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der Bundesstaaten „in Abzug kommen". Da« wäre dann eine rein rechnerische Operation. Doch da- wird, wie gesagt, in der Plenarverhandlung erst vollständig und zweifellos klar gestellt werden müssen. Falsch ist eS (wir haben darauf schon früher hin gewiesen, müssen eS aber wiederholen, weil die gleiche Ansicht inimer wieder auftaucht, unter anderm in einem Artikel der Berliner Autographirten Correspondcnz), falsch ist eS, wenn man sagt: da- Budgetrecht des Reichstages ginge damit verloren. Denn, da die Matricularbeiträge jedenfalls der Form nach fort- bestchen, auch wenn sie nicht erst auf dem Umwege durch die Einzelstaaten, sondern vom Reiche selbst dem Reiche ausgezahlt werden, so werden auch BundeSrath und Reichstag gemeinschaftlich, wie jetzt, die Höhe der Matricularbeiträge alljährlich festzusetzen, den sodann verbleibenden Ucberschuß aber an die Einzelstaaten zu vertheilen haben. ES kommt das also ungefähr hin aus auf den seinerzeit vom Schwäbischen Merkur ge machten und von uns wiedergegebenen Vorschlag. Der ganze Angelpunkt der Entscheidung liegt somit für u»S in der Frage, ob vor der Abstimmung über den Franckenstein'schen Antrag diesem seine bedenkliche Spitze abgebrochen worden entweder durch eine zu friedenstellende authentische Erklärung im Namen der verbündeten Regierungen, oder durch einen Zusatz — etwa wie der angeblich vom Bundesrathe formulirte, oder noch präciser — worin das Princip der bloßen Abrech nung (deS „Abzugs" der Reichseinnahmen von den Matricularumlagen) ausdrücklich und klar ausgesprochen wird. Bom Deutschen Reichstage. Z) Serlin, 8. Juli. Vor dem Eintritte in die Tagesordnung der gestrigen Abendsitzung des Reichs tages beantragt Abg. Richter-Hagen, da die Tages ordnung der Abendsitzung nicht geschäftsordnungsmäßig den Mitgliedern gedruckt in ihre Wohnungen gesandt sei, der Sitzung keinen Fortgang zu geben, da diese Bestimmung ein Schutz der Minorität gegen Ueber- rumpelung durch die Majorität sei. Präsident v. Seydewitz bemerkt, daß dasselbe Ver fahren wie heute in allen analogen Fällen beobachtet worden sei, worin ihm die Abg. Zinn und v. Schor- lemer-Alst beistimmen. Abg. Völk weist auf die Pflicht jedes Abgeordneten hin, am Schlüsse jeder Sitzung bei der Verkündigung der Tagesordnung gegenwärtig zu sein, welche jede weitere Mittheilung derselben überflüssig mache. Trete die verwerfliche Praxis ein, daß die Minorität durch Wegbleiben den Versuch mache, das Haus beschluß unfähig zu machen, dann bedürfe die Majorität Schutz gegen die Manöver der Minorität durch Herabsetzung der für die Beschlußfähigkeit des Hauses erforderlichen Ziffer. Abg. Richter erklärt sich die Erregtheit des Vor redners aus der Thatsache, daß unmittelbar nach einer kurzen Mittagspause eine Abcndsitzung anberaumt sei. Er, der Redner, sei erschienen, versuche also nicht, daS HauS beschlußunfähig zu machen; er besuche die Sitzun gen fleißiger als der Vorredner. Er erhebe Protest gegen das ungesetzmäßige Zustandekommen dieserSitzung und der darin gefaßten Beschlüsse und beantrage die sen Protest im Protokoll zu vermerken. Abg. Völk: Die Erklärung deS Vorredner- für meine Erregtheit weise ich als unwürdige Insinuatio nen zurück. Ich bin in jeder Sitzung gewesen, außer wenn ich dringend in den bairischen Landtag mußte. Der Präsident rügt den Ausdruck „unwürdige In sinuationen" als unparlamentarisch. In erster und zweiter Berathung genehmigt daS HauS unverändert und ohne Debatte die Vereinbarung zwischen dem Deutschen Reiche und der Schweiz we gen der Grenze bei Konstanz. DaS Haus tritt dann in die zweite Berathung des Gesetzentwurfs betreffend die Abänderung einiger Bestimmungen der Gewerbeordnung. Zunächst soll Z. 30 der Gewerbeordnung dahin abgeändert wer den, daß Unternehmer von Privatkranken-, Privatent- LindungS- und Privatirrenanstalten der Concession einer höher» Verwaltungsbehörde bedürfe», welche bei Mangelnder Qualität des Unternehmers oder deS Eta blissements versagt werden kann. Abg. v. Kleist-Retzow beantragt hierzu einen Zu satz, wonach die Landesbehörden befugt sind, für Orte, wo sich daS Bedürfniß dazu herausstellt, die gewerbs mäßige Erziehung von Kindern unter sechs Jahren von einer Erlaubniß der Gemeindebehörde abhängig zu machen. Eventuell beantragt er, an Stelle deS Z. 6 der Gewerbeordnung folgende Bestimmungen zu setzen: Da« gegenwärtige Gesetz findet keine Anwendung auf da« Bergwesen, die Fischerei, die Ausübung der Heilkunde, die Errichtung uod Verlegung von Apotheken und den Ber kaus von Arzneimitteln, die Erziehung von Kindern unter sechs Jahren gegen Entgeld, da« Unterrichtswesen, die advo- catorische und Notariat-Praxi«, den Gewerbebetrieb der Au«wanderung«unternehmer und Auswanderungsagenten, der Bersicherung«unternehmer und der Eisenbahnunterneh mungen, den Vertrieb von Lotterielosen, die Befugniß zum Halten öffentlicher Fähren und die RechtSverhältniffe der Schiffsmannschaften auf den Seeschiffen. Der Antragsteller motivirt seinen Antrag damit, daß e- nothweudig sei, dem scheußlichen Gewerbe der sogenannten „Engelmacherinnen" möglichst ein Ende zu machen. Den armen hülflosen Kindern müsse die Obrigkeit den stärksten Schutz angedeihen lassen. Sei nen weiter gehenden Eventualantrag würde er noch lieber al- den principalen angenommen sehen. Abg. Zinn: Er glaube, daß in der Regierungsvorlage da» Maß innegehalten sei, in dem nach dem Gutachten ärztlicher Kreise der 8- 3V einer Aenderuug bedürfe. Er wüosche von der Regierung eine Erklärung dahin, daß man von den Privatkrankenanstalten nur den Nachweis fordern werde, daß in ihnen den Anforderungen der Gesundheitspflege Genüge geschehen könne, daß mau aber nicht bestimmte technische Vorschriften für die Anlagen derselben treffen werde. Der im Anträge v. Kleist beregte Gegenstand ver hiebe die größte Berücksichtigung, er bitte, diesen Antrag anzunehmen. ,> Geheimrath Nieberding gibt die vom Vorredner verlangte Erklärung in dem von demselben gewünschten Sinne. Abg. Mendel: Er erkenne die MiSstände bei der Pflege der Haltekinder an, bezweifle aber, daß man dieselben durch einen Para graphen der Gewerbeordnung heben könne. Viel bessere Mittel dazu seien eine rege Lontrole durch die Aerzte und die obligatorische Leichenschau. Durch Loncession-pflichtig- leit werde man die guten: Pflegemütter von dem Gewerbe zurückschrecken. DaS in der Regierungsvorlage Geforderte sei billig, könne aber schon mit den bestehenden Aussichts rechten erreicht werden. Abg. Lasker: Er sehe in der Regierungsvorlage gar keine Abände rung der jetzigen Gewerbeordnung; in der Judicatur werde gar kein Unterschied hervortreten. Er nehme deshalb diesen Paragraphen, in welchem das freie Ermessen der Polizei in Bezug aus die Qualifikation des Local- mehr al« bisher eingeschränkt werde, an. ' Den Zweck, welchen der Antrag v. Kleist verfolge, billige er vollkommen; die Fassung des selben sei aber eine sehr bedenkliche. Der Begriff „Ge meindebehörde" sei jetzt so unbestimmt, daß man der selben nicht so weit gehende Befugnisse einräumen könne. Der beste Weg sei, die Regierung zu einer entsprechenden Vorlage aufzufordern. Weniger bedenklich sei der Even tualantrag v. Kleist. Abg. Schröder-Friedberg zieht eine Resolution, wie sie LaSker vorgeschlagen, dem Anträge v. Kleist vor. Abg. v. Schlieckmann: Vor 1869 seien in Berlin jährlich 800—1400 Lon- cessionen an Haltefrauen ertheilt worden. Diese Frauen seien außer von der Obrigkeit von einem freien Verein con- trolirt worden. Diese Thätigkeit sei aber mit dem Inkraft treten der neuen Gewerbeordnung vollständig gescheitert. Hier müsse durch Annahme Le« Eventualantrages ». Kleist Remedur geschaffen werden. Gleicher Ansicht ist der Abg. Windthorst. Abg. Delbrück: Die Bestimmungen über das PrivaterziehungS - und UnterrichtSwesen habe man deshalb aus der Gewerbeord nung weggelaffen, weil dieselben nicht zur Lompetenz des Reiches gehören. Zu einer Competenzerweiterung sei hier kein Anlaß vorhanden, man könne her Particulargesetzgebung darin vollständig freie Hand lassen. Abg. Löwe-Berlin kann aus formellen Bedenken nicht für den Antrag v. Kleist stimmen, da man dessen Tragweite hier nicht vollständig übersehen könne. Darauf wird Art. 1 mit dem Eventualantrage v. Kleist, nachdem in dem letzter» die Worte „unter sechs Jahren" gestrichen sind, angenommen. In Betreff der Schankconcessionen, deren Erthei- lung in Städten nnter 15000 Einwohnern oder auf Grund eines OrtSstatutS vom Bedürfniß abhängig gemacht wird, hat die Commission zur Regierungs vorlage einen Zusatz beschlössen, daß vor Ertheilung die OrtSpolizei- und die Gemeindebehörde gutachtlich zu hören ist. Die Ahg. Streit und Genossen beantragen, für den Betrieb der Gastwirthschaft, des Wein- und Bier ausschankes den Nachweis des Bedürfnisses nicht zu erfordern, wenn in dem betreffenden Local bereits früher dieses Gewerbe betrieben oder dasselbe dazu besonders baulich eingerichtet ist. Abg. Richter-Hagen: Er sei der Meinung, daß keine Garantie gegen die Willkür der Polizei in der Versagung von Schankcon- ceffiouen geschaffen sei. Auch da» Ermessen der Landes- regierungen sei nicht «eignet, davon die rechtliche Stellung einer für da« öffentliche Leben äußerst wichtigen Klaffe von Gewerbtreibenden abhängig zu machen. Abg. Windthorst will der Polizeiwilikür dadurch eine Schranke setzen, daß er auch die Entscheidung über die Concessionsertheilung mit in die Hände der Gemeindebehörden zu legen beantragt. Abg. v. Schlieckmann: Häufig werden die Gastwirthschaften nur errichtet, um auf dem Umwege eine Schankwirthschaft zu betreiben; diesem Unfuge müsse gesteuert werden. Im Interesse der Vermin- derung der Schankwirthschaften bittet der Redner, alle An träge abzulehnen. , Geheimrath Nieberding spricht sich gegen die An träge Streit und Windthorst aus. Da- Hau- lehnt den erster» ab und nimmt den Antrag Windthorst mit 118 gegen 117 Stimmen an. Nächste Sitzung Dienstag 11 Uhr. Tagesordnung: Nachsteuer von Taback, Tarifgesetz, Statistik des Waaren- verkehrS, Anfechtung von Rechtshandlungen eines Schuld ner- außerhalb deS Coucurse-, Faustpfandrecht, Wahl- Prüfungen. Al- erster Gegenstand steht auf der heutige» Tages ordnung die zweite Berathung deS Entwurfs betreffend die Erhebung einer Nachsteuer von Taback und TabackS- fabrikaten. Abg. vr. Buhl als Referent der TabackS- fleuercommission empfiehlt den von derselben mit 17 gegen 11 Stimmen gefaßten Beschluß, den Entwurf abzu lehnen. Ohne Debatte tritt das HauS diesem An träge bei. Es folgt die Fortsetzung der zweiten Berathung de« Tarifgesetzes; die DiScussion beginnt mit Para- graph 4, welcher lautet: Die folgenden Gegenstände bleiben vom Eingangszoll frei, wenn die dabei bezeichneten Voraussetzungen zutreffeo: 1. Erzeugnisse de» Ackerbaues, der Waldwmhschast uod der Viehzucht von denjenigen außerhalb der Zollgrenze ge legenen Grundstücken, welche von innerhalb der Zollgrenze befindlichen Wohn- und WirthschaftSgebäuden au» bewirth- schaftet werden; (2—9: gebrauchte Kleidungsstücke und Wäsche, gebrauchte Hausgeräthe, Geräthe und künstlerische Instrumente, Eisen bahnwagen, leere Fässer, Säcke, Musterkarten, Kunstsachru für öffentliche Sammlungen, Alterthümer, Antiquitäten, alle die genannten Objecte, sofern der Importeur im Stande ist, nachzuweisen, daß alle diese Gegenstände zu bestimmt bezeichneten Zwecken eingeführt werden sollen, die vor allem die Absicht, mit dem Eingeführtcn Handel zu treiben, auS- schließen); 10: Materialien, welche zum Bau, zur Repara tur oder zur Ausrüstung von Seeschiffen verwendet werden, einschließlich der gewöhnlichen Schiffsutensitien, unter den vom BundeSrathe zu erlassenden näher» Bestimmungen. Hiusichtlich der metallenen, für die bezeichneten Zwecke ver wendeten Gegenstände bewendet es bei den bestehenden Vor schriften. In Nr. 1 beantragt Abg. Graf zu Stolberg- Rastenburg die Worte: „der Waldwirthschaft" zu streichen; in Nr. 10 hinter „Schiffsutensilien" hinzu zufügen: „seewärts eingehend". Referent Abg. Windthorst spricht sich für Ableh nung des ersten Amendements des Grafen Stolberg aus, ebenso Abg. Frhr. zu Franckenstein. Abg. Frhr. v. Fürth plaidirt für den Beschluß der Commission, indem er die Interessen der ländlichen Grenzbewohner als gefährdet bezeichnet, wenn man diese Leute zur Verzollung ihres eigenen producirten Holzes zwingen wollte. Bei der Abstimmung wird da- erste Amendement des Abg. Grafen Stolberg abgelehnt, §. 4 Nr. 1 unverändert angenommen, desgleichen die Nrn. 2—9. Zu Nr. 10 befürwortet Abg. Graf Stolberg sein zweite- Amendement. Im Interesse der Hebung der deutschen, Rhederei solle man wenigstens die landwärts eingehenden Schiffsutensilien mit einem Zoll belege». Bunvescommissar Geheimrath Burchard bittet, den Antrag Stolberg sowol als die ganze Rr. 10 der CommissionSbeschlüffe abzulehnen. Eine so steil gehende Zollfreiheit für alle Schiffsutensilien ohne Unterschied könne selbst nicht im Sinne und Plane der Commission gelegen haben. Abg. vr. Delbrück empfiehlt den Commissionsvor schlag unter Ablehnung des Stolberg'fchtn Antrages. Letzterer wird darauf abgelehnt, Nr. 10 unver ändert angenommen. tz. 5 lautet nach den Beschlüssen der Commission: Waaren, welche aus Staaten kommen, welche deutsche Schiffe oder Waaren deutscher Herkunft ungünstiger behan deln als diejenigen anderer Staaten, können, soweit nicht Vertragsbestimmungen entgegenstehen, mit einem Zuschläge bis zu 50 Proc. de« Betrages der tarifmäßigen Eingangs abgabe belegt werden. Die Erhebung eines solchen Zu schlages wird nach erfolgter Zustimmung des Bundesrathe« durch kaiserliche Verordnung bestimmt. Diese Anordnung ist dem Reichstage sofort oder, wenn derselbe nicht versam melt ist, bei seinem nächsten Zusammentritt mitzutheilen. Dieselbe ist außer Kraft zu setzen, wenn der Reichstag die Zustimmung nicht ertheilt. Abg. Udo Graf zu Stolberg beantragt, in Z. 5 hinter den Worten „anderer Staaten" einzuschalten: „oder welche deutsche Erzeugnisse, abgesehen von Ver- zehrungSgegenständen, mit einem Einfuhrzoll von mehr als 40 Proc. des Werthes belasten." Der Referent Abg. Windthorst empfiehlt Annahme der Vorlage und Ablehnung des Amendements Stolberg. In der Regierungsvorlage war hinter den Worte« „anderer Staaten" noch eingeschaltet: „oder welche deutsche Erzeugnisse mit einem erheblich höher» Ein fuhrzoll belasten, als solcher von ausländischen Erzeug nissen bei der Einfuhr in das deutsche Zollgebiet er hoben wird"; ferner standen statt „50 Proc. des Be trages" die Worte „zum doppelten". Der Schlußsatz von der Mittheilung der Anordnung an den Reichstag fehlt in der Regierungsvorlage gänzlich. Abg. vr. Bamberger: Der §. b war gewissermaßen der Ausgangspunkt de« ganzen Tarifs, und dieser Retorstonsparagraph kehrt hier am Schluffe wieher. Was man 20 Jahre hindurch versucht hat, in friedlichem Berkehr zu erreichen, will man jetzt durch einen Kampf der Böller erreichen. Da« Merkzeichen der Zivilisation ist größte Ehrlichkeit. Nicht» bezeichnet so sehr die Umkehr von diesem srühern civilisatorischem Princip, al- daß wir nun zu einem Kampfe übergehen wollen, wel chen man früher perhorrescirt hat. Ich muß nun anerken nen, daß die Lommission bemüht war, der Regierungsvor lage den schroffsten Inhalt zu rauben. 8- 5, wie er jetzt steht, verbietet jeder Nation, eine andere Nation günstiger zu behandeln al» die deutsche. Wenn wir aber den Geist