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Nr. L88. Leipzig. Erscheint außer Som>t«g« täglich. Preis »terteljährlich r Thlr., jede einzelne Nummer i Ngr. Deutsche Allgemeine Zeitung. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Sonntag, II. December 1870. Inserate find -u haasenstem kd vogter in Leipzig oder an deren adrige Häuser zu senden. Infertlonsgedühr sür dieSpaltenzeile l'/,Ngr., unter Eingesandt »>/, Ngr. Leipzig, 10. Dec. Im Reichstage wurden gestern die Verträge mit Würtemberg, Hessen und Baden in dritter Lesung von allen Parteien mit alleiniger Ausnahme der Social demokraten genehmigt. Größer war die Gegnerschaft gegen den Vertrag mit Baiern; hier gesellte sich zu den Socialdemokraten der größte Theil der Fort schrittspartei. Die national-liberale Partei halte, um das Zustandekommen des EinigungSwerkS überhaupt nicht zu gefährden, ihren Widerspruch gegen die schwe ren Gebrechen, an denen der Vertrag mit Baiern vom nationalen Gesichtspunkte aus leidet, aufgegeben. Es wäre ja freilich eine Schmach für die deutsche Nation gewesen, wenn sie nach dem Kriege, nach so vielen und schweren Opfern, die für die Ehre des deutschen Namens gebracht worden sind, in die frühere Zer rissenheit zurückgefallen wäre, in jene Zerrissenheit, die viel dazu beigetragen hat, den Feind zu seinen frevel haften Angriffen zu ermuthigen. Hoffen wir, daß das aufstrebende Nationalgefühl in Deutschland stark genug fein werde, die mancherlei Lücken, die den rasch auf gerichteten Grundbau entstellen, bald auSzufüllen, da mit der lockere „Bund" in Wahrheit zum „Reiche", zu einem einheitlichen und festgefügten Staate werde. Die Loirearmee ist nach der Räumung von Orleans richtig nach drei verschiedenen Seiten auS- einandergesprengt und wird nach allen diesen Rich tungen hin rastlos von den Unsern verfolgt. Unsere Vermuthung, daß ein Theil der geschlagenen Armee von Orleans aus in südöstlicher Richtung die Loire aufwärts über Gien auf NeverS zusteuern, während ein anderer gerade nach Süden hin durch die Sologne über Vierzon nach Bourges streben werde, um von hier auS dem von Nevers anrückenden Theile die Hand zu reichen und nach erfolgter Wiedervereinigung den Feind in fester Stellung zu erwarten, hat sich bestätigt; denn die Orte, bei denen es bereits am 7. Dec. zwischen Vortruppen des Prinzen Friedrich Karl und dem Nachtrabe der feindlichen Armee zum Kampfe gekommen ist, liegen in der angedeuteten Richtung: Salbris, 8 Meilen von Orleans entfernt, an der Straße nach Vierzon-Bourges, Nevoy ebenso weit von Orleans und etwa 1 Stunde von Gien entfernt, über welches die Eisenbahn Paris-Mon- targis über Nevers nach dem Süden führt. Da unsere Truppen dem Feinde fortwährend dicht auf den Fersen sind, so wird es diesem schwerlich gelingen, die angestrebte Wiedervereinigung durchzuführen. Gleichzeitig marschirt die Armeeabtheilung des Großherzogs von Mecklenburg die Loire abwärts auf TourS. Die Vorhut derselben, die 17. Division, stieß bereits am 6. Dec. bei Meung auf Truppen, die, wol gleichfalls zur Loirearmee gehörig, dorthin ver schlagen oder von Tours aus dirigirt worden sind, um den Vormarsch unserer Truppen einstweilen auf zuhalten, bis die au« dem Lager von Conlie (bei Le ManS) zum Schutze des Regierungssitzes heran- zuziehenden Verstärkungen angelangt sein würden. Daß die am 6. Dec. geschlagene Truppenabtheilung zur Loirearmee gehörte, scheint daraus hervorzugehen, daß der sie befehligende General Chanzy seither ein Com- mando in derselben bekleidete. Dagegen dürfte das frische Corps, das sich am folgenden Tage den Un serigen in den Weg stellte, bereits zu jenen Zuzügen aus dem Westen gehören, die in Eilmärschen heran gerückt sind — um gleichfalls geschlagen zu werden. Schon am 8. Dec. kam eS bei Beaugency zu einer förmlichen Schlacht zwischen jener (aus drei CorpS bestehenden) Westarmce und der gejammten Armee abtheilung deS Großherzog« von Mecklenburg, die mit einer völligen Niederlage des Feindes und mit der Wegnahme einer ansehnlichen Zahl von Gefangenen und Geschützen endigte. Die einem Telegramm aus Brüssel zufolge in den jüngsten Tagen von Trocha^ und Ducrot ge troffenen Anordnungen lassen darauf schließen, daß dieselben einen neuerlichen Ausfall vorbereiten oder wenigstens damit drohen wollen. Die Nachricht der Daily News, daß Gambetta in Versailles um die Gewährung eines Waffen stillstandes (diesmal ohne die Bedingung der Ver- proviantirung) gebeten habe, ist bisher noch von keiner andern Seite her bestätigt worden. Sollten die ver- blendeten Männer in TourS endlich wirklich ein Ein sehen in die Lage ihres unglücklichen Landes bekommen haben? Eme solche Wandlung würde mit zu den wunderlichen Sprüngen gehören, deren Frankreich in den verflossenen Monaten so viele aufzuweisen hat. Die deutschen Verträge im Reichstage. * Herlin, 9. Dec. Vor Eintritt in die Tagesord nung theilt der Präsident dem Hause mit, daß ihm vom Vertreter des Bundeskanzlers folgendes Schrei ben zugegangen sei: Ew. Hochwohlgeboren beehre ich mich hierdurch die ganz ergebenste Miltheilung zu machen, daß der BundeSrath des Norddeutschen Bundes im Einverständniß mit den Regie rungen von Baiern, Würtemberg, Baden und Hessen be schlossen hat, dem Reichstage des Norddeutschen Bundes folgende Abänderung der Verfassung des Deutschen Bunde» zur verfassungsmäßigen Zustimmung vorzulegen: 1) Im Eingänge der Bundesverfassung ist anstatt der Worte: „Dieser Bund wird den Namen Deutscher Bund führen", zu setzen: „Dieser Bund wird den Namen «Deut sches Reich» führen." 2) Der erste Absatz des Art. 11 der Bundesverfassung erhält nachstehende Fassung: „Das Präsidium des Bundes steht dem Könige von Preußen zu, welcher den Namen «Deutscher Kaiser» führt. Der Kaiser hat das Reich völker rechtlich zu vertreten, namen« des Reichs Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, Bündnisse und andere Verträge mit fremden Staaten einzugehen, Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen." Nach dieser mit lebhaftem Bravo aufgenommenen Erklärung tritt das HauS in die Tagesordnung (dritte Berathung der Verträge mit den süddeutschen Staa ten) ein: Abg. v. Mallinckrodt ist gegen die Verträge und moti- virt, weswegen er mit Nein stimmen müsse. Ihm sei zwar das Deutsche Reich und der deutsche Kaiser willkommen; aber in der Verfassung, welche die Grundlage des Deut schen Reich» bilden solle, stelle da« Milüärwesen zu große Anforderungen an da» Volk; auch fehlten in derselben alle freiheitlichen Garantien, welche sich in der preußischen Lan desverfassung vorfinden. Abg. Liebknecht protestirt gegen die Existenz de« Nord deutschen Bundes sowie des Reichstag»; der Norddeutsche Bund, dessen Verzierung der Reichstag sei, beruhe auf einem Rechtsbruche. Präsident vr. Simson: Ich mache den Herrn Redner darauf aufmerksam, daß er hiermit die parlamentarische Ord nung verletzt. Abg» Liebknecht (fortfahrend) geht darauf auf da» Wir ken de» bisherigen norddeutschen Reichstags ein; dasselbe habe gar keinen Einfluß au-geübt auf die Verträge, die den Stempel von Versailles tragen und dem Reichstage vorge legt werden; letzterer sage sein Ja blo», um durch sein Nein nicht seine Machtlosigkeit zn beweisen. (Unruhe.) So lange e« sich um die Interessen des Hause« Hohenzollern handle, sei keine Einigung Deutschlands möglich, solange sei da« Deutsche Reich nicht» weiter als eine fürstliche Versiche rungsanstalt gegen die Demokratie. Wenn es sich um den Ort der neuen Kaiserkrönung handle, so schlage er (Redner) den GenSdarmenmarkt vor; dieser sei der passendste Ort, denn da« neue Reich werde nur durch die Geusdarmen gestützt. Im Verlaufe der Rede ruft der Präsident den Redner nochmal« zur Ordnung und erklärt, daß, wenn er in der selben Weise fortfahren würde, er sich die Ermächtigung er bitten werde, dem Redner das Wort zu entziehen. Abg. Schulze würde den deutschen Kaiser mit Freuden begrüßen, wenn sich nicht andere Bestimmungen daran knüpften, die schwerer wiegen al» da« Titularwesen. Ueber die Einigung Deutschlands sei jedermann einig; ander» aber stehe es mit den Modalitäten, unter denen diese Eini gung erfolgen soll. Die Regierungen haben sich nun allein die Modalitäten Vorbehalten und treten an den Reichstag heran mit dem Verlangen, diese Modalitäten ohne weiteres anzunehmen, oder auf die Einheit zu verzichten. Wenn man nun sage, daß man eS ja dem künftigen deutschen Reichstage überlassen könne, die Verfassung au»zubauen, und dasjenige zu Stande zu bringen, was jetzt nicht zu Stande gebracht werden kann, so würde eS andererseits ungerecht sein, dem künftigen Parlament eine unfertige Verfassung zu geben; im Gegeniheil, e» sei erforderlich, daß man dem künftigen deutschen Parlamente die Sache ungehemmt übergeben könne. Trotzdem will der Redner für den Vertrag mit Baden, Hessen und Würtemberg stimmen, für den Vertrag mit Baiern aber könne er nicht stimmen. Abg. v. Blanckenburg: Die Verantwortlichkeit, welche die Opposition gegen die Verfassung durch ihr Nein über nimmt, ist deswegen keine große, weil man vorausietzen darf, daß die Verfassung trotzdem werde zu Stande kom men. Ich glaube, das Votum de« Herrn Vorredner« würde anders ausfallen, wenn er einer Partei angehörte, die so groß wäre wie die, zu welcher ich zu gehören die Ehre habe; dann würde ein Nein von weit größerm Werthe sein, denn in diesem Falle würde durch da» Nein die ganze Verfassung in Frage gestellt werden. Abg. vr. Küntzer spricht sich frei und offen für die Zur Beethoven-Feier. -s- Leipzig, 10. Dec. In nächster Woche (17. Dec.) wird eS hundertjährig, daß Beethoven, Deutschlands ge waltigster Tonmeister, geboren ward. Während unser todesmuthiges Heer vor der französischen Hauptstadt den letzten Widerstand des übermüthigen Feindes bricht, um für die Zukunft unsere Grenzen vor seiner Be drohung zu sichern, während daheim von den Ver tretern deS norddeutschen Volks das VcrfaffungSwerk eines neuen Bundes berathen wird, und der Traum vom deutschen Kaiser und deutschen Reich in Bälde aufhören wird, nur ein Traum zu sein — in so ge waltiger, kriegerischer und viclbewegter Zeit wollen wir ein Fest des Friedens feiern, dürfen wir des Künstlers nicht vergessen, dessen Genius in einer langen Reihe der erhabensten Schöpfungen die Tonkunst in neue, bis dahin ungeahnte Bahnen wies, der den Ruhm deutscher Kunst, deutschen Namens selbst über ferne Länder und Meere trug. ES ist echt deutsche Weise, nicht mehr zu versprechen, als man zu halten im Stande ist. Wenn aber je ein Künstler als Mann erfüllte, was er als Jüngling versprach — und un endlich mehr — so war eS Beethoven. Unbeirrt durch daS bunte leichtfertige Treiben, das ihn umgab, un beirrt um den oft seichten Geschmack der großen Menge, den „die Mode streng getheilt", ging er, mit staunenSwerther geistiger Kraft schaffend und all sein Walten auf einen Punkt concentrirend, seinen Weg durch das Erdenleben, ein erhabener Einsiedler. Die selbe hohe und reine Sittlichkeit, welche sein Leben regelte, leuchtet aus jedem seiner Werke. Was ge ¬ fiel, was nicht gefiel, kümmerte ihn wenig. Wie der Schiffer auf hoher See sein Fahrzeug nach dem Laufe der Gestirne lenkt, so strebte er der Verwirklichung jener künstlerischen Ideale nach, die ein Gott in seine Seele gelegt hatte. Und mächtig wie mit Adlerflug über jede Kleinlichkeit, über alle Grenzen des Irdi schen emportragend, scheint unS sein Genius in manchen seiner Werke die Wunder des Jenseits offenbaren zu wollen, so im ^ckagio der „Neunten Symphonie", so im „llvnecliolus" der „blissa solsmnis", wo die Hellen Klänge der Sologeige wie Lichtstrahlen aus den höch sten Klangregionen herniedersteigen. Mancher Lorber kranz, der seit Beethoven's Tode von der öffentlichen Meinung vertheilt wurde, ist schnell verwelkt, manches zu voreilig gepriesene Werk jüngerer Künstler muthet uns bereits an wie eine Blume, die zu früh Duft und Farbe verloren. Anders mit Beethoven. Wenn wir heute aufs Gerathewohl seine Orchester- oder Kla vierwerke aufschlagen, so spricht aus jedem Takt eine Jugendlichkeit, eine kernige Frische, als wären sie eben geschrieben. Erst nach Jahrzehnten zählt eS, seit die spätern Werke des Meisters häufiger zum öffent lichen Vortrage gelangten, und so zum Gemeingut der Künstler wie der Kunstfreunde wurden. Ja eS gibt deren nicht wenige, denen die „Neunte Symphonie", die v-ckur-Messe, die letzten Quartette noch heute un gelöste Räthsel sind. So vielseitig Beethoven's Schaffen war, am gewaltigsten und am meisten bahnbrechend war eS in der Symphonie. Wer heute dieses Wort auS- sprechen hört, denkt unwillkürlich zunächst: „Beethoven." Aber eS ist nicht nur das Säcularfest des großen Künstlers, das wir feiern wollen, eS ist auch das eines im höchsten und edelsten Sinne deutschen Mannes, dem daS Schicksal seines Volks eng am Herzen lag — viele Beweise reden davon. Nicht umsonst wird Beethoven's äußeres Leben durch zwei der bedeutendsten und viel- besungensten Ströme unser- Vaterlandes abgegrenzt. Zu Bonn, am grünen Rheine ward er geboren, in der alten Kaiserstadt an der blauen Donau fand er seine letzte Ruhestätte. Auch was er geschaffen, zeigt von Jugend auf durch und durch deutschen Ursprung, indeß Mozart sich erst nach und nach von den Ein flüssen welscher Kunst, die namentlich Form und Co- lorit der dramatischen Werke längere Zeit bestimmt, frei machen mußte. Erst kurz vor seinem Tode scheint Mozart die „Zaubcrflöte", dieses echt deutsche Sing spiel, dem Beethoven von allen Mozart'schen Werken den Preis zucrkannte: „weil es alle Kunstformen ent halte, vom einfachen Lied bis zur Fuge". Dieses Be tonen der Universalität ist wiederum ein echt deutscher Zug und offenbart sich zugleich in den mannichfachsten Formen, in der Vielseitigkeit seiner Schöpfungen. Lange hat man gestritten, ob Mozart größer, ob Beethoven. Wie in der bildenden Kunst zur Zeit des Cinquecento. Rafael und Michel Angelo, repräsentiren auch die bei den größten Tonmeister Deutschlands zwei oft wieder- kehrende Typen künstlerischen Schaffens. Mozart und Rafael können wir uns eigentlich nur als Jünglinge, Beethoven und Michel Angelo nur als Männer denken. Bei jenen finden wir vor allem reizvollste sinnliche Schönheit, eine sonnige Anmuth, die selbst den Schmerz verklärt und den Ernst noch liebenswürdig erscheinen läßt, verbunden mit überqnellender, innigster Empfin dung. Bei Beethoven und Michel Angelo hingegen eine