Volltext Seite (XML)
— Drr Magdtburgische« Zeitung schreibt man atz« Perlin vom 24. März: „Sehr interessant find die Verhandlungen der französischen Kammer über die Kcntenconverflon, sie lassen genau erkennen, welcher Art die Spekulationen de« Hause» Rothschild sind. Rothschild empfängt den Syndikus der Wechsel- ägenten, der ihm die Ansichten des Gouvernement» über die Conversion verräth, und darauf hin läßt derselbe unter der Hand mehrere Tage hindurch Rente kaufen, die stark gefallen war, weil kleine Sparet und Rentier« au» Furcht vor der Converston ihren Renten- , besitz auf den Markt gebracht hatten. , Also nicht auf eigenem Nachdenken basirt die Spekulation de» Mil lionär», sondern die Gewissenlosigkeit eines Syndikus benutzt er zur Ausplünderung seiner Mitbürger. Die Barone v. Rothschild haben früher ähnlich gehandelt. Nach der Schlacht von Solferino wurde vom pariser Rothschild an den wiener Rothschild eine Eilbotschqft übermittelt, welche die Worte enthielt: «Morgen kommt Scholem.» Diese Depesche war im voraus verab redet. Mit «Scholem», auf Hebräisch «Scholom», war angezeigt, daß ein Fricdensschluß zu Stande ge kommen war, und brachte Villafranca den Frieden nicht, so wurde «Scholem's» Nichterscheinen gemeldet. Damals war Oesterreichische Nationalanleihe auf 40 gefallen, und das SpeculationShauS Rothschild, das einen vollen Tag Zeit hatte, um in Wien, Berlin, Hamburg, Breslau und Frankfurt Nationalanleihe zum -niedrigsten Cnrse zu kaufen, konnte nach acht Tagen feinen aufgekauftcn Besitz zu 70 schon wieder fortgeben." Preußen. Bei dem Festmahl zur Feier von Kaisers Geburtstag, das Universität, Ofsizier- corpS, Beamte und Honoratioren der Bürgerschaft zu Göttingen in den Fcsträumen des literarischen Museums vereinigt hatte, hielt der Prorector, Geh. Iustizrath vr. Dove, eine schwungvolle Festrede. Nach einem Rückblick auf den weltgeschichtlichen Inhalt der letzten zwei Decennieu heißt es darin unter andern«: Die neue Kaiserkrone krönt kein heiliges römisches Reich, sondern ein Staatswesen, da« weltlich, modern und nativ- näl.ist. Der kriegsgewaltigste Herrscher Europas aber be währt der erstaunten Welt, daß der Erneuerer der alten Kajserherrlichkeit allezeit ein Mehrer des Reiches ist „an den Gütern und Gaben des Friedens, auf dem Gebiete nativ- Naler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung". Und als ihm die römisch-geistliche Weltmacht einen andern Kampf auf dringt, der nicht mit der Schärfe des Schwertes, sonder» mit der des Geistes und mit den Waffen de« Gesetze« zu führen ist, da kämpft er wider die Lurie nicht, wie die alten Kaiser, um die Herrschaft der Welt, sondern dafür, daß dem Heinütlaude der Reformation, geschützt durch da« staatliche öffentliche Recht, die theuer erkaufte Gewissens freiheit, bewahrt bleibe. — Aus Köln vom 23. März schreibt man dem Frankfurter Journal: „Heute Mittag fand hier eine stark besuchte Bürgervcrsammlung statt, welche zwar nicht von den Spitzen der Centrumspartei, wohl aber von prononcirten Vertretern derselben einberufen wor den war. Es handelte sich darum, eine Petition an den Cultusminister um Abberufung des katholischen Regierungs- und Schulraths des Regierungsbezirks Köln, Hrn-Lauer, abzusenden, der früher in Koblenz katholischer Divisionspfarrer war und sich bald nach seiner Anstellung zu Köln verheirathete. Als Vor sitzenden wählte man den Iustizrath Trimbor»; als Redner traten ans die Advocatanwälte Sieger und Du Mont (eine Spitze der Centrnmspartei). Die Pe tition wird in den nächsten Tagen von HauS zu Haus betragen und dann abgcschickt werden." Thüringische Staaten. 1 Weimar, 26. März. AuS Gotha wird heute der vermeintliche Raubmord an dem Superintendenten H. aus Wangenheim wider rufen. Der Mann soll infolge eines Schlaganfalles gestorben sein. Oesterreich - Ungarn. -j-Wien, 25. März. Noch immer ist e» die ost- rumelische Frage, welche die Diplomatie vor wiegend, ja fast ausschließlich beschäftigt. Wie die Dinge stehen, ist cs als sicher anzunehmen, daß ohne eine europäische Hülfsmaßregel irgendwelcher Art Ord nung und Ruhe in Ostrumelicn nach dem Abzüge der Ruffen nicht aufrecht zu erhalten sein wird. Im Vordergründe der diplomatischen DiScussion steht wieder der Gedanke einer gemischten europäischen Occupatio». Er hat manche Anhänger, aber auch viele Gegner. Unter den letzter» der entschiedenste ist die Pforte selbst, welche es als einen Abbruch ihrer Autorität in Ostrumelien ansehen würde, wenn dort fremde Trup pen zur Aufrechterhaltung der Ordnung aufgcboten würden. Sie glaubt das allein besorge» zu können. Auch andere Mächte sind der Idee einer gemischten Occupation nicht geneigt und würden, wenn sie gleich- wol acceptirt würde, an der Durchführung derselben sich wahrscheinlich betheiligen. So ist cs denn über haupt fraglich, ob der Gedanke rcalisirt werden wird. Die Convention zwischen Oesterreich-Ungarn und der Pforte, die schon so oft als geglückt und ebenso oft als gescheitert bezeichnet wurde, ist gegenwärtig in der That dem Abschluffe nahe. Die Vereinbarungen zwi ¬ schen Karatheodori--Pascha und dem Grafen Lichy sind nunmehr so weit, daß sie ihrer vollständigen Per- fectionirung nur mehr der Genehmigung de» Kaiser« von Oesterteich und de» Sultan« bedürfe«. Die Con vention regelt genau da« Garnisonsrecht beider Staa- p«n im District von Novi-Bazar, ohne daß indessen hier die Absicht bestände, von diesem Rechte jetzt schon Gebrauch zu machen, Italien. Der Kölnischen Zeitung schreibt man au« Rom vom 23. März: „Der Papst scheint von dem über- scharfen Eindruck seiner Anrede an die Journalisten etwas wegnthmen zu wolle«. Es haben sich, wie zu erwarten, unter den klerikalen Schriftstellern Leute ge funden, welche die Erklärungen Leo'S ausbeutetcn und übertrieben, so ein Mitarbeiter der Voce della Beritä, welcher nichts Geringere» verlangt, als daß dem Hei- ligcn Stuhle ganz Italien überantwortet werde. Dein gegenüber erklärt der Offcrvatore beschtidentlich: «Dem Heiligen Stuhle genügt so viel Landesgebiet, wie nöthig ist, um ihn in voller Freiheit hinzustellen, ohne daß er sich durch die Sorge um einen großen Staat von seinen geistlichen Pflichten abziehen zu lasten brauchte.» Und eS liegt Grund zu der An nahme vor, daß Leo XIII. selbst diese Bemerkung des Osscrvatore inspirirt habe. — Die Nachricht der Italic, daß dcr Heilige Vater die deutschen Bi schöfe und Priester aufgefordert habe, zum Werke dcr Aussöhnung zwischen Staat und Kirche mitzuwirken, wird bestätigt. Zugleich heißt eS als unverbürgt, ein Agent der Reichsregierung sei hier, um direct mit dem Papst über den mockus vivencki zu verhandeln. Der letztere hüllt sich, was den Fortgang dieser Angelegen heit betrifft, in Schweigen. Er scheint darauf auf merksam gkworden zu sein, daß der Ideenaustausch zwischen ihm und dem polnischen Prälaten dem Frie den nicht förderlich war, bespricht also die Verhand lungen nicht mehr mit Cardinal Ledochowski, und dann auch der Gleichmäßigkeit wegen nicht mit den andern Würdenträgern seiner Umgebung." Frankreich. «Pari«, 25. März. Der Temps bespricht die Gründe, welche gestern in der Versammlung des linken Centrums gegen eine Rückkehr des Parlaments nach Paris geltend gemacht wurden. Den ersten Grund: Gefahr einer Vereinigung des Congreffes, weil man in die Unmöglichkeit versetzt ist, das Werk dieser Versammlung auf dm-rinzigk Frage der Rückkehr nach Paris zu beschränken, hält der Temps kaum der Be trachtung Werth. Wenn dcr Congreß, einmal ver einigt, auch souverän ist und vom Umstande Vortheil zur Revidirung der ganzen Verfassung ziehen kann, so heißt eS, das Gebiet der chimärischen Voraussetzungen betreten und selbst in das Gebiet der beleidigenden Voraussetzungen hinüberstreifcn, wenn man annimmt, daß eine große Versammlung solche Fallen stellen will. Sollte ein Deputirter so wenig um die Ehre besorgt sein, im Congreß außer der Revidirung des Art. 9 die Veränderung eines andern Artikels zu verlangen, eine ungeheuere Mehrheit würde sich erheben und durch Acclamation die Vorfragen votiren. Die zweite Ein wendung, das Fehlen eines Locals für den Senat, hat auch keinen großen Werth und wäre nur beach- tenswerth, wenn die Kammern morgen nach Paris zurückkehren sollten. Wenn das aber nicht vor acht oder zehn Monaten geschehen wird, so wird man wol Zeit haben, ein Local zu finden und einzurichten. Die dritte Einwendung, die einzige, die einer ernsten DiS cussion unterworfen werden kann, diejenige betreffs der Unabhängigkeit deS Parlaments, hat bei näherer Be trachtung viel von ihrer frühern Wichtigkeit verloren. Die lange Ausübung de» allgemeinen Stimmrechtes, die Gewißheit, welche das Volk besitzt, daß der Stimm zettel das sicherste Mittel ist, seinen Willen durchzu setzen, machen die Emeuten für die Zukunft unwahr scheinlich. Solange die Forni und die wesentlichen Principien der Regierung in Frage gestellt waren, wie z. B. im Mai 1873 und im Mai 1877, konnte man Unruhen befürchten. Diese Befürchtungen sind jetzt grundlos. Der TempS hofft, das linke Cen trum werde gestern nicht sein letztes Wort gesprochen haben. Die Abendausgabe des Siecke zählt die Mitglieder des linken Centrums auf, die im Jahre 1872 für die Rückkehr nach Paris stimmten. Eö finden sich darunter Mitglieder, die gestern gegen die Rückkehr sprachen. Der Fran;ais schreibt: „Man zeigt uns einen kollektiven Act de» Episkopats an, der auf die Dro hungen des Ministers deS Unterrichts gegen die Frei heit des Unterrichts antworten wird." Rußland. Eine hochofficivse Mittheilung auS Petersburg in der wiener Politische» Correspondenz lautet: Lord Dusferin hat häufige Lonferenze» mit dem Fürsten Gortschakow, in welchen dcr ncuc englische Botschafter sich äußerst versöhnlich und von den besten Ab sichten Rußland gegenüber zeigt. Sleichwol scheint e« un zweifelhaft, daß seine Instructionen die Zulässigkeit irgend welcher »eaderung am Berliner Vertrage «»«schließen und somit auch dahin gehen, daß der «ersuch dcr im Berliner «ertrage stipulirten Trennung Ostrumelien« von Bulgarin» in loyaler Weise gemacht werde. Eine Verständigung wird erfolgen, und abermals wird e« das Petersburger Labinet sein, welche« am meisten zu der betreffenden Initiative bel- getragen haben wird. i — Ein ncuer nihilistischer Mord wird aus Mos kau gemeldet. Der Hergang bei dicsem Falle der neuen Lynchjustiz war nach der deutschen Sanct-Pe- terSburger Zeitung folgender: In da« ehemals Mamontow'sche, jetzt Nobel'sche Gast hau« trat am 25. v. M. ein junger Mann von Mittlern» Wüchse, mit kleinem Schnurrbart; er trug einen Tuch paletot mit Winterkragen. Den Oberkellner bat er, ihm einige unbesetzte Nummer-Zimmer zu zeigen, in denen eine Familie untergebracht werden könnte. Die Zimmer Nr. 60 und 61, die durch die Zwischenthür miteinander in Verbin dung gesetzt werden konnten und täglich 2 Rubel kosten sollten, gefielen dem jungen Mann; er zahlte 5 Rubel al« Handgeld und ging fort, mit dem Bemerken, er werde zur Abendzeit einige Effecten mitbringen. Es waren ein Reise sack und ein Kiffen. Der neue Gast ließ sich den Thee auss Zimmer bringen, legte sich, nachdem er davon ge trunken hatte, zu Bett und gab die Weisung, ihn am andern Morgen um 10 Uhr zu wecken. Al« der Diener dieserhalb in« Zimmer trat, war der junge Ma»n bereits aufgestanden und angekleidet; er trank Thee und ging fort. Etwa nach einer Stunde war er wieder zuriickgckehrt; ob allein oder in Begleitung, hatte niemand bemerkt (wenn auch einige Bewohner de« Gasthauses zwei junge Leute im Lvrridor gehen und in die Nr. 60 treten gesehen haben, so kann doch nicht angegeben werden, um welche Zeit spe- ciell die beiden dort bemerkt worden sind). Ächt Tage waren vergangen, seitdem dcr ueue Bewohncr von Nr. 60 die Thür de» Zimmer» verschlossen hatte und davongegangen war. Niemand kehrte sich daran. Nur einmal war die in Nr. 63 wohnende Hebamme vor einer hochgewachsenen Dame danach gefragt worden, wo Nr. 60 läge. Diese Dame hatte einen langen Paletot an und ihr Antlitz war von einem gelben Schleier so dicht verdeckt, daß man ihre Züge unmöglich erkennen konnte. Sie hatte, als die Hebamuie ihr die gesuchte Thür gezeigt hatte, die Hand auf die Klinke gelegt und sich mit dem Ansspruche: „Ja, sie ist ver schlossen", wieder entfernt. Inzwischen spürte man, daß sich ein übler Geruch über den Lvrridor verbreitete. An fang« achtete »ran auch nicht hierauf. Als aber der Ge ruch immer ärger wurde, da erst fielen die geschloffenen Nummernzimmer den Leuten ein. Die Polizei wurde requi- rirt; sie öffnete die zu Nr. 60 führende Thür. Dort fand man die Ueberreste einer spärlichen Theemahlzeit und eine halbe Flasche Eognac; das Theegla« war geleert; an dem Ständer hing ein Pidjak, in dessen Tasche ein Bogen Pa pier und ein auf den fünfundzwanzigjährigen Sohn eine» verstorbenen Lollegiensccretär« Michael Tscherkaßki lauten der Paß steckten. In der Nr. 61 lag der Leichnam eine» Menschen; da» Antlitz war nach unten gekehrt; die Füße lagen nach der in die Nr. 61 führenden Thür zu gerichtet; das Haupt war zum Theil mit einem Kiffen bedeckt; unter dem letzter» war eine Lache geronnenen Blutes. Aus dem Rücken der Leiche war mit einer Stecknadel ein Zettel be festigt. Auf demselben stand geschrieben: „Berräther, Spion, verurtheilt und gerichtet von uns, den russischen Sociali- sten und Revolutionären, Tod den Juda», den Verräthern!" Der Zettel war von dem in der Tasche de« im Nebenzim mer hängenden Rockes steckenden Bogen Papier abgerissen. Der Untersuchungsrichter wurde geholt. Er constatirte, daß der im Tode mit halbgeballten Fäusten daliegende Mensch in der Brust drei tiefe und im Halse eine Wunde trug, allem Anschein »ach Dolchstiche. Auf einem Stuhle lagen zwei miteinander verbundene Gewichte, da» eine 2, da« andere 1 Psd. schwer. Ein Sarg wurde gebracht und der Erniordete in demselben in das Anatomikum gebracht. Die Sektion ergab, daß außer den Wunden noch ein auf da» Haupt gezielter Schlag mit einem stumpfen Instrument dem Opfer des hier vorliegenden grausigen Verbrechen« beige bracht wurde; dcr Schädel erhielt einen Riß. Weiter er fährt die Moskauer Zeitung, der Mörder sei ein Student gewesen. Er soll in Moskau auf den Paß eines englischen Unterthanen hin gelebt haben, im MeschtschanSki-Stadttheile. Er ist entflohen, aber alle seine Effecten sind abgefaßt wor den. Auch die Dame, welche sich bei dcr Hebamme nach Nr. 60 erkundigte, ist ausfindig gemacht worden. Etwa 100 Personen find anläßlich diese« Mordes arretirt worden. — Aus Petersburg vom 23. März schreibt man der «Tribüne»: „In Odessa wurde dieser Tage ein siebzehnjähriger Gymnasiast, der Sohn des in Vol- hynien ansässigen polnischen Gutsbesitzers Martin Zalewski, von seinen Mitschülern ermordet, weil er ihrer Aufforderung, in den nihilistischen Geheim bund einzutreten, nicht Folge leisten wollte, vielmehr seinen Aeltern von dem Sachverhalt Mittheilung machte und sic ersuchte, ihn aus Odessa zu entfernen, da er dort für sein Leben fürchte. Als der Vater auf diese Bitte hin nach Odessa kam, fand er nur noch die Leiche seines Sohnes, der tagS vorher ermordet worden war, vor. Der TerroriSniuS, den die nihi listische Sekte verbreitet, ist, nach diesen Thatsachen zu nrtheilen, wahrhaft erschreckend." Asien. AuS Kalkutta wird dem Reuter'schen Bureau unterm 20. März telegraphirt: „Hier veröffentlichten Nachrichten auS Birma zufolge ist König Thibo mit der Anlegung befestigter Werke und anderer kriegerischer Vorbereitungen beschäftigt. Auch soll der König die birmanischen Einwohner in Rangoon zur Rückkehr in ihr HcimatSlanv aufgefordert und im Weigerungsfälle mit der Hinrichtung ihrer Familien gedroht haben."