Volltext Seite (XML)
«r. SW. Leipzig. Erschrtut außer SoaotagS »glich. Preis »ierteljihrlich r Lhlr., jede ei»»clne Ttuunner I Ngr. Deutsche Allgemeine Zeitung. «Wahrheit und Recht, Freiheit uud Sksehl» Mittwoch, 12. Oktober 1870. Znserate find an haosenstem kl Vogler in Leipzig oder an deren lidrig« Häuser ju senden. Jaferllousgedühr sür dieSpalteuzcilcls/,Rgr., unter Eingesandt S!gr. Leipzig, 11. Oct. Gambetta, der Luslschiffer, ist glücklich in TourS eingetroffcn, und hierdurch ist der Zwiespalt, der in den jüngsten Tagen zwischen der dortigen Provinzial- rcgierung und den leitenden Männern in Paris im stillen fortglomm, hell anfgelodert. Dem immer mehr überhandnehmenden FriedenSbedürfnifse Gehör gebend, hatten sich Crömieux und GlaiS-Bizoin weit weniger die Organisirung der nationalen Vertheidigung als das Zustandekommen einer constituirenden Versamm lung angelegen sein lassen. Sie mußten sich sagen, daß eine solche ohne vorherigen Abschluß eines Waf fenstillstandes kaum möglich sei; sie nahmen zu die sem Zwecke eine ruhigere Haltung an und suchten die öffentliche Meinung nach dieser Richtung hin zu be- einflussen, oder sie bestärkten dieselbe eigentlich nur in einer Richtung, die sie bereits eingeschlagen hatte. Sie waren eben durch mehrwöchentlichen Aufenthalt in der Provinz nüchterner geworden. Dieser vernünf tige und ehrliche Standpunkt konnte aber den Colle ge» in Paris nicht behagen. Diese können nicht mehr zurück; dem Drängen der freilich von ihnen selbst erst fanatisirten Massen nachgebend, halten sie an dem unseligen Entschlusse fest, die Hauptstadt zu vertheidi- gen. Wollten sie heute mit dem Feinde unterhandeln und sich seinen Bedingungen fügen, so würden sie mor gen bereits gestürzt und durch die Socialisten und Com munisten ersetzt werden. Die Vertheidigung derHauplstadt kann aber selbst im günstigsten Falle nur eine interi mistische Bedeutung haben. Ein Glück, wenn sie sich so lange hält, bis ein sich inzwischen im Lande bilden des Entsatzheer zu Hülfe eilt und den belagernden Feind im Rücken faßt. Sehr erklärlich ist daher der Ingrimm der Pariser über die Apathie, in der das Land verharrt. Wenn aber die Herren meinen, daß die Lässigkeit ihrer Collegen schuld an dieser Stumpf heit sei und daß cS nur der leitenden Hand bedürfe, um den durch Frankreich flutenden Strom der Be geisterung und Kampfbegierde dem rechten Ziele zuzu lenken, so täuschen sie sich gewaltig, und nur zu bald werden sie dieser Täuschung innewerden. Auch Gambetta wird an -dieser Erschlaffung und Friedenssehnsucht nichts ändern trotz der wohlpräpa- rirten Proclamationen, die er mitbringt und de ren erste er sofort nach seiner Ankunft ins Land ge schleudert hat. Dieselbe enthält, außer einigen neuen Uebcrtreibungen über Zahl und Bewaffnung der Ver- theidiger von Paris, nichts Neues; die Redensarten, mit denen man bereits in der Hauptstadt ein Stroh- feucr angezündet hat, sollen nun auch an den Leuten in der Provinz ihre Kraft erproben; doch liegen hier eben die Verhältnisse ganz anders. Wird Gambetta seinen Landsleuten in der Pro vinz einreden können, daß in Paris alles in der schönsten Harmonie vor sich gehe, wenn sie gleichzeitig in dem auS Paris eingetroffenen Journal officiel von, 6. Oct. einen Aufruf lesen, in welchem dringend vor Ein Wort Arndt's über die Elsässer. (Aus der Leipziger Zeitung.) Der Elsaß liegt den deutschen Heeren offen. Sein goldener Schlüffe!, Strasburg, die alte deutsche Feste, die „wunderschöne" Stadt, ist nach heißem Werben und Ringen dem deutschen Volke in den SchoS ge fallen. Aber die Elsässer und Elsässerinnen — es fehlt noch viel, daß sie Pectoraldeutsche, Deutsche mit Leib und Seele werden. Der Sprache nach sind sie es, aber noch manches Jahr wird hingchen, ehe sie eS dem Herzen nach werden. Es erscheint vielen wie ein psychologisches Räthsel, daß der fanatische Wider stand wider das deutsche Wesen in dem alten deutschen Elsaß am meisten sich regt. Die Zeitungen haben von mannichfachen Greuelthaten elsässer Bauern an deutschen Soldaten berichtet. Und doch geschieht da mit nichts Neues unter der Sonne. Dieselben Klagen über Ausbrüche eines zu den greulichsten Gewaltthaten aufgeregten VolkshasscS finden wir schon bei Besetzung des Elsaß durch die verbündeten Heere im Jahre 1815. Vor uns liegt aus jenem Jahre ein Schriftchen Ernst Moritz Arndt'S: „Ueber den heftigen Widerstand oder den bösen Geist, den die verbündeten Heere allenthalben im Elsaß finden. Ein Wort des Trostes für das deutsche Volk." Bei den fast gleichen trüben Erfahrungen in der Gegenwart erscheint jenes Trost wort Arndt's im rechten Sinne ein Wort des Trostes für unsere Zeit, und eS dürfte ein kurzer Auszug auS jener Schrift vielen Lesern dieser Blätter will kommen sein. 0o laoto — von den genug redenden Thatsachen seiner Zeit ausgehend, schreibt Arndt: der Wiederkehr „bewaffneter Demonstrationen", wie sie sich am 5. Oct. in Paris wiederholt hätten, ge warnt wird? Weit entfernt, das Ansehen der provisorischen Ne gierung zu heben und die Widerstandskraft des Landes zu stärken, wird dieser Schritt der provisorischen Ne gierung nur dazu beitragen, die Anarchie, die ohne hin bereits an den verschiedensten Punkten hervorbricht, zu steigern. Zu den fortdauernden Unordnungen im Süden sind neuerdings auch solche im Innern und im Westen Frankreichs gekommen. Eine allgemein anerkannte Regierung gibt eS dort zur Zeit nicht; das provisorische Gouvernement hat cS versäumt oder gescheut, die Bestätigung einer constituirenden Ver sammlung einzuholen. Inzwischen breitet sich unser Heer im Lande auS, und sicher wird es in vielen Gegenden von der nach Ruhe lechzenden Bevölkerung als Bringer der Ordnung begrüßt werden. Unge schulte Haufen, welche die französischen Blätter als „Armee" bezeichnen, stellen sich ihm naiverweise ver einzelt, ohne jeden strategischen Plan, ohne taktischen Zusammenhang in den Weg, und werden natürlich einzeln aufgerieben, zersprengt oder abgeschnitten. Frankreich selbst wühlt in seinen Eingeweiden und thut alles Mögliche, um sich auf lange hinaus zu entkräften und zu einer „Macht zweiten Ranges" herabzudrücken. Eine Denkschrift der preußischen Regierung. Der Preußische Staats-Anzeiger veröffentlicht fol gende Denkschrift, welche die preußische Regierung mehrern Cabineten hat zugehen lassen: „Die Hrn. Jules Favre gestellten Waffenstillstands bedingungen, auf Grund deren die Anbahnung ge ordneter Zustände in Frankreich erstrebt werden sollte, sind von ihm und seinen Collegen verworfen worden. Die Fortsetzung eines, nach dem bisherigen Gange der Ereignisse, für das französische Volk aussichtslosen Kampfes ist damit ausgesprochen. Die Chancen die ses opfervollen Kampfes haben sich für Frankreich seitdem noch verschlechtert, ^oul und Strasburg sind gefallen, Paris ist eng cernirt und die deutschen Truppen streifen bis zur Loire. Die vor jenen Festungen engagirt gewesenen beträchtlichen Streit kräfte stehen der deutschen Armeeführung zur freien Verfügung. Das Land hat die Consequenzen des von den französischen Machthabern in Paris gefaßten Ent schlusses eines Kampfes L ontranos zu tragen, seine Opfer werden sich unnützerweise vergrößern nnd die socialen Zustände in immer gefährlichem Dimensionen sich zersetzen. Dem entgegen zu wirken sieht sich die deutsche Armeeführung leider nicht in der Lage. Aber sie ist sich über die Felgen des von den französischen Macht- Wir lesen jetzt in allen Tageblättern von der Wuth und Raserei der elsässer Bauern gegen die Verbündeten und von eingeäscherten Dörfern und Flecken, was eine Folge der blutigen und hartnäckigen Widersetzlichkeit derselben ist; wir lesen auch von einzelnen Greueln, die diese Elsässer gegen gefangene Soldaten verübt haben sollen, von hinterrückischen Ermordungen, ja von scheußlichen Kreuzigungen derselben, von welchen wir wünschen, daß sie nicht wahr oder doch weit übertrieben sind. Denn wir sehen die Elsässer als unsere Landsleute an und wünschten sie uns und dem Reiche und mit ihnen unsern ganzen Rhein wiederzugewinnen. Diese Hartnäckigkeit und dieser widerspenstige Geist, den wir im Elsaß finden, däuchte vielen redlichen Deutschen sonderbar, ja fast unerklärlich, zumal da die eigentlichen Franzosen sich allenthalben so zahm und beinahe kriechend erweisen. Viele sind deswegen auf die Elsässer äußerst ent rüstet und nennen sie im Zorn wol ein schändliches und sranzösirtes Bastardvolk, in welchem auch keine deutsche Aber mehr sei. Ich leugne die Erscheinung nicht, denn sie ist da, aber ich will suchen, sie etwas anders zu deuten, als die meisten thun, sodaß die Elsässer endlich dabei bester wegkommen möchten, als eö bei dem ersten Blicke scheint. Ich habe schon irgendwo in einem Büchlein*) gesagt, daß die Elsässer, nachdem sie 175 und 125 Jahre unter der Herrschaft des welschen Volks der Franzosen gestanden haben, nicht mehr echte Deutsche von Gesinnung sein kön nen, zumal da ihnen seit der Zeit ihrer Abreißring vom Deutsche» Reiche nichts Großes und Gewaltiges in Thaten und nicht« Weises und Vortreffliches in Einrichtungen und Gesetzen von den Landsleuten und Nachbarn gezeigt worden ist: sie haben ,,bis auf die letzten Jahre" nichts gesehen, weswegen sie sich sehnen konnten, auch politisch dem deut schen Vaterlande wieder anzugehören. Aber in eben jener Schrift habe ich nach meiner Ansicht und Erfahrung das Tröstliche sagen müssen, daß die Elsässer einer so tüchtigen Art und eine« so zähen GemllthS find, daß sie von den Fremden bisjetzt nicht haben bezwungen, noch ausgelöscht *) „Blick aus der Zeit aus die Zeit." Habern beliebten Widerstandes völlig klar und muß namentlich auf Einen Punkt die allgemeine Aufmerk samkeit im voraus leiten. Es betrifft dies die speciellen Verhältnisse in Paris. Die bisher von dieser Hauptstadt geführten größern Gefechte am 19. und 30. vor. MtS., in wel chen der Kern der dort vereinigten Streitkräfte nicht einmal vermocht hat, die vorderste Linie der Ccrni- rungStruppen zurückzuwerfen, gibt die Ueberzeugung, daß die Hauptstadt über kurz oder lang fallen muß. Wird dieser Zeitpunkt durch das Kouvomomsut xro- visoirs cko la äötoims natiounlo so weit hinausgescho ben, daß der drohende Mangel an Lebensmitteln zur Capitulation zwingt, so müssen daraus schrecken erregende Consequenzen entstehen. Die französischerseits in einem gewissen Umkreise von Paris ausgeführten widersinnigen Zerstörungen von Eisenbahnen, Brücken und Kanälen haben die Fortschritte der diesseitigen Armeen nicht einen Augen blick aufzuhalten vermocht; die für letztere nothwen digen Land- und Wassercommunicationen sind in sehr kurzer Zeit von ihr retablirt worden. Diese Wiederherstellungen beziehen sich natur gemäß nur auf die rein militärischen Interessen; die sonstigen Zerstörungen aber hemmen selbst nach einer Capitulation von Paris die Verbindungen der Ca- pitale mit den Provinzen auf lange Zeit hinaus. Der deutschen Armeeführung ist es, wenn jener Fall eintritt, eine positive Unmöglichkeit, eine Bevölkerung von nahe an zwei Millionen Menschen auch nur einen einzigen Tag mit Lebensmitteln zu versehen, die Um gegend von Paris bietet alsdann, da deren Bestände für den Bedarf der diesseitigen Truppen nothwendig gebraucht werden, auf viele Tagemärsche hin ebenso wenig irgendwelche HülfSmittel und gestattet daher nicht einmal, die Bewohner von Paris auf den Land wegen zu evacuiren. Die unausbleibliche Folge hiervon ist, daß Hun derttausende dem Hungertode verfallen. Die fran zösischen Machthaber müssen diese Consequenzen ebenso klar übersehen wie die deutsche Armeeführung, welcher nichts übrigbleibt, als den angebotenen Kampf auch durchzuführen. Wollen jene es bis zu diesen! Extrem kommen lassen, so sind sie auch für die Folgen ver antwortlich. " Die Lebenskraft der Einzelstaaten. (Aus dem Schwäbischen Merkur.) Nur das innige Handreichen des äußern und des innern Siegs kann uns zum Segen gereichen: nur die Begründung des einigen deutschen Bundesstaats kann unsern Siegen die nachhaltige Kraft verleihen, nur daS innig verbundene deutsche Staatswesen kann es unternehmen, die verloren gewesenen Kinder wieder fest ans Vaterhaus zu binden. Aber auch die Einzel staaten, insbesondere die süddeutschen, können sich ihrer werden können, und daß mit derselben Hartnäckigkeit, wo mit sie jetzt gegen uns auftreten, ihre Art und ihr Sinn bis diesen Tag sich gegen das Fremde gewehrt und be hauptet hat. Ich habe gesagt: sie haben nicht mehr deut sche Gesinnung und können sie nicht mehr haben; aber ihr Sinn und ihre Art sind immer noch deutsch uud nicht welsch, wenn man etwa 10000 oder 15000 aus jenen Klas sen ausnimmt, die der bürgerlichen und politischen Ver hältnisse wegen mit dem Götzen der fremden Art, Sprache und Wissenschaft nothwendig haben buhlen und das Deut sche zurückschieben müssen. Wenn also der Elsaß—was wir Hessen oder begehren müssen — jetzt wieder mit dem Deut schen Reiche vereinigt wird, so würde es nur 10 oder 15 Jahre einer kräftigen und gerechten deutschen Regierung bedürfen, um die Geister und Herzen des Volks dem deut schen Vaterlande wieder zuzuwenden. Das aber müßte durchaus der strenge Grundsatz der neuen Regierung sein, die elsässer Beamten, die unter französischerHerrschaft Stel len verwaltet haben, in andere Landschaften zu versetzen und an ihrer Statt aus diesen Männer mit andern Ge sinnungen und Ansichten über den Rhein hinüberzupflanzen, Denn diese würden das französische Evangelium ats Mis sionarien einer heimlichen Propaganda immerfort predigen und die undeutsche und welsche Gesinnung von Geschlecht zu Geschlecht erhalten. Nach dieser allgemeinen Betrachtung der Bewohner des Elsaß geht Arndt zur Vertheidigung der Elsässer und der Deutschen überhaupt und ihres Verhaltens als Feinde im Kriege im Gegensatz gegen die Fran zosen über: Ich will die Greuel und Gewaltthaten unserer Lands- leute gar nicht wegleugnen, weil zu viel Stimmen darüber einig find, daß sie sich grausamer und wilder betragen haben als die Franzosen; aber das bitte ich mir aus, daß man die deutschen Greuel, wenn solche begangen sind, menschliche Greuel nenne. ES ist in der Menschennatur ein fürchter licher Satan, der wüthet, wenn er losgelassen wird; aber ich behaupte doch nach der Kenntniß und Erfahrung, die ich