. Juli. Der Bau einer Kirche in Antonstadt-Dresden wird nach dem heute im hie sigen Amtsblatt veröffentlichten Protokoll über die letzten Sitzungen des KirchenvorstandeS zu Neustadt- DreSden mit dem Jahre 1881 in Angriff genommen, da voraussichtlich zu diesem Zeitpunkte der Baufonds die Höhe von 200000 M. erreicht haben wird. Vor her poch hat die Bildung einer selbständigen Parochie