Volltext Seite (XML)
1150 erklärt, daß er ihnen heute noch keine Antwort erthei- len könne, weil er vorher noch eine Antwort der Pforte erwarte. * London, 23. Juni. Nach einer Meldung de» Reuter'schen Bureau au» Kairo lehnte der Khedive da» Verlangen, die Regierung niederzulegen, ab und wie» den französischen und den englischen Consul an den Sultan. Man trifft Maßregeln, um die Gläu biger, welche GerichtSurtheile gegen den Khedive er- stritten, sofort zu bezahlen. Konstantinopel, 21. Juni. Der Streit zwischen OSman-Pascha und seinen Gegnern hat, wie ver lautet, mit einem Siege Osman-Pascha'» geendigt. Denn soeben wird angekündigt, daß Fuad-Pascha und RnSret-Pascha, jene beiden Mitglieder de» KriegS- ratheS, welche OSman-Pascha anschuldigten, StaatS- gelder unterschlagen zu haben, zur Disposition gestellt worden sind. Jeder von ihnen empfängt indeß noch monatlich 10000 Piaster Gehalt, sodaß die Ungnade keine allzu starke ist. Officiell wird gesagt, daß der Grund zu dieser Maßregel gegen jene beiden hohen Offiziere nur in einem rein persönlichen Conflict zu suchen sei, der wegen einer technischen Frage auSge- brochen ist. (D. M.-Bl.) * Washington, 21. Juni. Der Senat hat die Armeevorlagen mit Einschluß des Artikels, welcher die Verwendung von StaatSgeldern zum Unterhalt und zur Beförderung von Truppen nach den Abstimmungs orten während der Wahlperiode untersagt, mit 23 ge gen 19 Stimmen genehmigt. Alle zu der Bill ge stellten Abänderungsanträge waren von der Majorität abgelehnt worden. Leipzig, 23. Juni. ' Die trotz aller Vorsicht dennoch unvermeidlichen körperlichen Anstrengungen und die vielfachen, wenn auch noch so freudigen, gemüthlichen Aufregungen, welche für unsern allverehrten Kaiser mit der Feier seiner Goldenen Hochzeit verbunden waren, haben glück licherweise dem hochbetagten Monarchen nicht geschadet — ein neuer erfreulicher Beweis seiner guten Natur, die der Himmel ihm noch lange erhalten möge! Se. Maj. der Kaiser wollte gestern behufs der gewohnten Sommercur nach EmS abreisen. Ihre Maj. die Kaiserin hat sich zuerst nach ihrer Geburts- hciniat Weimar begeben, um dann wieder in Koblenz Residenz zu nehmen. Der Reichstag ist auch !in der nun abgelaufenen Woche mit der Berathung des Zolltarifs noch nicht fertig geworden. Inzwischen bereitet man sich, wäh rend ein Durchgehen des Tarifs in allen wichtigen Punkten nach der Regierungsvorlage kaum mehr zweifelhaft ist, nun immer ernstlicher auf die Beschluß fassung über die Finanzzölle vor. Die regierungs seitig ertheilten Auskünfte über die muthmaßlichen Er trägnisse der Schutzzölle lassen die Nothwendigkeit einer Ergänzung derselben durch ausgiebige Finanzzölle noch mehr hervortreten. Wir würben unS freuen, wenn die Nachricht von einer zwischen dem Reichskanzler und Hrn. v. Bennigsen betreffs der sogenannten kon stitutionellen Garantien zu Stande gekommenen Ver ständigung — eine Nachricht, die wir allerdings zur Zeit nur im Deutschen MontagS-Blatt finden — sich bestätigte. Wir würden uns doppelt sehr darüber freuen, wenn gleichzeitig mit der dadurch angebahnten Wahrscheinlichkeit eines Zusammengehens der National- Liberalen mit der Reichsregierung in der Frage der Finanzzölle das Centrum, wie eS heißt, in die ihm natürliche Stellung einer halb particularistischen, halb internationalen Opposition gegen den Reichsgedanken, die es nur scheinbar eine Zeit lang aufgegeben, wieder zurückträte und sv die Situation nach zwei Seiten hin geklärt würde. Im Bundesrathe ward der Gütertarifgesetzentwurf zwar angenommen, jedoch, wie es scheint, mit dem Vorbehalt, daß die endgültige Entscheidung von der Vorfrage abhängig sein sollte, ob ein solches Gesetz eine Aenderung der Reichsverfaffung (Art. 45) in sich schließe. DaS letztere scheinen mehrere Regierungen, so nament lich die von Sachsen, Baiern, Würtemberg, anzuneh men. Wir halten diese Ansicht (wie wir in besondern Artikeln ausgeführt haben) für richtig. Soeben vernehmen wir, daß nach einem neuern Bundcsrathsbeschlusse die Entscheidung der Berfassungs- frage verschoben, dagegen eine neue Berathung des materiellen Inhalts jener Vorlage in Aussicht genom men sei. Das Nähere bleibt abzuwarten. Die ägyptische Frage hat eine unerwartete Wen dung genommen. Nachdem zuerst die Westmächte in folge der Zurückhaltung des englischen Cabinets zu einem gemeinschaftlichen Entschlusse gegenüber dem Staatsstreiche des Khedive nicht gelangen konnten und dadurch der deutschen Regierung Gelegenheit gaben, die Initiative zur Wahrung der Interessen europäi scher Staatsangehöriger zu ergreifen, scheinen dieselben nun plötzlich das Versäumte gutmachen und Deutsch land gleichsam übertrumpfen zu wollen, indem sie dir Absetzung des Khedive verlangen. Inzwischen hat aber Bom Deütschtn Reichstage. / O Aerli», 21. Juni. Präsident v. Seydewitz er öffnet die Sitzung um 11 Uhr 35 Min. mit geschäft lichen Mittheilungen. Wiederum wird eine Reihe von Urlaubsgesuchen bewilligt. , Eingegangen ist ein Gesetzentwurf betreffend die Sicherung der gemeinschaftlichen Zollgrenze in den vom deutschen Zollgebiet nicht eingeschlossenen bremischen Gebietstheilen. Erster Gegenstand der Tagesordnung ist die zweite Berathung des Gesetzentwurfes betreffend die Ver fassung und Verwaltung von Elsaß-Lothringen. §. 1 lautet: Der Kaiser kann landesherrliche Befugnisse, welche ihm kraft Ausübung der Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen zu stehen, einem Statthalter übertragen. Der Statthalter wird vom Kaiser ernannt und abberufen. Er residirt in Straß burg. Der Umfang der dem Statthalter zu übertragenden landesherrlichen Befugnisse wird durch kaiserliche Verord nung bestimmt. Abg. vr. Simons (Elsässer, Protestler): Er könne der Vorlage nicht zustimmen. Das indirekte Wahlsystem sei für die Landesvertretung fehlerhaft. Die Regierung habe mit der Bevölkerung zu wenig Fühlung, und dieses Misverhältniß werde in Zukunft nicht aufhören. Redner wird wiederholt vom Präsidenten zur Sache ge rufen, ergeht sich jedoch immer wieder in allgemeinen Be trachtungen über die Theorie und Aufgabe der Selbst verwaltung. Erste Aufgabe des Statthalters sei, der Kirche mit wahrer Courtoisie die ihr gebührende Stellung zu schaffen. Darauf wird Z. 1 ohne weitere Diskussion an genommen. Z. 2 lautet: Auf den Statthalter gehen zugleich die durch Gesetze und Verordnungen dem Reichskanzler in elsaß-lothringischen Landesangelegenheiten überwiesenen Befugnisse und Ob liegenheiten sowie die durch 8. 10 des Gesetzes betreffend die Einrichtung der Verwaltung vom 30. Dec. 1871 dem Oberpräsidenten übertragenen außerordentlichen Gewal ten über. Die Abg. Kable, Güerber und Germain, unterstützt von den übrigen Protestlern, beantragen die Worte: „sowie die durch Z. 10 des Gesetzes betreffend die Einrichtung der Verwaltung dem Oberpräsidenten über tragenen außerordentlichen Gewalten", zn streichen und nachstehenden Absatz folgen zu lassen: „Die Befug nisse, welche dem Oberpräsidenten durch K. 10 deS Gesetzes vom 30. Dec. 1871 übertragen sind, sind aufgehoben." Abg. Kable: Der §. 10 des Gesetzes über die Verwaltung Elsaß- Lothringens vom 30. Dec. 1871 wird in den Reichslanden als eine sehr drückende Bestimmung empfunden und durch das Bestehen diese« Paragraphen da« MiSbehagen und die Unzufriedenheit meiner Landsleute täglich von neuem ge auch Deutschland (wenn eine telegraphische Depesche der Daily News sich bestätigt, die durch ihren Wie-, derabdruck in der Norddeutsche» Allgemeinen Zeitung allerdivgS an Glaubhaftigkeit sehr gewinnt) wieder einen neuen Schritt in dieser Angelegenheit gethan und am 12. Juni ein Ultimatum an den Khedive gerichtet. Auch in der türkischen Hauptstadt gehen sonder bare Dinge vor. OSman-Pascha, der „Löwe von Plewna", starker Unterschleift angeklagt? Dann wieder seine Gegner entsetzt, er selbst Herr der Lage? .Was ist richtig und was wird schließlich dabei herauS- kommen? Noch weiß man eS nicht. Die österreichischerseits in Aussicht gekommene Be setzung von Novibazar ist auch in der vergangenen Woche noch nicht erfolgt. Dagegen sind Veranstal tungen getroffen, um die bereits besetzten türkischen Provinzen Bosnien und die Herzegowina in den öster reichischen Zollverband einzubeziehen. In der Geschichte der französischen Republik waren während der Vorwoche zwei Ereignisse zu verzeichnen, von denen das eine dem ruhigen Fortbestände der re publikanischen Regierungsform muthmaßlich günstig sein wird, während das andere allerdings manche Bedenken für die Zukunft der Republik wieder wach ruft. Der Tod des Prinzen LouiS Napoleon, den seine Anhänger bereits als Napoleon IV, auf den Schild hoben, be freit die Republik jedenfalls von einem gefährlichen Prätendenten und wird dem Uebermuth der bonapartisti- schen Ultras, der gerade in letzter Zeit bis zum Un erträglichen gestiegen war, wie unter anderm die vielen Skandalscenen in der Kammer hekundeten, hoffentlich einen starken Dämpfer aufsetzen. Dahingegen sehen wir im Interesse der sogenannten „konservativen" Re publik die Rückkehr der Kammern nach Paris nicht ohne Bedenken sich vollziehen. WaS uns dieses Be denken erregt, ist weniger die specielle Besorgniß vor Ruhestörungen und einem dadurch unmittelbar auf die gesetzgebenden Gewalten zu übenden Druck, als die allgemeine Betrachtung, daß mit dem hiernach gleichsam wieder legitim erklärten beherrschenden Einfluß von Paris leicht jene radikalere Strömung aufs neue die Ober- j Hand in der öffentlichen Meinung Frankreicks ge-, winnen möchte, welche allezeit in Paris einen Haupt« i stützpunkt fand. Ob diese unsere Besorgniß eine un- nöthige gewesen (wie wir gern wünschen wollen), wird die Zukunft lehren. und präci» genug geregelt, und in dieser Nichtverantwortlich keit des Mannes dem LandeSauSschuffe gegenüber liegt der Hauptgrund, daß letzterer nicht die ihm staatsrechtlich ge bührende Stellung in der Verwaltung erlangen kann. Weiter hätte ich eS lieber gesehen, wenn man die Dictaturbefug- niffe dem Statthalter nicht in seiner Eigenschaft al» Stell vertreter des Reichskanzlers für Elsaß-Lothringen, sondern als Inhaber gewisser landesherrlicher Befugnisse beigelegt hätte. Solange der Dictaturparagraph in Kraft ist, ist niemand in Elsaß-Lothringen gesichert gegen unbegründete Denunciationen böswilliger Menschen, und da- ist ein uner träglicher Zustand. Ich will nicht alle Fälle kritisiren, in denen 8-10 angewandt worden ist, — vielfach ist er sicher lich falsch angewendet worden, und ich glaube, daß auf die Dauer ein Land nicht regiert werden kann mit solchen Be stimmungen, selbst wenn sie mit aller Milde gehandhabt werden. Soll aber ein ähnlicher Zustand durchaus bei behalten werden, so wünschte ich die Macht dazu in der Hand eine» Militärs zu sehen; die Militärbehörden sind unbefangener und vorurtheil-freier al» die Livilbehörden, vielleicht, weil sie sich ihrer Kraft bewußt sind, und so habe nährt. Solange dieser Dictaturparagraph in Geltung ist, haben wir factisch den Belagerungszustand; er muß also aufgehoben werden, wenn die Bevölkerung Vertrauen zu der neuen Verfassung-- Und Verwaltung-gesehgebung ge winnen soll. Da nun einmal da» Amt de« Oberpräsidenten aufhört, ist e« zu empfehlen, diesen verhaßten Paragraphen nicht in die neue Verwaltung übergehen zu lassen und so dem Statthalter von vornherein «in vertrauensvollere» Ent gegenkommen zu sichern. Die Bevölkerung muß die Sicher heit haben, daß die Verhältnisse sich in regelmäßiger fried licher Weise entwickeln können, daß nicht in jedem Augen blick die Wirkung der Livilgesetze suspendirt werden kann. Wir wünschen auch besonders unsere Preßverhältuiffe nicht durch die Dictatur, sondern gesetzmäßig geordnet zu sehen. Nicht länger darf e« uns verwehrt sein, neue Zeitungen zu gründen und solche aus dem Auslande zu beziehen. Wenn der Abg. Fürst zu Hohenlohe behauptet hat, daß «S bei den Elsässern liege, sich so zu verhalten, daß der Dictatur paragraph nicht zur Anwendung zu kommen braucht, so sei die« unrichtig, da man vor allem den Elsässern Vertrauen entgegenbringen müsse. Nur auf diese Weise ist e« mög lich, daß sich gesunde geordnete Zustände entwickeln. Bundesbevollmächtigter StaatSsecretärHerzog bittet, den Antrag Kable abzulehnen, und tritt der juristischen Auffassung entgegen, als sei der bekannte Diktatur- Paragraph schon heute aufgehoben durch Art. 68 der ReichSverfassung: Wohl ertheilte Art. 68 dem Kaiser da» Recht, einzelne Theile de» Reiches in den Belagerungszustand zu versetzen, es werde aber durch diese Bestimmung an der bestehende» Landesgesetzgebung nicht das mindeste geändert. Es werde nun zwar vielfach behauptet, Elsaß Lothringen hat sich im großen Ganzen ruhig und loyal verhalten, und man könne den Dictaturparagraphen deshalb ruhig entbehren, es sei doch aber bedenklich, deshalb sich der absoluten Sicherheit hinzugeben, um so mehr, als der Dictaturparagraph unter normalen Verhältnissen in ruhigen Zuständen ja niemand i störe. In erster Linie sei e» nöthig, daß Elsaß-Lothringen erkenne, daß da» Band, welche- eS an Deutschland fesselt, unlöslich ist. (Bravo!) Dann werde sich erst von einer Aufhebung de« Dictaturparagraphen reden lassen; der bloße Mangel activen Widerstandes gegen die Gesetze und die Reichszngehörigteit lasse die Aufhebung noch nicht gerecht fertigt erscheinen. Abg. Hoffmann (Fortschritt): In der laufenden Sitzungsperiode stehen die Ansichten in vielen Beziehungen sich so schroff gegenüber, wie selten zuvor. Um so wohlthuender ist es darum, wenn einmal i ein Gesetzentwurf von nicht unerheblicher Tragweite dem - Reichstage zugeht, über dessen Werth und brauchbaren In- ! hält im ganzen Hause eine fast vollständige Einigkeit herrscht. I Leider aber stellt der Entwurf an die Fortschrittspartei eine sehr schwere Zumuthung, nämlich in 8- 2 den Fortbestand des Dictaturparagraphen auszusprechen, der bedenklich und gefährlich erscheint aus drei Gründen, weil er dem Volke im Reichslande die Wohlthat einer freien Presse vorent- hälj, weil er ferner die Gefahren de« MiSbrauche« allzu nahe legt, und weil er drittens die Bevölkerung nie zum Gefühl der Ruhr und Sicherheit gelangen läßt. Redner bittet um Annahme des Antrages Kabli. Abg. v. Puttkamer-Löwenberg: Er erkenne das Einverständniß der Fortschritt-Partei in dieser Frage dankbar an, das sie mit der Vorlage befreunde, und hoffe, daß die Fortschrittspartei schließlich denn doch für die Vorlage stimmen werde, wenn auch ihre Bedenken hinsichtlich des Dictaturparagraphen nicht beseitigt seien. In der Rede des Abg. Kablö sei die Erklärung zu ver missen, daß er und ferne Landsleute sich voll und ganz auf den Boden der Thatsachen, des Frankfurter Friedens, stellen; dann wäre ihre Hoffnung nicht unberechtigt, den Dictatur paragraphen aufgehoben zu sehen. So aber sei es der Re gierung nicht zuzumuthen, wenn sie dem Lande mit einem großen Vertrauensbeweise entgegenkomme, nun sich auch noch entwaffnen zu lassen, um dann zu sehen, wie mit den ihr entwundenen Waffen der Kampf gegen sic um so kräf tiger und für den Gegner vortheilhafter fortgeführt wird. Noch vorgestern habe der Moniteur de la Moselle die Er klärung eines Lothringers gebracht, der den Eid auf die deutsche Verfassung als Bezirks!«,»Mitglied geleistet, und dies seinen Wahlern gegenüber mit der Motivirung gerecht- fertigt, daß er durch die Macht der Verhältnisse zu diesem Eide gezwungen sei, aber dahin trachten werde, die Ver- biudung zwischen dem Reichslande und dem Reiche wieder zu lösen, die ein rechtloser Gewaltact sei. (Hört!) Solchen Verhältnissen gegenüber sei der Dictaturparagraph nicht wohl entbehrlich. Abg. Windthorst: Das Zustandekommen des Gesetze» ist sehr wünschens« Werth, und es hätte sich dieses Ziel leichter erreichen lassen, wenn bei der ersten Lesung das Haus meinen Antrag an genommen und eine Lommission eingesetzt hätte. Der staats rechtlichen, politischen Bedeutung der Vorlage würde das entsprochen habe», und es würde das auch sicher geschehen sein, wenn die Vorlage nicht im Juni, sondern früher an uns gelangt wäre. DaS Berhältniß des Statthalters hin sichtlich seiner Verantwortlichkeit einerseits dem Reichstage, andererseits dem LandeSauSschuffe gegenüber ist nicht klar