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122 fest, daß seither von den eingehenden Waaren nur 14,874000 Str. besteuert wurden, LW.Mill. Ltr. aber unhesteuert blieben, so begrrist dies« einfache Thatfache, wenn man eine nur entfernt gerechte indirecte Besteuerung aller Bevöl« kerung-ktassen sich deykt, einen so Ungeheuern Anachronis mus in sich, daß es wahrlich nicht erst de« Borgange« der Schweiz bedurft Hütte, um uns zu belehren, daß >.» prak tisch wohl durchführbar und allein gerecht ist, alle Gegen stände, welche ein Volk importirt, grundsätzlich nicht ohne einen entsprechenden Zoll zu lasten. Au« diesem Gesicht«- puukte erscheint e« auch al« eine einfache Forderung der Gerechtigkeit, Getreide und Vieh nicht ohne einen mäßigen Eingangszoll zu lasten. Abgesehen davon, daß der Ausdruck „AnachroniS- mus" wol ein Schreib- oder Druckfehler ist, so liegt der ganzen Beweisführung eine Verdunkelung der ein- schlagcnden Verhältnisse zu Grunde. Der Begriff „indirecte Steuern", sobald er, wie hier, mit dem Begriff der Stcuerpflicht des einzelnen Staatsbürgers in Verbindung gesetzt wird, kann nichts anderes be deuten, alS: Verbrauchssteuern. Nur so bildet er einen richtigen Gegensatz zu den „directen Steuern", welche nicht von dem Verbrauch oder der Ausgabe, sondern von der Production, beziehentlich Einnahme, des ein zelnen erhoben werden; nur so entspricht er der auch hier ganz richtig in den Vordergrund gestellten Gleich heit und Gemeinsamkeit jener Stcuerpflicht, wonach solche Steuern von „allen Bevölkerungsklasscn" gezahlt werden müssen. Aber dann dürfte nicht blos die von außen eingehende, dann müßte auch die im Znlande produ- cirte Quote einer bestimmten Waare, als ein „Ver brauchsgegenstand", mit der gleichen Steuer belegt wer den. Nur so fände wirklich eine „alle Bevölkerungs- klaffcn" treffende indirecte Besteuerung statt. Auf Lebensmittel angewendct, hieße das: man müßte die alte Mahl- und Schlachtstener wiederherstellen oder, wo es noch keine gab, eine solche cinführcn. Nun hat zwar der Reichskanzler selbst (unter an der»! in seiner Antwort an den sächsischen Landescul- turrath, s. unten) die Verzollung der von außen ein gehenden Waaren, beispielsweise des Getreides, als ein Aequivalcnt bezeichnet für die vom inländischen Getreidebau erhobenen directen Steuern. Aber auch auf diesem Wege wird jedenfalls jene Forderung der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung, daß „alle Bevölke rungsklassen" die „indirecte" Steuer gleichmäßig zahlen sollen, nicht erreicht. Es steht ganz außer Frage, daß selbst bei wirklicher Einführung allgemeiner Grenz- übergangsabgabcn und einer dadurch zu erzielenden Einnahme fürs Reich von zusammen etwa 70 Mill. M. doch von dieser Summe einzelne Artikel (wie. die Co- lonialwaaren) den Hauptertrag liefern, andere nur eine vielleicht ganz unbedeutende Einnahme abwerfen würden. Gleichwol sollen aber, nach der Absicht des Reichskanz lers, im Verhältniß zu den Mehrerträgen der indi- recten Steuern, die er erwartet und verlangt, die di recten Steuern insofern ermäßigt werden, als die Einzcl- staaten dann weniger oder keine Matricularumlagen! mehr zu zahlen hätten. Dann würden also z. B. die großen Grundbesitzer vielleicht beträchtlich weniger Einkommensteuer entrichten, indem sie übertragen wür den von den TabackS- oder Kaffceconsnmentcn durch die Versteuerung des TabackS. Uebrigens hat die Norddeutsche Allgemeine Zei tung selbst in ihrem neueste Blatte — in einer Ein sendung „von hochgeschätzter Hand", der sic nirgends «inen Widerspruch oder Vorbehalt beifügt — die An nahme, als ob der ausländische Producent den Grenz- ! 0 zoll tragen müsse (worauf die ganze obige Deduction t des NcichSkanzler- ruht), al» nichtig bezeichnet. Denn dort heißt eS wörtlich: . Gewiß ist, daß jede Besteuerung, sie mag Namen und Form haben, welche sie will, nur von dem consumirenden , Volke gezahlt wird, niemals vom Ausländer. Darin haben , dir Freihändltr recht. e Genug, die hier versuchte Begründung von Schutz- - zöllc« auf die Theorie von der allgemeinen Steuer- r Pflicht ist eine entschieden unglückliche und spricht nicht ' für, sondern eher gegen das Programm, welches die Norddeutsche Allgemeine Zeitung vertheidigen will. Noch ein anderes kommt bei dieser Frage sehr ' wesentlich in Betracht. Wenn die liberale Partei zu ° einem großen Theil ihrer grundsätzlichen Abneigung > gegen indirecte Steuern entsagt hat, so ist dies doch ' nur geschehen unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, * daß solche nicht gelegt werden dürften auf Gegen- ° stände des ersten LebenSgebraucheS, Lebensmittel rc., ' sondern nur auf solche Genußmittel, deren der ein- ' zelne ohne Gefahr für Leben und Gesundheit oder ' ohne unbillige Belastung für Ersatz derselben durch andere (z. B. bei Beleuchtungsmitteln) sich nöthigen- falls auch enthalten könne. Aus diesem Grunde würde eine allgemeine indirecte Steuer auf Getreide, Mehl, Vieh rc. auf den lebhaftesten Widerspruch stoßen. Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung wagt daher auch nicht, eine solche, also etwa die Wi dereinführung der Schlacht- und Mahlstcuer, zu empfehlen, sondern sie dreht nun wieder den Spieß herum, und, nachdem sie vorher für die allgemeine Eingangsgebühr vom Standpunkte der angeblichen Gleichheit der „Besteuerung aller Bevölke rungsklassen" gesprochen hat, verlangt sie nun einen „Schutz" der heimischen Bodenproduction, der aber, wie sie dann wieder in demselben Athem versichert, beileibe kein Schutzzoll, vielmehr nur „ein mäßiger Fiuanzzoll" sein soll! Das sind Fechterkunststückchcn, mit denen sich ein Blatt nicht abgebeu sollte, dessen erste Aufgabe seiner Stellung nach die sein müßte, die öffentliche Meinung aufzuklären, nicht zu verwirren. Tom preußischen Landtage. n Serlin, 17. Zan. Auf der Tagesordnung der heutigen Sitzung deS Abgeordnetenhauses steht als einziger Gegenstand die Fortsetzung der zweiten Be- rathung des CultusetatS. Die Discnssion beginnt mit Kap. 125, Tit. k der dauernden Ausgaben: Präpa- raudenaitstalten, Besoldungen 108000 M. Abg. Cremer (Centrum) glaubte in einer früher» Bemerkung des Abg. Löwe-Bochum über die mangel- hafte religiöse Unterweisung der Kinder einen Vorwurf gegen die katholische Kirche finden zu müssen, und er klärte unter Hinweis auf mehrere katholische KatechiS- ! men, welche den Gehorsam gegen die Obrigkeit in be sonders nachdrücklicher Weise betonen, daß die Gläubigen der katholischen Kirche hinsichtlich ihres Patriotismus hinter keiner andern Confession zurückständen. Abg. Richter-Sangerhausen verwahrte den im Hause zufällig nicht anwesenden Abg. Löwe gegen die Insinuation des Vorredners und constatirte, daß der Abg. Löwe ausdrücklich anerkannt habe, daß die katholischen Katechismen ist der angegebenen Richtung sich vortheilhaft auszeichnen. ! Abg. Dauzenberg führte Beschwerde über An ¬ stellung mehrerer Seminardirectoren an katholischen Seminarien, welche den strengen Anforderungen der durch die Kirche vorgeschriebenen Formen nicht ent sprechen. Die RegierungScommissarie» Stander und Schnei der erwiderten, daß die betreffenden Anstellungen rein staatliche seien, daß aber trotzdem mit der größten Sorgfalt darüber gewacht worden, daß die Ange stellten auch den Anforderungen der Kirche entsprächen. Dies sei auch bei allen vom Vorredner erwähnten Anstellungen der Fall gewesen, wenn dabei auch mehr Rücksicht auf die materielle als auf die formelle Sei:e genommen worden sei. Abg. Windthorst-Meppen gab zu, daß die ge nannten Directoren vielleicht vollkommen im Sinne der katholischen Kirche lehren, durch einen Mangel der von der Kirche vorgeschriebenen Form werde aber ein böseS Beispiel gegeben, und dies sei absolut un zulässig. Allerdings seien die Stellen rein staatliche, der Staat sei aber heilig verpflichtet, hierbei die Vor schriften der Kirche zu respectiren, und deshalb sei eS überhaupt nicht zu billigen, daß diese Anstellungen in der Hand von Protestanten liegen. Abg. v. Meyer-Arnswalde kam auf die jüngste Rede deS Cultusministers zurück, in welcher derselbe sich gegen den Vorwurf der Neligionsfeindlichk.it seines Unterrichtssystems verwahrt hatte. Aus welchem Grunde der Minister diese Verwahrung ausgesprochen habe, sei ihm nicht recht klar, denn der Vorwurf, daß jenes System schuld au der Entwicklung der Social- demokratie trage, habe hier im Hause niemand er hoben. Die Widerlegung dieses Vorwurfs sei dem Minister allerdings gelungen, aber im allgemeinen könne er selbst den weitern Folgerungen der Rede nicht beistimmen. Zm Gcgentheil müsse er die Stiehl'- schen Regulative als recht verständig und zweckmäßig anerkennen. Am entschiedensten spreche aber die von dem Abg. v. Hammerstein kürzlich von der Tribüne vorgetragene Thatfache gegen den Minister. Wenn ein Lehrer, wie der vr. Müller in Lippstadt, die Frechheit habe, vor dreizehnjährigen Schülern vorzu- lesev: „Zm Anfang war der Kohlenstoff", und cr werde für dieses Vergehen nicht sofort entfernt, son dern erhalte nur einen Verweis, so verurtheile dies das bestehende Unterrichtssystem auf das entschiedenste. Der Minister erwiderte, daß er die Billigung des Vorredner» gar nicht erwartet habe; übrigens erwarte er von der Ehrenhaftigkeit des Abg. v. Meyer, daß er seine letzte.Bemerkung zurücknehme, da die Be hauptung, daß Oe. Müller den citirlen Satz in der Schule vorgelesen habe, durchaus unbegründet sei. Abg. v. Meyer erklärte, daß der RegierungScom- missar die erwähnte Thatfache selbst zugestanden habe. Geheimrath Stander protestirte gegen diese Be hauptung und berichtigte unter Hinweis auf den steno graphischen Bericht den Vorredner dahin, daß cr nur gesagt habe, der erwähnte Vorfall sei bereits vor etwa zwei Zähren geschehen und er wisse nicht mehr, ob unter den von ltr. Müller verlesenen Stellen auch die vom Abg. v. Hammerstein angeführte enthalten gewesen sei. Abg. v. Meyer hielt sich für berechtigt, aus diesen Worten ein volles Zugeständniß herauszulesen, da- seinen Protest durchaus begründet erscheinen lasse. Abg. v. Hammerstein fügte hinzu, daß nach den Acten eines von dem Oe. Müller angestrengten Be ¬ mal wiederholten melodramatischen Moment der Trauer musik hinter der Scene. Wir unterschätzen derartige StimmungSoiittel, passend angebracht, nicht; aber sie gehören doch kaum in die historische Tragödie. Neu ist die Figur deS SchuiSkoi, den Laube zu einem charakteristischen TypuS deS altrussischen BojarenthumS machte. Doch hätten wir gewünscht, der Vertreter deS russischen LegitimitätSprincipS hätte eine imponi- rcndere und unabhängigere Stellung in diesem Drama. Durch das seltsame Verhältniß zum Hause deS Boris und als Vertreter de» BojarenthumS nimmt cr eine unklare Stellung ein. Der Gegensatz des polnischen und russischen Ele ments, insbesondere in Bezug auf Charakter und politische Denkart, der schon von Schiller betont ist, tritt auch bei Laube überall hervor. Der ritterlich- stolze, freiheitliebende, prachtlicbende und verschwen derische Pole contrastirt mit dem patriarchalisch-einfachen, unterwürfigen, aber schlauen und bedächtigen Russen. Durch zwei solche Gestalten, wie der Fürst Sapieha und Fürst SchuiSkoi, wird der Gegensatz beider Na tionen sehr scharf markirt. Zm übrigen fehlt eS auch sonst im Stück nicht an charakteristischen Gestalten, wie die Vertreter deS polnischen Episkopats und des pol nischen hohen Adels. Wie scharf ist z. B. der Contrast zwischen dem Primas, Erzbischof von Gnesen, und dem russischen Patriarchen markirt! Dort ein unabhängiger Kirchenfürst, dessen hohe äußere Autorität seiner inner» Würde entspricht; hier ein feiler Zntriguant, der seine kirchliche Macht dem jedesmaligen Zaren zur Ver fügung stellt. Daß Sprache und Diction in den von Laube bear ¬ beiteten Acten gar sehr von den beiden ersten Schiller'- schen abstechen, ist eine erklärliche Erscheinung. Wer i es unternimmt, ein in edel classischen Formen gehal- - teneS poetisches Bruchstück zu vollenden, muß, wenn er von geringerer poetischer Kraft ist, den Vorwurf sich gefallen lassen, daß seine Sprache, mit der seines Vor gängers verglichen, weder den hohen Schwung noch die Kraft und die Beredsamkeit des Original» hat: ein Unterschied, der schon äußerlich dem Ohre in der dritten Scene de» zweiten ActeS wahrnehmbar wird. DaS eigenthümlich Gehackte der Laube'schen Satzbil dung steht gar sehr mit dem rhythmischen Fluß des Schiller'schen Verses in Widerspruch, sowie auch das Geistreich-Paradoxe, das Laube ini Dialog liebt, sich nicht recht dem ruhig getragenen Tone deS Schiller'schen Gedankengange» anschließen will. Bei Schiller beginnt der erste Act mit der be deutsamen und dramatisch so wirksamen Sitzung de» polnischen Reichstages. Hierauf folgt eine Scene zwischen König Sigismund, Demetrius, Meischek und Marina, in welcher der König dem künftigen Herrscher von Rußland zu seiner Verbindung mit der jungen Polin seinen Segen gibt. Zn der Laube'schen Bear beitung fällt der König ganz fort (er sigurirte in der gestrigen Vorstellung als „stumme Person"), und die letztgenannte Scene ohne den König geht der ReichS- tagSsitzung voran. DaS ist doch nicht ganz drama tisch correcr. Wir denken uns die Werbung de- Prä tendenten um die polnische Magnatentochter angemesse ner nach der Sitzung des Reichstage-, von her er erst die Gewißheit erhält, daß ihn die Polen auf seinem Zuge nach" der-russischen Krone unterstützen -werd««. Unter solchen Umständen erscheint die Werbung um Marina als eine logischere Folge deS Vorhergehenden, während sie in dieser Reihenfolge doch wie eine un würdige Zntrigue erscheint, die selbst dem Laube'schen Demetriu- nicht gut anstcht. Die gestrige Vorstellung dieser Tragödie darf als eine im ganzen zufriedenstellende bezeichnet werden. Hr. Grube suchte dem edeln Gepräge seine- Helden möglichst gerecht zu werden. Haltung, Bewegung und Vortrag, zumal vor dem Reichstage, entsprachen der Vorstellung, die wir uns von dem Helden diese- Dramas machen. Auch die später» Scenen, insbe sondere die entscheidende des vierten ActeS, ließen keine Ermattung in Bezug auf die Wärme bemerken, mit welcher Hr. Grube den reichen Gefühlsgehalt seiner Partie zur Darstellung brachte. Die Marfa der Frau Senger darf als eine der bedeutsamsten und ergreifendsten ihrer tragischen Frauengestalten gelten. Was Kraft und Energie des sprachlichen und mimischen Ausdrucks betrifft, so ist es vor allem die trefflich ge spielte Scene im Kloster mit dem Patriarchen Hiob, die wir hier ganz besonders hervorhcben müssen. Der folgende Monolog, in der das gramerfüllte Mutter herz bei dem Gedanken an das Wiedersehen ihrc» SohneS sich einem begeisterten Zubel überläßt, bracht« der Künstlerin mehrfachen Applaus und Hervorruf, Die erste Scene mit Demetrius im Kreml zu Mos kau zeigte die Künstlerin auf der Höhe ihres drama tischen Könnens. Trefflich zeichnete sie den schweren Kampf, der in diesem Moment in Marfa'S Herze« abspielt. Da- Ganze war eine Leistung voll markiger Kraft und Hohsit, die volle Anerkennung verdient.