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8. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Festsaal des Kulturpalastes Dresden Sonnabend, den 18. April 1987, 19.30 Uhr Sonntag, den 19. April 1987, 19.30 Uhr Dirigent: Roberto Benzi, Frankreich Solistin: Elisso Wirssaladse, Sowjetunion, Klavier Modest Mussorgski Eine Nacht auf dem Kahlen Berge - 1839—1881 Fantasie für Orchester Peter Tschaikowski 1840-1893 Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 b-Moll op. 23 Allegro non troppo e molto maestoso — Allegro con spirito Andantino semplice — Prestissimo — Tempo I Allegro con fuoco Robert Schumann 1810-1856 PAUSE Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38 (Frühlingssinfonie) Andante un poco maestoso — Allegro molto vivace Larghetto Scherzo. Molto vivace Allegro animato e grazioso ELISSO WIRSSALADSE, die exzellente sowjetische Kla- viervirtuosin, bestätigt ihr internationales Format durch eine überaus erfolgreiche Konzerttätigkeit u. a. in der Sowjetunion, in den Volksrepubliken Bulgarien und Polen, in Österreich, Italien, Norwegen, in den Nie derlanden, der DDR, CSSR, SFR Jugoslawien, der Un garischen VR, in Japan und Kanada. Die Künstlerin stammt aus Tbilissi, wo sie an der Musikschule „Pa- liaschwili" erste musikalische Unterweisung erhielt. Be reits als 11jährige gab sie ihre ersten Konzerte. Am Konservatorium ihrer Heimatstadt war sie seit 1960 Schülerin ihrer Großmutter, der Verdienten Volkskünst lerin der Georgischen SSR, Prof. A. Wirssaladse. Nach Beendigung ihrer Ausbildung in Tbilissi wechselte sie als Schülerin von Prof. Jakow Sak an das Moskauer Konservatorium über, wo sie nach einer zweijährigen Aspirantur selbst zu unterrichten begann. Auch die Un terweisungen, die die junge Pianistin durch den bedeu- ter^fcB Pädagogen Prof. Heinrich Neuhaus, den Leh- Swjatoslaw Richter und Emil Gilels, erhielt, tru^^H wesentlich zu ihrer künstlerischen Entwicklung bei. 1959 errang sie die Silbermedaille im Internatio nalen Wettbewerb anläßlich der Weltjugendfestspiele in Wien. 1962 gewann sie die Bronzemedaille des Moskauer Tschaikowski-Wettbewerbes und 1966 ging sie als 1. Preisträgerin aus dem Internationalen Schu mann-Wettbewerb der Stadt Zwickau hervor, die die Künstlerin 1976 auch mit dem Schumann-Preis ehrte. Mit der Dresdner Philharmonie musizierte Elisso Wir ssaladse bereits 1971 und 1977. Das Konzert am 18. April 1987 wird von Stimme der DDR original übertragen. ROBER1O BENZI, Sohn italienischer Eltern, wurde 1937 in Marseille (Frankreich) geboren. Er verbrachte die ersten Jahre seiner Kindheit in Italien. Vom vierten Lebensjahr an erhielt er Musikunterricht (Gesang und Klavier) beim Vater. Als die Familie nach Frankreich übersiedelte, verstärkte sich sein Wunsch, das Diri gieren zu erlernen, und er wurde mehrere Jahre von Andre Cluytens und Fernand Lamy unterwiesen. Sein Dirigenten-Debüt gab er im Juli 1948, sein erstes Kon zert in Paris — beim Orchestre Colonne — leitete er im November des gleichen Jahres, also im Alter von elf Jahren. Die damit beginnende „Wunderkind"-Karriere, die ihn auf Konzerttourneen durch die ganze Welt führte, fand ihre Höhepunkte in zwei Musikfilmen, de ren Hauptdarsteller er war: „Vorspiel zum Ruhm" (= „Roberto"; 1949) und „Der Ruf des Schicksals" (= „Konzert in Venedig"; 1952). Beide Filme steiger ten in erheblichem Maße die Popularität Roberto Ben- zis, der sich trotz seines jugendlichen Alters als ein hochbegabter, echter Musiker ausgewiesen hatte. In den Jahren 1952 bis 1956 widmete er sich weiteren Musik- sowie Universitätsstudien. 1954 war er erst malig als Operndirigent tätig. 1959/60 leitete er die erste Inszenierung der Oper „Carmen" an der Pariser Grand Opera (das Werk war zuvor nur an der Opera Comique gegeben worden), eine Aufführung, mit der eine erfolgreiche Gastspieltournee nach Japan unter nommen wurde. Der junge Künstler wurde bald von den berühmtesten Orchestern und Musikfestivals ein geladen und errang als weltweit gefragter Gastdiri gent größte Erfolge. 1973 wurde er Chefdirigent des Orchestre Symphonique de Bordeaux-Aquitaine. Seit 1960 produzierte er zahlreiche Schallplattenaufnahmen. Bei der Dresdner Philharmonie ist er das fünfte Mal zu Gast. ZUR EINFÜHRUNG Modest Mussorgski, der geniale rus sische Komponist, hat uns nicht sehr viele Werke hinterlassen. Seine Opern und seine Lieder haben sich allerdings die ganze Welt erobert. Weniger bekannt sind seine Orche sterstücke, deren bedeutendstes, „Eine Nacht auf dem Kahlen Berge", heute erklingt. Es ist ein Jugendwerk, dessen erste Skizzen in den Jahren 1860—62 entstan den sind. In einem Brief an Balakirew, Haupt und Lehrer des „Mächtigen Häufleins" (ein Spottname, der dann zum Ehrennamen für die Gruppe der Komponisten Balakirew, Mus sorgski, Borodin, Cui und Rimski-Korsakow wurde), vom 26. September 1860 lesen wir: „Es fand sich außerdem noch eine höchst fesseln de Arbeit, die zum nächsten Sommer fertigge stellt werden soll. Nämlich: eine vollständige Handlung auf dem .Kahlen Berge', dem Dra ma ,Die Hexen' von Baron Mengden entnom men: Hexensabbat, vereinzelte Episoden von Zauberern, ein Triumphmarsch dieses ganzen Gesindels und als Finale — eine Verherrlichung des Sabbats, personifiziert durch den Satan, den Gebieter auf dem .Kahlenberge'. Der Text ist vortrefflich. An Material gibt es schon einiges, es könnte ein vortreffliches Stück wer den . . Er blieb bei dieser Meinung, auch als Bala kirew, der Lehrmeister, das Werk nur bedingt anerkennen wollte. Das ergibt sich aus einem späteren Brief (24. September 1862), in dem es heißt: „Nie werde ich aufhören, dieses Stück für anständig zu halten und namentlich für ein solches, in dem ich nach selbständigen kleineren Sachen zum ersten Male auch in einem größeren Werk mein eigenes Gesicht gezeigt habe . . . Ob Sie nun, lieber Freund, die Absicht haben, meine .Hexen' aufzuführen oder nicht — am allgemeinen Plan und der Ausarbeitung werde ich nichts mehr ändern — an diesen ,Hexen', die genau mit dem Inhalt des Vorwurfs übereinstimmen und ohne Ver stellung und Nachahmung geschaffen wurden . , . Meine Aufgabe habe ich, so gut ich konn te, bewältigt. Nur in den Schlaginstrumenten, mit denen ich Mißbrauch trieb, will ich vieles verändern." Mussorgski hat das Werk mehre ren Umarbeitungen unterzogen. Die endgül tige Gestalt erhielt es durch Rimski-Korsakow nach dem Tod des Komponisten. Es gliedert sich in vier Teile: 1. Versammlung der Hexen, ihr Gerede und Geklatsche; 2. Satans Fahrt; 3. Unflätige Ehrenbezeigungen vor dem Sa tan oder Der schwarze Dienst; 4. Hexensab bat — wildes Bacchanal. Beim Höhepunkt des Hexensabbats läutet von fern her das Glöck chen der Dorfkirche, das die Geister der Fin sternis zerstreut. — Tagesanbruch. Mit dem Kahlen Berg ist ein Ort in der Nähe von Kiew gemeint, an dem sich nach dem Volksglauben die Hexen versammeln. Mus sorgski nannte das Werk „ein original russi sches, das aus den heimatlichen Feldern her vorgebrochen und mit russischem Brot genährt worden ist". In der Tat: Mag manches an dieser Tondichtung an Franz Liszt erinn^t mag der Einfluß von dessen „Danse macaf^B zu spüren sein (Liszt war bei den Mitgliedern des „Mächtigen Häufleins“ hochgeschätzt) - die besondere Note erhält sie durch die ori ginal-russische Färbung. „Die Arbeit geht sehr langsam vorwärts und will mir nicht gelingen", heißt es in einem Brief Peter Tschaikowskis an seinen Bruder Anatol während der Komposition des Klavierkonzerts Nr. 1 b-Moll op. 2 3. „Grundsätzlich tue ich mir Gewalt an und zwinge meinen Kopf, allerlei Klavierpassagen auszutüfteln." Diese Zeilen zeugen von der unerbittlichen Selbstkritik, die der Meister im mer von neuem an sich übte, von seiner schöp ferischen Unzufriedenheit, die es ihm stets schwer machte, an seine künstlerische Leistung zu glauben. Aber auch der berühmte russische Pianist Nikolai Rubinstein, Direktor des Mos kauer Konservatoriums, dem Tschaikowski das Werk ursprünglich widmen wollte und von dem er technische Ratschläge für die Gestal tung des Soloparts erbeten hatte, lehnte es mit vernichtenden Worten als völlig unspielb^ und schlecht ab, was sich der Komponist s^B zu Herzen nahm. Und doch sollte gerade acre 1875 beendete b-Moll-Konzert eine der aller bekanntesten und beliebtesten Schöpfungen Tschaikowskis werden. Der Komponist widmete es nach der Ablehnung Rubinsteins dem deut schen Dirigenten und Pianisten Hans von Bü low, einem großen Verehrer seiner Musik. „Ich bin stolz auf die Ehre, die Sie mir mit der Widmung dieses herrlichen Kunstwerkes erwiesen haben, das hinreißend in jeder Hin sicht ist", schrieb Bülow, der das Konzert bei der Uraufführung am 25. Oktober 1875 in Bo ston spielte und es in Amerika und Europa zu größten Erfolgen führte. „Die Ideen sind so