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Deutsche Mgemeiuc Zeitung «»ahrheit »d «echt, Freiheit »d «esrh!» Servilität grau geworden; der neue Kaiser war jung und hatte etwas Imponirendes, und so dachten sie, Dsuserstt-, 17. April 187S. Inserat« ß»» «» »i, Wk,,»M»a l» »» ft»»». I,s«rtl,»»,rb,tzr t» bl« «B»»«»««» « Pf» nnte» »» W. er würde werden wie sein Vater. Dennoch war der ' Widerstand, den der Zar zu überwinden hatte, noch immer ein sehr großer, und wenig fehlte, daß sein Vorgehen ihm den Thron kostete. Wäre einer feiner Brüder gewillt gewesen, sich an die Spitze der MiS- vergniigten zu stellen, so würde eine Palastrevolution zur Entthronung Alexander'» geführt haben. Zum Glück liebten ihn seine Brüder und sympathisirten mit seiner hochherzigen Erklärung, daß er nicht über ein Volk von Sklaven herrschen wolle. Allein der alte Adel hat ihm niemals diese Aufhebung der Leibeigen schaft vergessen. Viele dieses Standes wurden da durch arni, all« verloren dadurch an Macht und Glanz, und sie rächten sich dafür, indem sie nun alle weitern Reformen des neuen Zaren planmäßig bekämpften. Diese kurzsichtige Politik beraubte sie der auS- gleichenden Vortheile, welche sie sonst wol erlangt hätten; denn Alexander war gesonnen, eine konstitu tionelle Regierung einzuführen und das Gewicht ad ministrativer Fesseln zu verringern, welches das Land verhindert, seine HülfSqnellen selbstthätig zu entwickeln. Aber das wäre freilich mit einer tiefgreifenden Be schränkung der Beamtenhierarchie (des sogenannten Tschin) verbunden gewesen — jener Einrichtung, mit tels deren die Vornehmen (die Bojaren) auf das Land drücken und dessen ganzen Neichthum an sich reißen, und ein solches Opfer konnte von ihnen nicht erlangt werden, auch nicht um den Preis eines ihnen einzu» räumenden gesetzlichen Einflusses auf die Regierung als erbliche Magnaten in einer beschränkten Monarchie. ' ES hätte eines zweiten vollen Anlauf« kaiser licher Selbstherrlichkeit bedurft, um mit diesen Beamten ' überhaupt daS Urtheil eines Beobachters zu hören, und zwar eines Schriftstellers, der seiner Nationalität nach nicht verdächtig sein kann, dem Zaren zu schmei cheln, und der doch offenbar denselben mit so viel Ge rechtigkeit und Wohlwollen beurtheilt, daß wir auch die etwa« schärfern Züge deS Bildes al« nur aus unbefangener Würdigung wirklicher Thatsachen hervor gegangen anzusehen haben. Wir meinen den Verfasser deS SchriftchenS: „Ike kussisn» ok to-cksy", E. C. Grenville-Murrah.*) In diesem Schriftchen ist das 21. Kapitel überschrieben „Der Zar". Darin wird der gegenwärtige Zar Alexander ll. folgendermaßen geschildert: Nikolaus, sagt der Verfasser, hatte keine Freunde; auch keine andere Stimme, weder der Gattin noch der Kinder, hätte je vermocht, ihn von etwas abzu bringen, waS er sich vorgesetzt hatte. Alexander, in dieser Atmosphäre der eisigen Despotie auferzogen, fühlte Widerwillen dagegen und zeigte vom Anbe ginn an, wie er wünsche, daß man ihm aus Liebe diene, nicht aus Furcht gehorche. Was von Festigkeit in seiner Natur war, das erschöpfte er in jenem gro ßen Act der Herrschergewalt, mit welchem er seine Regierung gleichsam einweihte: der Aufhebung der Leibeigenschaft. Dieser Act, ebenso gewaltig als edel, wäre dennoch wahrscheinlich unterblieben, hätten die Höflinge Alexander'- diesen damals schon ebenso gekannt, wie sie ihn jetzt kennen. Sie waren in der Kaiser Alexander von Rußland und die Berfassungsreform. — Leipzig, 16. April. Das Attentat auf den Kaiser Alexander sowie die demselben vorauSgegange- mn Handlungen und Drohungen in derselben Rich tung, welche zunächst, wenigstens auSgesprochenermaßrn, sich gegen gewisse Härten und Mängel de« bestehen den politischen Systems richteten, lenken unwillkürlich den Blick auf die Frage: ob und in welcher Weise wol Rußland von einer Aenderung seiner politischen Verfassung eine Heilung jener revolutionären Verbit terung und Vergiftung der Gemüther zu erwarten hätte, au der eS so tief krankt, und ferner, wie wol Zar Alexander persönlich zu dem Gedanken einer sol chen Verfassungsrrforni stehen niöge. Bekanntlich wurde Anfang der sechziger Jahre mit ziemlicher Bestimmtheit davon gesprochen, daß Kaiser Alexander ernstlich damit umgehe, seinem Ungeheuern Reiche eine Verfassung zu geben. Der dazwischen- kommcnde Polenaufstand, später die ersten Anzeichen einer im geheimen weitverbreiteten revolutionären Strömung, die sich unter andern in den vielen großen Bränden ankündigte, sollten ihn davon wieder abge- Lracht haben. Neuerdings war nicht mehr davon die Rede, obschon aus dem Volke heraus (wenn man be treffs Rußlands so sagen darf) Rufe nach einer Ver fassung, besonders seit dem erschöpfenden Kriege mit der Türkei, laut wurden. ES mag daher nicht ohne Interesse sein, über die Ur. 88. Leipzig. -»ich. Pre«, 7». »N. AM M»»«» unheimlichen Kreisen heraus, die ihre «Executivvrgane» gegen Polizeichefs und Gouverneure zu senden pflegen, auch der Anschlag gegen da« Leben deS Staatsober hauptes direct oder indirekt auSgcgangen ist! Die höhere russische Gesellschaft, die in besonderm Maße die Pflicht und Aufgabe hat, eine «Ordnungspartei» gegen die Mächte des Umsturzes darzustellen, hat sich bisher vielfach in unverantwortlicher Weise gleichgültig, selbst zustimmend zu jener revolutionären Bewegung gehalten. Der russische Nihilismus hätte so wenig wie die deutsche Socialdemokratie diese furchtbare Ver breitung finden können, wenn alle die Elemente de« Volke«, denen daran gelegen ist, die Güter eine« geordneten Staatswesens und fortschreitender Cultur nicht in wüster Anarchie und Barbarei untcrgehen zu sehen, ihre Pflicht und Schuldigkeit in der Abwehr dieser in ternationalen Geistesepidemien gethan hätten. Möch ten wenigstens die furchtbaren Lehren dieser erschüttern den Ereignisse nicht verloren sein!" Die Volks-Zeitung bemerkt: Die Zustände in Rußland haben etwa» wahrhaft Grauen hafte«. Auch das neueste Verbrechen wird dadurch in ein eigene« Licht gesetzt, daß bereit« gerüchtweise verlautet, der Attentäter sei Beamter im Finanzministerium. Gerade die Schichten der guten Gesellschaft sind es, die von der FLulniß durchfressen sind; die studirende Jugend, die Beamtenwelt hat sich, an der Zukunft de« Vaterlandes ver zweifelnd, dem Nihilismus in die Arme geworfen, und die düstere Tendenz dieser für Rußland früher oder später ver- häugnißvollen Bewegung, welche vielleicht durch rechtzeitige Reformen im Keime hätte erstickt werden könne», prägt der revolutionären Thätigkeit der Unzufriedenen jenen unheim lichen Charakter auf, der in zahllosen Mordversuchen, verübt an Personen jeden Range« und jeder Stellung, vom ab- trünnigen Studenten bi« hinauf zum absoluten Zaren, zum Ausdruck kommt. Wir bedauern den Kaiser von Rußland aufrichtig und um so mehr, al« gerade er trotz seiner wohl meinenden Absichten und seiner werkthLtigen Liebe zu dem russischen Volke, welche sich in der schönen That der Bauern- emancipation ein unvergängliche« Denkmal gesetzt hat, die schlimmen Früchte jene« traurigen System« ernten muß, da« der Regierung eine« Nikolau« für immer in der Ge schichte feinen unau«löschbarru Stempel aufgedrückt hak. I« einem Artikel der National-ZeitunA heißt e«: Ganz Europa vereinigt seine Stimme de» Glückwünsche« zu dieser merkwürdigen Rettung, vor allem Deutschland, dem Kaiser Alexander ein so treuer und wohlwollender Freund ist, und unsere Stadt, wrlche die hohe Ehre ge nießt, den Zaren zu ihren Mitbürgern zählen zu dürfen. So kann die Freude über die Rettung und der Abscheu über die That in Rußland selbst nicht inniger, aufrichtiger und allgemeiner sein al« in Deutschland und namentlich in Berlin. Die «Tribüne» äußert: E« ist ein düstere« Bild socialer Krankheit in unserm östlichen Nachbarreiche, da« die verabscheung«würdige That vom Montag un« wieder vor Augen rückt. Der vorurtheils- sreiere Russe selbst kennt dies«« trübe Bild gut genug, und nur dem eiteln Slawenstolz wird e« bisjetzt noch schwer, die Schwäche au« Furcht, sich ihrer schämen zu müssen, offen einzugestehen. Lange jedoch wird diese« Sträuben kaum mehr währen können. Die Aufgaben, die Rußland jetzt nach Beendigung de« Krieges zu erfüllen hat, werden auch seine Völker in andere Richtung drängen. El hat — politischen Ansichten und Gesinnungen des Kaisers *) 1772. Bändchen der „6°H««tIou ot Sriti-K ^utdors" Alexander sowie über seinen Charakter als Herrscher (Leipzig, B. Tauchnitz). Das Petersburger Attentat.' Wir stellen auch heute gleich hier an der Spitz« unser« Blatte« zusammen, wa« theil« an thatsächlichen neuern Mitteilungen (deren nur wenige sind), theils an Betrachtungen über das frevelhafte Attentat gegen den Kaiser Alexander vorlirgt. * peterrdurg, 15. April morgen«. Dit Stadt war gestern Abend auf da« glänzendste illuminirt, die Straßen waren bi« tief in die Nacht hinein von zahlreichen Menschenmassen, die fortdauernd HurraHS auf den Kaiser ausbrachten, erfüllt. Der Platz vor dem Winterpalals war unausgesetzt von einer dicht gescharten Menschenmenge besetzt, die den Kaiser, der sich wiederholt am Fenster zeigte, mit enthusiastischen Zurufen begrüßte. Im Laufe de« Nachmittags halt« sich eine Deputation deS Petersburger Adels in da» Winterpalais begeben und durch den AdelSmarschall, Grafen BobrenSky, Sr. Maj. die Gefühle unbegrenzter Hingebung sowie deS tiefsten Abscheus vor dem Atten tat aussprechen lassen. Aus allen Theilen deS Reiches sowie von sämmtlichen Souveränen und Regierungen Europas sind Glückwunschtelegramme zur glücklichen Errettung Sr. Maj. eingelaufen. An der Mauer des GeneralstabSgebäudes, gerade gegenüber dem Eingang zum Hotel des Auswärtigen Amtes, befinden sich Ein drücke von drei Kugeln. Ueber die Personalien dc« MördrrS, welcher sich den Namen Iwan Sokolow bei legt und vorgibt, ein Beamter drS Finanzministeriums in der Provinz zu sein, werden noch amtliche Erhebun gen gepflogen. Weitere Auskunft bat der Verbrecher verweigert. Bei der körperlichen Untersuchung fand man unter den Achselhöhlen zwei durch Wachs be- sestigte mit Gist gefüllt« Kapseln vor. Ob der Ver brecher bereits Gift genommen hatte, ließ sich nicht sofort ermitteln. Bei der Verhaftung hatte derselbe die Zähne fest aufeinandergrbiffen und Schaum vor dem MjlwdA guch stellte sich asSbald Erbvechrn ein» Trotz tw» Wdttstrebens d«S MörherS-gelang e«, d«in- selben WMltn bkszubringen, die amh gewirtt zu haben * petexsvvrg, 15. April. Nachdem das, Lehen des Attentäter« durch die Maßnahmen der Aerzte gesichert war, wurde derselbe unter starker ESrorte dr« Leibgarderegiments zu Pferde aus dem Gebäude der Polizcipräfectur nach der Peter-Paul-Festung überge- führt, — Der Kaiser empfängt mittag« um 1 Uhr im Winterpalais die Glückwünsche der höher» Würden träger. (Wiederholt.) Kctersdurg, 14. April. Ueber das Attentat er- sahre ich noch folgende Einzelheiten: Der Kaiser, wel cher jeden Morgen um 9 Uhr regelmäßig allein am Winterpalai« spazieren zu gehen pflegt, nahm heute ausnahmsweise seinen Weg zwischen dem Landwirth- schaftlichen Museum und dem GeneralstabSgebäude. Da trat ein großer, hagerer, gutgekleideter, mit einer Militärmütze bedeckter Mann mit blondem Schnurrbart ihm entgegen und zog einen Revolver. Der Kaiser trat zurück, wodurch der erste Schuß fehlging. Der Thäter schoß noch viermal. Stadtpolizisten stürzten sich sogleich auf ihn, einer schlug mit dem Seitengewehr ihn vor die Schienbeine, sodaß er fiel und verhastet werden konnte. Der Adjutant kam dem Kaiser aus dem Winterpalai« nachgelaufen. Der Kaiser äußerte: „Gott sei Dank, ich bin unverletzt." Unter dem vier ten Fenster des Museum« sitzen vier Kugeln. Der Thäter verweigert jede Auskunft, gibt vor, Sokolow zu heißen, und will im Finanzministerium gedient ha- pen. Letzteres ist erwiesen Unwahr. Die Polizei hält Nachforschungen von Hau« zu HauS. (Köln. Ztg.) Wie der Berliner Börfen-Courier vernimmt, hat der Kaiser von Rußland dem Kaiser Wilhelm direct persönlich Nachricht von dem Attentat gegeben und ihm den Hergang in folgender Weise geschildert: „Er, der Zar, habe seinen gewöhnlichen Morgenspaziergang gemacht, als ein Individuum auf ihn zugetreten sei und nach ihm geschossen habe. Der Kaiser habe sich zurückgezogen und sei, da er ohne Waffe war, vor dem Meuchelmörder geflohen. DaS Individuum sei hinter ihm hergelaufen, habe ihn förmlich verfolgt und dann weitere drei Schüsse auf ihn abgefenert, bis an dere Personen den Attentäter ergriffen und ihn ding fest gemacht hätten." (?) Der Deutsche Reichs-Anzeiger leitet die Mitthei- lung der bekannten Depeschen über das Attentat auf den Kaiser von Rußland mit folgenden Worten ein: Noch find die Gemüther kaum btrühigt über di« ver brecherischen Mordanschläge, deren Gegenstand die erhabenen Personen Ihrer Majestäten unser« Kaiser«, de» König« Alfons von Spanien und de« König« Humbert von Italien gewesen find, und schon wieder koMmt, diesmal die fried liche Feiertagsstimmung de« Osterfeste« durch einen dÜstern MiSton störend, die erschütternde Kunde von einem ver ruchten Attentat auf die unserm königlichen Hause durch die Bande der Verwandtschaft und Freundschaft so nahe stehende Person Sr. Maj. de« Kaiser« Alexander von Ruß land. Gotte« Rathschlüß hat e« jedoch gnädig gefügt, den verbrecherischen Plan zu Schanden werden zu lassen und Ha«. theuett^bur dr« Monarchen seinem Land« und Volke Dio National-Liberale Correspondenz sagt über daS Attentat: „Es wird sich zweifelsohne auch hier wieder Herausstellen, daß das Verbrechen nicht der Person des Monarchen galt, so wenig wie bei den traurigen SeitenstücktN in Deutschland, Spanien und Italien, sondern der Institution der Monarchie. Die binnen Jahresfrist am Leben bedrohten Fürsten hatten ja nirgends persönliche Feinde, sie sind aber die Inhaber einer Würde, die Repräsentant«» «iner Staats- form, deren Umsturz eine mächtige und weitverzweigte revolutionäre Agitation mit alle» Mitteln anstrebt, und in der monarchischen StaatSform soll zugleich un sere heutige Gesellschaftsordnung getroffen werden. Rußland ist dermalen wie kein andere« Land der Tum melplatz der nihilistischen und anarchistischen Bewegung, und nie kann man daran zweifeln, daß au« denselben