Volltext Seite (XML)
ExtraBeilage z« Nr. 301 der Dculscht« Allgküitiüt« Zeitung. Leipzig, 27. December 1870, früh 9 Uhr. Bor Paris. Versailles, 21. Dec. Die pariser FortS beher zigen das Goeche'sche Wort: „Bon Zeit zu Zeit seh' ich den Alten gern und hüte mich, mit ihm zu bre chen." Getreu diesem Satze unterhielten die FortS Valerien, Ivry und Iffy in der vergangenen Nacht «ine so starke Kanonade, daß die hier consignirten Truppen sofort alarmirt wurven. Die auf dem Place d'ArmeS befindlichen Geschütze wurden nach den Ave nuen gebracht, um beim ersten Signal an den Kampf platz eilen zu können; die SanitätScolonnen hatten hinter der Artillerie Ausstellung genommen. Der längst in Aussicht stehende Ausfall der F-anzosen sollte auch für diesmal sich nicht verwirklichen. DaS von 9 Uhr abend» bi» heule Morgen 6 Uhr ununterbrochene Schießen sollte wol nur den Zweck haben, unsere mit Batleriebauten beschäftigten Truppen in ihren Arbeiten zu beunruhigen und zu stören. Während die Geschütze zwischen 11 —12 Uhr nachts am heftigsten feuerten, waren die Franzosen freudebewegt an die Fenster ge eilt, um die Musik der FortS zu bewundern. Ich vernahm, wie ein hiesiger Bürger zu seiner Ehehälfte die Wo te sagte: o'egt bien, on brusso eos psuvros krus8ion8." Seit heute Morgen hat der Feind das Feuer eingestellt, ohne unsern Truppen irgendwelchen nennenSwerthen Verlust bcigebracht zu haben. Im Süden haben unsere Truppen hinsichtlich deö Vormarsches mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, da die Chausseen und Wege vollständig aufgeweicht stad. In militärischen Kreisen rechnete man, daß die Occupatio« von TourS vor 10—12 Tagen stallfinden würde, indessen machte eine Anzahl versprengter oder »euf'rmirter feindlicher Corp» Schritt auf Schritt unserer Armee den Vormarsch streitig. DaS 10. CorpS, welches am 18. Dec bei PoiSlay und Fontenelle glückliche Gefechte lieferte, erbeutete bei der Verfvl gung des FeinveS nach Le Mans unter anderm eine Feldpost, deren Inhalt uns interessante Daten über den in der Loirearmee herrschenden Geist verschaff!. Fast sämmtliche aufgefangene Briefe der französischen Offiziere berichten, daß infolge der erlittenen großen Niederlage bei Orleans Mutlosigkeit bei den Solda ten und Rathlosigkeit bei den Führern obwaltet. Aus den Briefen ist ersichtlich, daß man die größten Hoff nungen auf die aus guten Kerntruppcn bestehende Armee gebaut hatte und sicherlich glaubte, aus diesem Kampfe als Sieger hervorzugehen und der pariser Armee noch im rechtzeitigen Moment zu Hülfe eilen zu können. Nach langem Schweigen gab das unter dem Ober kommando deS Generals v. Werder stehende 14. Ar- meecorpS wieder ein Lebenszeichen von sich, indem dasselbe am 18. Dec. die Bogesenarmee bei Nuits schlug und die Stadt besetzte. DaS Garibalvi'sche Corps scheint die Muße benutzt zu haben, um sich »eu zu organisiren und durch neu ausgehobene Mann schaften zu verstärken. Die Photographen und ImprimeurS sind dermaßen von unser« Truppen mit Bestellungen zum Weihnachts feste in Anspruch genommen, daß sie kaum im Stande sind, den dritten Theil der Aufträge zu cffectuiren. Auf den Straßen wogt es an Soldaten aller Waffen gattungen, die ihren Lieben ein Andenken aus Ver sailles in die deutsche Heimat senden wollen. Der übliche Weihnachtsmarkt findet dieses Jahr nicht statt, doch sind die Läden und Butiken von Käufern ge füllt, von denen sich eine große Anzahl auf eine höchst komische Manier durch eine Zeichensprache mit den Verkäufern verständigt. Der pariser Ausfall vom 21. December. (Au» dem Preußischen StaatS-Anzeiger vom 24. Dec.) Nach einer fast dreiwöchentlichen Unthätigkeit hat der General Trochu am 21. Dec. abermals einen größern Ausfall unternommen. Es liegt die auch in dem vom 23. Dec. Telegramm Sr. Maj. ausgesprochene Annahme vor, daß der französische General, welcher Ende November eine Cooperation mit der von Süden heranrückenden Loirearmce erstrebt hatte, nunmehr die Verbindung mit der Norvarmce des Generals Faidherbe zu bewirken bemüht war. Wenn auch thatsächlich nach- gewiek«« Anhaltepunkte für die Absicht einer derarti- »z.a gemeinschaftlichen Operation zur Zeit noch nicht vorliegen können, so finden sich doch Gründe für die eben ausgesprochene Vermuthuog nicht nur in dem Umstande, daß in Lille ein Adjutant Trochu'S per Ballon eingetroffen war, sondern mehr noch in der Zeit und der Richtung deS Ausfalles selbst. Erstere konnte General Trochu in Ermangelung einer steten Verbindung mit außen nur ungefähr berechnen, in dem er die Zahl der Tagemärsche in Betracht zog, deren General Faidherbe zu einem Vordringen von Lille auS und über die Linie AmienS Laon bis gegen die deutschen CernirungSarmeen bedürfen würde; und, diese Berechnung zu Grunde legend, mußte der Vorstoß allerdings etwa nach dem 20. d. M. zur Ausführung gelangen. Die Richtung deS Au falles spricht mit noch größerer Wahrscheinlichkeit für eine zwischen Trochu und Faidherbe verabredete Operation: es kann wol mit Gewißheit angenommen werden, daß ersterer, wie er seinerzeit durch einen Durchbruch zwischen Marne und Seine der Armee deS Generals AurelleS de Pal- ladine, so jetzt durch einen Ausfall zwischen Marne und Oise der Nordarmee die Hand zu reichen beab sichtigt hat; cs ist allerdings nicht zu verkennen, daß ein Gelingen dieses Planes durch die Bedrohung einer der wichtigsten Etappcnstraßen keineswegs ohne Ge fahr für unsere rückwärtigen Verbindungen gewesen sei« würde. Der Ausfall vom 21. Dec., wie alle frühern durch wirkungsloses Feuer aus den FortS eingelciket, ge schah in zwei gleichzeitigen Angriffen, deren jeder wiederum auf zwei Straßen zur Au führung gelangte. Der nördliche wurde unter dem Schutze der Werke von St.-Denis gegen den Nordosten der CernirungS- linie, durch die preußischen Garden gebildet, unter nommen, der südlichere Vorstoß wendete sich gegen den Osten der deulfchen Stellungen, gegen das 12. (könig lich sächsische) ArmeecorpS. So sind eS also vier Hauptlichtungen gewesen, in denen General Trochu versucht hatte, mit etwa drei Divisionen auSzubrechcn, welche unter dem Schutze der FortS von St.-DeuiS und AubervillerS im Nordosten, derer von Romain- ville, Rosny und Nogent im Osten gegen die feind lichen Positionen verrücken konnten. Der erste dieser gleichzeitig unternommenen Vorstöße war gegen Slains gerichtet, rin Dorf, nördlich der Straße, die von der Double Couronne du Nord, dem miltetsten der Werke von St.-Denis, nach Gonesse und in der Richtung auf Lille weiter führt, und nordwestlich dessen der Eisen- bahndamm von St.-Denis nach Ereil einen wesent lichen Terrainabschnitt bildet. Den zweiten AuSfalls- punkl bildete wiederum Le Bourget, direct an der Rcuie imperiale von Paris nach Lille gelegen; dem selben gegenüber liegt Fort Aubervilliers; zwi chen diesem und dem Dorfe geht die Eisenbahn nach SoiffonS vorbei, welche sich, b vor sie den Kanal von St.-DeniS überschreiiet, von der Bahnlinie nach Ereil ostwärts abzweigt. Dies war der Ausfall, welcher nach zwei Rich tungen gegen Regimenter des preußischen Gardecorps unternommen wurde, während durch die beiden an dern Vorstöße weiter südlich die Truppen deS könig lich sächsischen (12.) Armeecorps angegriffen wurden. Der nördlichste dieser letztem geschah unter dem Schutze de« Fort von Romainville und wendete sich nordwärts von Pantin aus gegen Bobigny, das nörd lich des Kanals de l'Ourcq und südlich der sogenann ten Route des Petits-Ponts gelegen ist. Der vierte Vorstoß war durch die FortS von RoSny und No gent gedeckt und richtete sich auf dem nördlichen (rech ten) Marneufer gegen RoSny und Neuilly; in wei terer Richtung sollte derselbe sich bis auf Chelles er strecken, das, 2'/z Meilen von östlich Paris, au der nach Strasburg führenden Ostbahn gelegen ist. Die beim Vorrücken des Feindes von den diessei tigen Vorposten zunächst vorübergehend geräumten Ortschaften Stains und Le Bourget wurden von Ba taillonen des 1. Garderegiments zu Fuß und der Garde-Grenadierregimenter Königinnen Elisabeth und Augusta alsbald wieder genommen, sodaß es dem General Trochu also an keinem Punkte möglich war, auch nur die diesseitigen Vorpostenstellungen zu durch brechen. Der erfolgreiche Widerstand ist, wie es scheint, großentheilS der Artillerie zuzuschreiben, da Se. Maj. der König allerhöchstselbst den Kampf derselben als bedeutend bezeichnet haben. Dem Ausfälle vom 21. Dec. folgte bereits am nächsten Tage das Vor gehen weiterer zwei feindlicher Brigaden gegen den linken Flügel der sächsischen Positionen, jedoch eben falls ohne Erfolg, da bereits das flankirenbe Feuer zweier würtembergischen Batterien vom linken Marne- ufer aus genügte, den Feind zurückzutreiben. Die geringen Verluste unserer-, wie die bedeuteu- drn französischerseitS, unter denen sich allein über 1000 unverwundete Gefangene befinde«, sprechen da für, daß die unter der Wucht der Ereignisse durch General Trochu organisirie Armee von PaiiS von Tag zu Tag an Widerstandsfähigkeit verliert und noch weniger zu einer kräftigen Offensive geeigutt sein dürfte. Wie Frankreich Krieg führt. Die Karlsruher Zeitung vom 24. Dec. schreibt: „Nach neuern Nachrichten treffen im südliche» Frankreich frische afrikanische Truppen ein, die der lyo- uer. Armee als eine Art FreicorpS beigegeb-n werde« solle«. Welcher Art diese Horden sind oder sein sol- ten, lehrt unter anderm ein Artikel, der auS der Inde- pendance algcrienne seinen Weg in französische Blätter gefunden hat. Er kämet: Die Gums. Der Augenblick ist gekommen, die Anord nungen des General« Faidherbe auszuführen und sofort die Gum« marschircn zu lasten- E« wäre zu wünschen, daß unsere Provinz zehn Gum« zu je 200 Mann stellte. Sie wären von Kaivs und einigen Offizieren der Arabischen Bo- reaux zu befehligen, welche gm arabisch sprechen. Diese GumS würden nach Lyon gehen, sobald sie bereit find. Dort kämpfen sie al» Plänkler und übernehmen den Aufklärung«- dtenst, da wir unsere leichte Lavalerie nun einmal nicht zu gebrauchen verstehen. Der nächste Zweck wäre: di« Ulanen zu vernichten oder wenigstens durch einige» Kopf- abschneideu einzuschüchtern. In zwei oder drei Gruppen, denen man einige deutsch redende Offiziere und Unteroffi ziere beigäbe, werden sie sich in da« Herzogthum Bade« werfen, wo sie zur Aufgabe haben, den Deutschen da« Uebel, da» sie uns anlbun, zurück,ugcben, d. h. alle Dör fer zu verbrennen und alle Wälder anznzünden — «ine Klei nigkeit jetzt, wo das trockene Laub den Boden bedeckt. Der Schwarzwald wiro in Brand gesetzt werden und nacht« da» Rheinthal erleuchlen; danach werden die GumS ihn um gehen und nach Würtemberg kommen, wo sie alle- verwü sten. Der Ruin der mit Preußen verbündeten Länder wird sicherlich deren Abfall herbeislihren. Die Gum» tragen nicht» al» Patronen bei sich. Ueberall finden sie Leben-mittel; sie verblenuen die Städte und Dörfer erst dann, wenn sie sich auf einige Tage mit dem Nochwendigen versehen haben. Wir werden diesen braven Söhnen des Propheten sagen: Wir kennen euch, wirschätzen euern Muth, wir wissen, daß ihr energisch, ungestüm, un ternehmend seid; geht und schneidet Köpfe ab; je mehr, desto höher wird unsere Achtung vor euch steigen. Aus die Nachricht von dem Einfall dieser Afrikaner auf dem feind lichen Boden wird sich ein Schrecken in Deutschland ver breiten und die preußischen Heere werden ihren Abzug von Haus und Hof zu bereuen ansangen, wo ihre Frauen und Kinder mit ihrem Leben die Grausamkeiten ihrer Väter und Männer bezahlen müssen. Fort mit dem Erbarmen I Fort mit den Gefühlen der Menschlichkeit! Keine Gnade für die modernen Vandalen, welche an Ruchlosigkeit die Hunne« und alle Barbaren des Mittelalter« übertreffen, welche die Wälder Germanien« seit 1400 Jahren über un« au-gespien haben. Nur ein Einfall in Deutschland kann die Aufhe bung der Belagerung von Paris rasch herbeiführen. Die Gums werden Ehren etnlegen, wenn wir ihnen die Losung geben: Tod, Plünderung, Brand' Es bedarf keines Commentar», um aus diesen Zeilen die Civilisation kennen zu lernen, an deren Spitze die französische Nation marschirt, aber auch die Narrheit, in der sie sich ergeht. Daß solche Brandbriefe wirklich in Frankreich Gläubige finden, dafür spricht, daß wir die Kenntniß deS obigen Mach werks einem ernsthaften, in Frankreich seit lange niedergelassenen Manne verdanken, der dasselbe Ver wandten miltheilt und diese beschwört, schleunigst ihre Habe zu packen und in der Schweiz ein Asyl zu suchen. Zunächst werden die GumS, wenn sie über das Meer kommen sollten, uothgedrungen Gelegenheit finden, die französischen Dörfer mit ihrer Gegenwart zu beglücken und an dem trockenen Laube der fran zösischen Wälder — mit oder ohne Petroleumzugabe — Glimmversuche zu machen. 'Dafür, daß das Kopf abschneiden ihnen verleibet wird, werden die Deutschen sorgen. Wollen die Franzosen sich zur Einübung hergeben, so ist das freilich ihre Sache." Vor Belfort. AuS dem Feldbriefe eines würtembergischen Ka noniers, der vor Belfort liegt, theilt der Schwäbische Merkur Folgendes mit: Die Franzosen machen täglich Ausfälle, die oft ziemliche Dimensionen annehmen, sodaß man wol zufrieden sein darf, wenn e« täglich mit 20—30 Verwundeten abgebt. E» handelt sich hierbei immer um den Besitz de- Dorfe- Ba- vilie, da« nach der Aussage unserer Osft.iere der Schlüssel von Belfort ist. Immer schwankt der Besitz dieses Dorsrs, einmal nehmen es die Preußen, dann entreißen es ihnen die Franzoien wieder, aber nur, um es am andern Tage wieder zu verlieren. Schon mancher wackere Deutsche hat