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1030 gegenwärtige französische Ackerbau- und Handelsminister Hr. Tirard bekennt sich zur gemäßigten, den realen Verhältnissen Rechnung tragenden Handelsfreiheit. Er hat am ersten Pfingsttage in Lille, einem der Haupt- Herde der protectionistischen Bewegung, die Gelegenheit eines landwirthschaftlichen Festes benutzt, seine Meinung rundheraus zu sagen. «Sie sind Schutzzöllner», redete er die aus Land- wirthen und Industriellen bestehende Versammlung an, «ich bin Freihändler.» Und nun folgte eine klare Darlegung seine« gemäßigt freihändlerischen Programms. Mit Recht kann Tirard von sich selbst sagen, daß e« einige« MuthcS bedurfte, vor einer notorisch anders gesinnten Zuhörerschaft diese Anschauungen zu vertre ten. Aber er hat eS für seine Pflicht gehalten, den naturgemäß immer höher steigenden Forderungen der Einzelinterefsen rechtzeitig die Auffassung der Regierung von der unerläßlichen Wahrung deS Gesammtwohle« entgegenzustellen. Unter drei Gesichtspunkten hat Tirard Bedenken gegen die schutzzöllnerischen Forderungen. Die Be steuerung der Rohstoffe verbietet sich im Interesse der Industrie, die Besteuerung der nothwendigen Lebens mittel im Interesse der Volksernährung, die zu hohe Belastung der Fabrikate im Interesse der exportiren- den Industrien. Im Punkte der Rohstoffe stimmt der französische Minister überein mit dem auch von der deutschen Reichsregierung festgehaltenen Standpunkte. Ganz entgegengesetzt aber lautet seine Ansicht über die Getreidezölle. Er verkennt nicht die gedrückte Lage der Landwirthschaft; allein, derselben aufhelfen wollen durch eine Vertheuerung der nothwendigsten Lebens mittel, d. h. durch eine Maßregel, welche, mit strenger Consequenz durchgeführt, nach schlechten Ernten die HungerSnoth über daS Land bringen würde, wider streitet nach seiner Ansicht den Pflichten des Staates gegenüber der Ernährung der Gesammtheit. Ohne solche strenge Durchführung aber würde ein Getreide zoll für die Landwirthschaft ohne Nutzen sein. Wirk liche Hülfe für die letztere sucht Tirard in der Er leichterung der Steuerlast und in der Verbesserung der Communicationsmittel, und er stimmt hierin wieder mit dem Fürsten Bismarck überein; dasjenige aber, worauf er das größte Gewicht legt, suchen wir ver gebens in den Ausführungen unser« Reichskanzler«; es ist: die Hebung und Verallgemeinerung des land wirthschaftlichen Unterrichts! In dem Programm deS Ministers der landwirthschaftlichen Angelegenheiten in Preußen steht dieser Punkt freilich auch obenan; aber leider scheint der Einfluß des Hrn. Friedenthal auf unsere Landwirthschaftspolitik mehr und mehr zu schwinden.*) Was dann weiter die Berücksichtigung der Inter essen der Exportindustrie betrifft, so sind die gering schätzigen Aeußerungen mancher Anhänger unser« neuen Zolltarif« über diese noch in frischer Erinnerung. Am grellsten aber tritt der Gegensatz zwischen den Tirard'- schen und den diesseitigen Anschauungen in der Beur- theilung der Handelsverträge hervor. Fürst Bismarck findet, daß beim Abschlusse eines Handelsvertrages fast allemal einer von beiden Theilen der Betrogene sei. Tirard dagegen erkennt in den Handelsverträgen die nothwendige Grundlage für die materielle Wohlfahrt der Völker. Bis in die jüngste Zeit herein war dies auch in Deutschland die weit überwiegende Meinung. Vor drei Jahren noch ging das amtlich provocirte *) Hoffentlich in diesem Punkte nicht! D. Red. man mit Entsetzen nenne, seien weder unwissend noch un- klug gewesen. Es sei die» der beste Beweis, daß die Schule in erster Beziehung eine ethische und erziehliche Aufgabe habe und daß die Religion einen Hauptlehrgcgenstand in der Schule bilden müsse. Wenn die Lehrer die ihnen an vertrauten Kinder mit psychologischer Sachkenntniß erziehen, wenn sie es als ihre Hauptaufgabe betrachten, das religiöse Gefühl in dem kindlichen Gemüthe zu wecken und zu pflegen, wtsin sie die Kinder ferner auf ideale Männer verweisen, Winn die Lehrer endlich selbst bestrebt seien, den Kindern al« ideales Vorbild zu dienen, dann dürste die Schule einen wesentlichen Theil zur Hebung der Sittlichkeit und socialen Wohlfahrt beitragen. Allerdings sei es erforderlich, daß die Familie die Schule in diesem ihrem Streben unterstütze. Solle das deutsche Volk wieder zu gesunder» Verhältnissen gelangen, dann müsse Arbeitsamkeit, Einfachheit und Mäßig keit an Stelle de» Luxu». des Hochmuths und der Arbeits scheu treten und wahre Herzensreligion der oberste Grund satz der Schule und Familie sein. (Lebhafter Beifall.) Er proponire die Annahme folgender Thesen: I) Die Schule muß sich der ethischen Aufgaben der Er ziehung noch kräftiger bewußt werden. ») Die Anregung dieses Bewußtsein« ist Aufgabe der Seminare; b) da» Be wußtsein der ethischen Aufgaben, welche» da» Seminar er schlossen hat, muß im Schulleben wach erhalten und durch die Praxis desselben mehr und mehr gekräftigt und vervoll kommnet werden; o) alle Veranstaltungen, welche die Schule und die Schulbehörden treffen, müssen mit den Forderungen der Ethik harmoniren. 2) Die Schule muß sich auch der psychologischen Bedin gungen zu ihrer Lösung immer klarer und kräftiger bewußt werden, a) Am meisten geeignet zur Weckung und Kräfti gung der sittlichen Ideen ist der Religionsunterricht; b) die sittlichen Ideen müssen den Schülern sichtbar, kräftig und lebendig gemacht werden durch Erhaltung, Pflege und Auf richtung guter Sitten in und außer der Schule. 3) Nur dadurch, daß die Schule den sittlichen Ideen zu immer größerer Macht und Geltung zu verhelfen sucht, kann sie auch zur Hebung der socialen Wohlfahrt beitragen. Votum der Ungeheuern Mehrheit der deutschen Han delskammern dahin, daß die Handelsverträge für die wirthschaftliche Entwickelung Deutschlands von den segensreichsten Folgen gewesen seien. Auch in Frank reich wie bei unS erhebt die protectionistische Agita tion den Klageruf über den «Ruin der nationalen Arbeit durch die Handelsverträge», allein die Regie rung führte auf» überzeugendste den Beweis, welchen unberechenbaren Nutzen die Aera der Handelsverträge seit 1860 dem Wohlstände Frankreichs gebracht hat. Seltsam! In dem Augenblicke, wo man bei uns Colbert'sche Ideen, ein wenig modern zurechtgestutzt, als höchste volkSwirthschaftliche Weisheit anpreist, ent wickelt der französische Handelsminister ein Programm, aus welchem in jeder Zeile der Geist jener preußischen Handelspolitik spricht, wie sie seit 1818 bis in die letzten Jahre fast ohne Unterbrechung befolgt worden!" Wir bemerken zu Obigem, daß der von der fran zösischen Regierung 1877 vorgelegte und dermalen noch den Berathungen einer Commission der Kammer unterliegende Zolltarif zwar in den industriellen Haupt artikeln, wie Eisen und Eisenwaaren, Gespinste und Gewebe, bedeutend höher ist als der neue deutsche, auch in der Commission theilweise noch Erhöhungen erfahren hat, daß er dagegen in Bezug auf erste Le bensbedürfnisse (Getreide, Mehl, Vieh, Fleisch) den Interessen der Consumenten allerdings besser Rechnung trägt als der unserige. Deutsches Reich. AuS Berlin vom 4. Juni berichtet die Neue Preußische Zeitung: „Wie aus Schloß Babelsberg verlautet, hat Se. Maj. der Kaiser und König wäh rend der vergangenen Nacht gut geschlafen. Auch erweist sich daS Allgemeinbefinden Sr. Maj. als ein günstiges. Die Anschwellung am Knie hat weiter abgenommen; eine irgend wesentliche Afficirung des Kniegelenkes ist nicht vorhanden." Die «Tribüne» schreibt unierm 4. Juni: „Privat nachrichten, welche uns über den Zustand Sr. Maj. deS Kaisers zugehen, lauten durchaus erfreulich. Der Monarch befindet sich in bester Stimmung und wird, wie eS sein Leibarzt vorausgesagt hat, in wenigen Tagen den kleinen Unfall vollständig überwunden ha ben. Die Festlichkeiten zur Goldenen Hochzeit werden durch den Unfall keine Beeinträchtigung erfahren." Bei Mittheilung der Nachricht von dem Unfall, den der Kaiser auf Babelsberg hatte, bemerkt der berliner Correspondent der Kölnischen Zeitung: „Wie derum ist es der glatte Parketboden, der das Aus gleiten und Fallen verursachte. Man hofft, daß der Kaiser jetzt das Belegen der Fußböden mit Teppichen erlauben werde, wogegen er sich bisjetzt sträubte." In derselben Correspondenz lesen wir: „Der Kaiser soll sich bei der Vorstellung des neuen Prä sidenten deS Reichstage« über die Amtsführung von dessen Vorgänger Forckenbeck mit Anerkennung ausgesprochen haben." — Der Deutsche Reichs-Anzeiger berichtet unterm 4. Juni: „Die andauernd ungünstigen Nachrichten über daS Befinden Ihrer kaiserl. Hoh. der Großfürstin Wladimir haben Se. Maj. den Kaiser Alexander von Rußla-nd veranlaßt, seinen Besuch zum 11. Juni in Berlin aufzugeben, und hat allerhöchstderselbe heute ») Um den sittlichen Ideen diese Geltung zu verschaffen' darf sich die Schule nicht zur bloßen Unterrichtsanstalt de- gradiren lassen; b) um der bürgerlichen Gesellschaft tüchtige neue Kräfte zuzuführen, muß die Schule ihre Zöglinge auch in Gemäßheit der gesellschaftlichen Ideen zu erziehen suchen; o) weil die guten Absichten und Veranstaltungen der Schule von feiten der Erwachsenen sehr oft Hemmung und Wider spruch erfahren, muß die Schule fcsthalten an der idealen Aufgabe, durch eine nach allen Beziehungen bessere Bildung des Heranwachsenden Geschlechts eine veredelnde Rückwirkung auf die Familie» und die sociale Wohlfahrt auszuüben. (Lebhafter, langt anhaltender Beifall.) Die Herren Hauptpastor Hirsche-Hamburg, Lehrer BehrenS-Braunschweig, Vollmer-Herford, Auerbach- HildeSheim, sowie alle sonstigen Redner erklärten sich mit den Ausführungen des Referenten im wesentlichen einverstanden. Einstimmig wurden die mitgetheilten Thesen schließlich zum Beschluß erhoben. Lehrer Gärtner-München behandelte alsdann in längerer Rede die Frage: „Welche LebenSanschauungen will die moderne Pädagogik in dem Zögling entwickeln?" Die Ausführungen de« Redners, die von dem lebhaf testen Beifall der Versammlung begleitet wurden, gipfel ten in folgenden von dem Redner proponirten Thesen: Die 23. Allgemeine Deutsche Lehrerversämmlung protestirt im Namen der modernen Pädagogik gegen die vielfachen Anschuldigungen der letzten Zeit, als dränge sie den Zög ling in falsche Bahnen, da die Ursachen der beklagenswerthen Gemeinschäden außerhalb de» Wirkungskreise« der neuen Schult liegen. Dit moderne Pädagogik setzt sich vielmehr al» Zielpunkte: ») die naturgemäße harmonische Menschen bildung, mithin Schärfung der Denkkraft, Vertiefung der BeurtheilungSgabe, Pflege de» Gemüth», Stählung des Willen« auf Grund de« AnschauungSprincipS; b) Weckung de« idealen Slime«, der, fern von verwerflichem Egoismus, über das Nühlichktitrbedürfniß - hinaü« nach edleru Zielen telegraphisch Sr. Maj. dem Kaiser und König» sein größte« Bedauern deshalb ausgedrückt." — Wie der Schwäbische Merkur berichtet, h»s der schwedische Kronpkiuz, Herzog von Wrrmlaüd, in England der Deutschen Kaiserin seinen Besuch gewacht, waS aus besonderm Grunde sehr bemerkt wurde. Es knüpft sich nämlich daran die Vermuthung, daß von dem Kronprinzen von Schweden um die Hand der Tochter de« GroßherzogS von Baden, Prinzessin Bic- toria, also einer Enkelin Kaiser Wilhelm'S, geworden werden möchte. Da die Mutter des Großhetzogs von Baden, Sophie igestorben 6. Juli 1865), tiue Tochter deS König« Gustav >V. Adolf von Schwtden war, so würde durch die in Rede stehende VerbindltUg in da« Hau« Bernadotte eine Enkelin de« HaUseS Wasa al« Schwiegertochter ihren Einzug halten. — Man schreibt der' «Tribüne» von wohlunter- richteter Seite: „Wenn nicht alle Zeichen trügen, so wird unter der CentrumSpartei sehr bald kitte merkliche Verstimmung gegen die ReichSregierttkg platzgreifen. Die Zahl der Mitglieder jener Partei, welche von dem Gefühl beherrscht werden, daß ihre Führer dupirt sind, wächst zusehends, denn keine von den Hoffnungen, die unter den Klerikalen rege gemacht sind, will sich erfüllen. ES wird kein Priester aMne- stirt, kein Bischof zurückgerufen werden, eS kockmt weder zu festen Vereinbarungen zwischen Preußen und der Curie noch — bisjetzt — zu einem leidlichen Koüus vivoncki zwischen der römischen Kirche und der Staats gewalt. Die Centrumspartei ist vom Fürsten Bis marck gegen die Liberalen lediglich mobil gemacht, UM die Finanz- und Zvllreform durchzusetzen, deren letzte Zwecke gegen die Klerikalen nicht minder wie Men die Liberalen gerichtet sind. Wenn die vorgeschlagetikn Finanzzölle und Zollerhöhungen im wesentlichen an genommen werden, dann sind die sogenannten «cdn- stitutionellen Garantien» nur noch eine leere Fotin, die. Staatsmänner wie Bismarck wenig geniren wer- den. Sind die Mittel vorhanden, dann wird sie her Reichskanzler schon für die Ziele, die er sich gesetzt, zu verwenden wissen. Und die Ziele dienen wahrlich nicht der Förderung de« parlamentarischen oder con- stitutionellen Regime. Wenn die Klerikalen durch die Zollerhöbungen dazu geholfen, die Matriculqr- beiträge der Einzelstaaten zu beseitigen, dann löst sich ganz von selbst die zeitweise Allianz der CentrumS partei mit der Negierung und den Conservativeti, deren Kitt allein der gemeinsame Haß gegen die Libe ralen ist An eine thatkräftige Vereinigung aller frei heitlichen Elemente im Reichs an eine Wirklich liberale Action, von der man in Breslau gesprochen, scheint man in den Kreisen der Reichsregierung noch nicht zu glauben." — Es wurde jüngst gemeldet, die Reichsregierung würde für den Fall der Zustimmung des Reichstages zu dem Anträge auf Ueberweisung der Petitionen gegen die obligatorische Civilehe an den Reichskanzler augenblicklich unter keinen Umständen zu einer Aende- rung der bestehenden Civilgesetzgebung sich verstehen. Hierzu bemerkt die Berliner Börsen-Zeitung: „Leider ist, soweit wir in Erfahrung bringen konnten, ditse Nachricht mit größter Vorsicht aufzunehmen. That- sächlich sind mehrere Bundesregierungen gegen die obligatorische Civilehe, z. B. die von Hamburg sowie die beiden mecklenburgischen Regierungen. Würde die klerikal - conservative Coalition des Reichstages den strebt; o) möglichste Ausgestaltung der Individualität, also Bekämpfung de« GleichhcitSwahn«; ä) einen sittlich schönen Charakter, der bei aller Selbstachtung sich unter die Auto rität des Gesetzes beugt; «) ein wahrhaft religiöses Gemüth ohne Haß und Heuchelei; k) warme Vaterlandsliebe ohne politischen Fanatismus. Diese Thesen gelangten ebenfalls fast einstimmig zur Annahme, wonach die Sitzung gegen 1'/, Uhr nachmittags beendet war. DaS zu Ehren der Lehrerversammlung veranstaltete Festmahl im Hötel d'Angleterre hatte eine große An zahl Theilnehmer gefunden. Den Toast auf den Deutsche» Kaiser brachte Schulrath Hoffmann» den auf den Herzog von Braunschweig Pastor Hirsche- Hamburg aus; Schuldirector Schaarschmidt toastete auf da« Consistorium, die oberste Behörde für die Volksschulen deS Herzogthums, und Pfeiffer-Fürth auf die Stadtbehörde Braunschweigs, die „Verkörperung der Schulfreundlichkeit" rc. Die Versammlung be schloß, folgende Telegramme abzusenden: 1) an den Deutschen Kaiser: „Sr. Maj. dem Deutschen Kaiser und König von Preußen sendet in tiefster Ehrfurcht die in Braunschweig tagende, aus allen Theilen Deutsch lands vereinigte Allgemeine Deutsche Lehrerversamm lung die heißesten Segenswünsche und da« Gelübde unabänderlicher Treue"; 2) an den Herzog von Braun schweig: „Sr. Hoh. dem Herzog von Braunschweig sendet in tiefster Ehrerbietung die in Braunschweig vereinigte 23. Allgemeine Deutsche Lehrerversammlung die herzlichsten Segenswünsche"; 3) an den CultuS- minister vr. Falkl „Se. Exc., den Hrn. Minister vr. Falk bittet die in Braunschweig tagende 23. Allge meine Deutsche Lehrerversammlung, ihr mit dem ehrer-