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1302 sritS, den Conservativen und dem Reichskanzler ande rerseits? Den Antrag Franckcnstcin versteht der Artikel na türlich als „Garantie" im föderativen Sinne. „Nach dem Anträge Franckenstein", sagt er, „soll der Durch schnittsertrag von rund 130 Mill. M. an Zöllen jetzt wie früher in die Reichskafse fließen, dagegen der Mehrertrag an die Einzelstaaten nach der Kopfzahl derselben verthrilt werden, während die Einzelstaaten nach wie vor zu den Reichsbedürfnisfen, welche durch die dem Reiche überwiesenen 130 Mill, und sonstige ReichSeinnahmen nicht gedeckt werden, durch Matri- cularbciträge beizutragen haben. Durch den Antrag Franckenstein sind dir Rechte der Einzelstaaten voll ständig gewahrt; nicht die Einzelstaaten wüsten darauf warten, was daS Reich in Gnade ihnen abzugeben für gut findet, sondern das Reich bleibt nach wie vor, wie der Reichskanzler sich ausdrückte, der «Kostgänger der Einzclstaaten»". Wenn jemand meinen sollte, das Centrum sei aus einer „reichsfcindlichen" Partei, was eS bisher noto risch und selbst wol eingestandenermaßen war, eine „reichsfreundliche" geworden, so würde er sich täuschen. Für die „Rechte der Kirche" kämpft eS, daneben für die „Interessen des Volkes" (mit andern Worten: für die Wünsche und Forderungen seiner Wähler) — aber vom „Reiche" ist in seinem Zukunstsprogramm so wenig Wie in seinem bisherigen auch nur mit Einem Worte die Rede. Folgendes ist die Anschauung des Cen- trumSwortführerS und der «Germania» von der ge genwärtigen politischen Sachlage und ihr darauf be gründetes Zukunftsprogramm: Da« Centrum und besten Führer sind bisher immer den geraden Weg der Wahrheit und de« Recht« gegangen, nie sind sie von ihren Grundsätzen nur einen Finger breit abgewichen. Wenn nun ihre Grundsätze nach langem, hartem Kampfe, nach vielem redlichen Streben jetzt theil weise und allmählich zur Geltung kommen, wenn der Reichs kanzler und die Conservativen zu den Führern de« Len« trum» kommen, um sich mit denselben über Durchführung der vom Lentrum al« richtig erkannten Grundsätze zu be nehmen, sollen die CentrumSführer diesem Entgegenkommen ausweichen, sollen sie die dargebotene Hand zurückweisen? Die Führer de« Lentrum« haben die ihnen dargebotene Hand nicht zurückgewiesen, und e» ist zum Heil des Volke«. Die bisher allmächtige national liberale Partei, welch« das schrecklichste Unheil auf religiösem und wirthschaftlichem Ge biet verschuldet hat, ist von ihrer stolzen Höhe derabgestürzt, da« Volk hat sich großentheil« von dieser Partei abgeweudet, der Reichskanzler, auf dessen Macht sie pochte, steht ihnen feindlich gegenüber; der Lulturkampfminister ist entfernt, der hitzigste seiner Gehülfen, der UuterstaatSsecretär Sydow, ist zur Disposition gestellt; auf wirthschaftlichem Gebiet lenkt man ein in bessere, conservative Bahnen, und vielleicht ist die Zeit nicht fern, in der auch der unglückselige „Lultur- kamps" sein Ende erreicht. Da« Lentrum hat unter seinen bewährten Führer« seine Schuldigkeit gewiß gethan, es wird dieselbe auch in Zukunft thun; e« ist auch jetzt nicht vertrauensselig, «S steht beobachtend (!), klug berechnend (!!), stet» kampfbereit (!!!) auf der Warte; e« hat seinen Grund sätzen nie etwa» vergeben und wird denselben auch in Zu kunft nicht« vergeben (I). „Wir sind heute noch, die wir gestern waren, und werden morgen sein, wa« wir heute find", so sprach im Reichstage vor einigen Wochen Windt- Horst im Namen der Lentrumsfractivn. Ja, das Lentrum ist und wird sein die Partei, welche immer eintritt für die Rechte der Kirch«, sllr die Interessen des Volkes, welche bis zum endlichen Siege kämpfen wird für Wahrheit, Frei heit und Recht. Niedrige, gehässige Verleumdungen der selben werden verschwinden wie der Nebel vor der Sonne, wenn da« Volk die Wahrheit erfährt, und nur die Wahrheit. Fürwahr, eine Bundesgenossenschaft, die, kaum daß die Allianz geschloffen ist, schon wieder „beobachtend, klug berechnend und stets kampfbereit" dasteht, die schon jetzt in einer der wichtigsten Fragen der Reichs politik, der des Militärbudgets, im Vorau» ihre ent schiedene Opposition voraussagt — eine solche ist doch wol keine sehr zuverlässige Hülfe für die Reichsregie rung. Nun» wir werden ja sehen, wie lange die Freundschaft hält. Die «Post» und wir. — Leipzig, 15. Juli. Die freiconservative «Post» beschäftigt sich in einer sehr langen Auseinandersetzung (Nr. 191, zweite Ausgabe), eingehend mit unsern wiederholten Besprechungen des Franckenstein'schen An träge». Sie thut die» in einer so achtungsvollen und leidenschaftslosen Weise, wie wir wol wünschten daß alle solche Auseinandersetzungen zwischen Organen un serer beiderseitigen Parteien gehalten wären. Wir verfehlen daher auch nicht, auf jenen Artikel der «Post» in gleich versöhnlichem Geiste und Tone zu erwidern, um unsern Standpunkt in dieser Frage festzustellen. Die «Post» findet, wir hätten bei Auslegung des Franckenstein'schen Antrages „einen Unterschied künstlich construirt", den Unterschied nämlich zwischen einer bloßen Abrechnung zwischen Reich und Einzelstaaten und einer „Ueberweisung", beziehentlich Ablieferung, von Reichs einnahmen an die Einzelstaaten in natura. Allein die «Post» wolle sich erinnern, daß sie zuerst eS war, die (neben der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung) einen solchen „Unterschied" markirte, indem sie hervor hob, es handle sich hier nur um eine „rechnerische Ma nipulation", ja die gerade dadurch die Wesensgleich heit des Franckenstein'schen Antrages mit dem von den Freiconservativen vorbereiteten, aber zurückgehaltenen zu erweisen suchte. Sie wolle sich ferner erinnern, daß Organe des Centrums daS Gegentheil behaupteten und (wie der hier oben besprochene Artikel beweist) noch behaupten, indem sie den „föderativen" Charakter des Antrages betonen, der doch bei jener Auslegung der «Post» gar sehr verwischt wird. Denn — sprechen wir doch einmal ganz offen und unverblümt! — wozu werden „Garantien" verlangt, als um sie eventuell einmal praktisch geltend zu machen? Wenn nun eine Partei, die eS bisher niemals Hehl gehabt hat, daß ihr die Stärkung der Reichsgewalt nicht eben am Herzen liege, als „Garantie" und zwar ausdrücklich als „föderative" Garantie daS verlangt, daß daS Reich gewisse Einnahmen nicht ohne weiteres, proprio jurs, soll einheimsen können, sondern daß eS warten müsse, bis ihm dieselben in der Form von Ma- tricularbeiträgen von den Einzelregierungen zugeführt würden — wenn daS von solcher Seite verlangt wird, so muß man doch glauben, daß dahinter eine bestimmte Absicht oder Voraussetzung lauere. Und welche könnte dies anders sein als die, daß unter gewissen Umstän den einmal eine Einzelregierung die Matricularbeiträge verweigern oder doch verzögern und damit der Reichs gewalt Verlegenheiten bereiten könnte? Will man dies nicht zugeben, will man eine solche Unterstellung für eine Verleumdung der Partei erklären, so fragen wir ganz einfach: warum bestand man so sehr auf dieser „Form", wenn eS wirklich eine bloße „Form" war? Nun geben wir zu, haben dies auch ausgesprochen, daß, nachdem in dem Zusatz des BundesratheS (wegen de» „Abzugs"), nachdem ferner in der Rede des Reichs kanzlers die „rechnerische Manipulation" in den Vor dergrund getreten und von dem Antragsteller, dem Centrum, dagegen nicht protestirt worden war, daß da der Antrag viel von seinem bedenklichen Charakter verloren hatte. Gleichwol begriffen wir, daß die national-liberale Fraction nach dem ganzen Gange der Verhandlungen für den Antrag nicht wohl stimmen konnte, solange jene andere, particularistische und unter Umständen für daS Reich gefährliche Auslegung nicht direct ausgeschlossen war, und in diesem Sinne äußer ten wir uns in unserer Nr. 160. Damit „suchten" wir nicht „einen Rückzug"; vielmehr constatirten wir einfach eine Thatsache. Als einen Fehler betrachten wir eS (und haben dessen nicht Hehl gehabt), daß nicht die national-liberale Partei eine zweifellose Interpre tation des Antrags provocirte. Daß wir im übrigen — mit Bezug auf die Ge- sammtlage und die Stellung, die wir unsere Partei einnehmen zu sehen wünschten — unsere Ansichten nicht geändert haben, darüber verweisen wir auf unsere neueste „Wochenschau" in der gestrigen Nummer dieses Blattes. — Deutsche- Reich. Der Deutsche Reichs-Anzeiger veröffentlicht fol genden allerhöchsten Erlaß vom 27. Mai 1878 be treffend die Errichtung des Reichsamts für die Verwaltung der Reichseisenbahnen: Auf den Bericht vom 24. d. M. und I. will ich nach Ihrem Anträge genehmigen, daß die Verwaltung der Reichs eisenbahnen von einem besondern Reichsamte al» einer dem Reichskanzler unmittelbar unterstellten Lentralbehörde ge leitet werde. Berlin, den 27. Mai 1878. Wilhelm. Fürst v. Bismarck. An den Reichskanzler. Das Blatt theilt dann mit, daß der Minister der öffentlichen Arbeiten, Staatsminister Maybach, zum Chef des Reichsamt» für die Verwaltung der Reichs eisenbahnen ernannt worden sei. — Die Neue Preußische Zeitung schreibt: „Durch den Tod des Reichs-Oberhandelsgerichtsraths Schil ling ist eine Rathsstelle beim Reichsgericht frei geworden. Wie wir hören, hat der Bundesrath be schlossen, als Ersatzmann für Hrn. Schilling den Ober- appellationSrath Scheele zu Dresden in Vorschlag zu btingen." --^-Dex Deutsche Reichs »Anzeiger vom 14. Juli schreibt: „Ein Erlaß des Ministers der öffentlichen Arbeiten vom 24. Juni d. I., durch welchen als End termin für die Umarbeitung der internationalen Tarife der 1. Ian. 1880 bezeichnet wird, erfährt in der Presse mehrfach eine Beurtheilung, welche auf Uukenntniß der thatsächlichen Verhältnisse und Vor gänge beruht. Insbesondere wird für die directen Verkehrsbeziehungen mit Oesterreich-Ungarn ohne Grund gefürchtet. Schon seit mehr als zwei Jahren schweben die Verhandlungen über Herstellung combinirter Tarife mit den österreichisch-ungarischen Bahnen, und eS ist schon vor Jahresfrist das Ergebniß derselben von der preußischen Aufsichtsbehörde in seinen wesentlichen Grundzügen genehmigt. Die bairischen und sächsischen StaatSbahnen haben derartige Tarife seit längerer Zeit bereits eingeführt. Am 1. Juli d. I. sind solche da mir doch der Titel: „Die Fledermaus, Operette in drei Acten von Johann Strauß", bereits so und so viel mal zu Gesicht gekommen war und erst noch bei Abfassung meines Berichts der Theaterzettel mir un mittelbar vor Augen gelegen hat. Mir selbst wird diese- Versehen nur dadurch erklärlich, daß bei der ziemlich raschen Aufeinanderfolge der hiesigen Auffüh rungen der Operetten „Boccaccio" von Johann Strauß, „Madame Favart" von SuppL und „Die Fledermaus" von Offenbach mir das feine Gefühl für die Stil unterschiede der Werke der genannten Operettencompo- nisten-Trias, dessen sich allem Anschein nach der „Oppe- rettenfreund" erfreut, abhanden gekommen ist. Ich muß e» also den Lesern diese» Blattes, die meinen Kritiken bisher mit einiger Aufmerksamkeit gefolgt sind, anheimstellen, ob sie nach dem mir passirten Lapsu» mich als Kritiker für moralisch vernichtet ansehen wollen oder nicht. Daß übrigens auch der „Opperettenfreund" von menschlichen Schwächen nicht ganz frei ist und e» z. B. mit der Wahrheit nicht allzu genau nimmt, beweist seine angesichts deS nicht miSzuverstehenden Wortlauts meines Berichts ziemlich auffallende Aeußerung, ich „sähe mit Verachtung auf die Operettenproducte herab". Mitnichten! Ich habe nicht von den Operettenproducten überhaupt, sondern blo» von den Operetten „neuesten Schlages" gesprochen, und zwar speciell von deren „SujetS", bei welchen eine ernsthafte Kritik wenig an gebracht sei. Auch ist eS nicht ganz zutreffend, von „verachtungsvollem Herabsehen" auf die in Rede stehende Operette zu sprechen, da ich den Vorzug derselben vor andern derartigen Erzeugnissen ausgesucht und in einer „geschicktern und zusainmenhängendern Fortführung der , Handlung" gefunden habe. UebrigenS stehe ich nicht an, zu bekennen, daß auch ich in der Vorstellung der „Fledermaus" mich großentheils amusirt habe. Ich amusire mich auch über den „Geschundenen Raubritter", wenn ich die „Fledermaus" auch nicht ganz auf Eine künstlerische Linie mit demselben gestellt haben 'will. Ob aber diese Producte eine ernsthafte Kritik ver tragen, ob insbesondere das Sujet der „Fledermaus" außer den von mir angeführten noch andere künst lerische Vorzüge aufzuweisen hat und im allgemeinen von dem Borwurf ästhetischer wie moralischer Leicht- fertigkeit freizusprechen ist, — daran erlaube ich mir so lange zu zweifeln, bis mir der „Opperettenfreund" eine bezügliche Belehrung wird haben zukommen lassen. L: Leipzig, 15. Juli. Wiederum haben wir über ein neue» Gastspiel zu berichten. Frl. Kirch- Höffer, vom Stadttheater in Breslau, trat am Sonn abend al» Clärchen im „Egmont", gestern als Jane Eyre in der „Waise von Lowood" auf. Schon in der ersten dieser Rollen muthete unS ihr natürliches, verständnißvolle» Spiel sowie ihr klang- und seelen- volleS Organ angenehm an. Nur vermißten wir in der persönlichen Erscheinung der jungen Künstlerin, die übrigens gar wohl an eine Vollblutniederländerin er innerte, einigermaßen jenen idealern Hauch, von dem wir uns nun einmal die Geliebte Egmont'S, wenn schon ei» einfaches Bürgermädchen, umkleidet denken. Die Marktscene, wo dieses ideale und selbst heroische Wesen Clärchen'» am stärksten zur Erscheinung kommt, ward vielleicht auch etwas zu realistisch einfach ge spielt. Doch war jedenfalls ein klares Verständniß der Rolle und eine sichere Verwendung ihrer Mittel an der Künstlerin zu loben. Einen noch viel mehr allseits befriedigenden Ein druck erhielten wir von dem gestrigen Gastspiel des Frl. Kirchhöffer. Ihre Jane Eyre war eine Darstel lung so recht aus dem Ganzen, so recht von innen, von einer sichern Erfassung deS Charakters in seinem tiefsten Kern heraus, ohne äußerliche Zuthaten und Flitter» — ein auch in den einzelnen Zügen fein durchgearbeitetes Bild, und doch ohne ersichtliche Be rechnung. Nach dieser Probe hegen wir von der jungen Dame die besten Erwartungen und werden unS freuen, ihr auch noch in einer größern tragischen oder heroi schen Rolle zu begegnen. Die sonstige Besetzung sowol im „Egmont" al- gestern war unserS Wissens die schon bekannte und besprochene; wir sehen daher von einer neuen Be sprechung derselben ab. Frl. Kirchhöffer ward beidemal wiederholt (zu sammen mit den hervorragender» der hiesigen Mil spielenden) hervorgerufen. Sin Act unglaublicher Verzweiflung ist die Thal eine» Deutschen Namens I. Kemmler, der in South-Holyoke, Massachusetts, lebt. Da derselbe seit Februar außer Be- schästigung war und nicht mehr wußte, wit er seine Familie ernähren sollte, erschoß er seine drei Kinder, von denen da» älteste sechs und da« jüngste ein Jahr alt war, und stellt« sich dann selbst den Behörden.