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«r. M. Lripzig. <rjch«iiit außer S»ll»tag» täglich. Preis vierteljährlich r Thlr., jede eiuzelue Nummer r Ngr. Deutsche Mgeuieinc Zeitung. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Eoantag, 9. Oktober 1870. Inserate Pud au hualenstem lt Vogler iu Leidig oder au dereu adrig« Häuser zu senden. Zaserlioangekühr sllr die Spalteujeilc l!/,Ngr., »ater iii°ges»ad« »'/, N»r. Leipzig, 8. Oct. Auch bis heute verlautet noch nicht, ob die eigent liche Belagerung von Paris, die erst jetzt, nach dem Eintreffen und Aufpflauzen der Geschütze, mög lich geworden ist, ihren Anfang genommen hat. Die vor einigen Tagen erfolgte Vorverlegung des Großen Hauptquartiers deutet darauf hin, daß von Südwesten her ein Hauptangrifs beabsichtigt ist; derselbe dürfte sich zunächst auf die Forts VanvreS und Iffy, dann aber auch (vielleicht mit Forcirung des Seineüber gangs) auf die festen Werke von Grenelle und Point- du-Iour richten. Die vortrefflichen Stellungen, die unsere Truppen und Geschütze auf den Höhen von Clamart, Meudon und SivreS eingenommen haben, laden zu einer Bewegung nach dieser Richtung hin ein. Das schließt jedoch nicht aus, daß gleichzeitig auch von andern Seiten her Angriffe in Vorberei tung sind. Die Streifzüge nach dem Süden von Paris sind zwar nicht völlig ausgegeben (wie gestern gemeldete Ge fechte beweisen); doch hat sich ein dichteres und nach haltigeres Vorgehen gegen die Loire, eine Besetzung von Orleans, Blois, Tours rc. als vorläufig un- rwthig herausgestellt, da die neue französische Armee, die sich dort zu bilden und unser Südheer im Rücken zu behelligen drohte, sich als eine imaginäre erwies. In diesem Sinne sind auch die französischen Mel dungen von einem Zurückgehen unserer Truppen aus Pithiviers und andern Orten des Loiregebiets zu verstehen. Dagegen scheint das Erscheinen beträchtlicher deut scher Streitkräfte im Nordwesten Frankreichs, die Be setzung von Pacy-für-Eure und Vernon (im Eure- departement) anzudeuten, daß eS darauf abgesehen ist, Rouen und Havre zu nehmen und die Verbindung dieser großen Handels- und Industrieplätze mit Paris (längs der Seine) zu unsern Zwecken auszubeuten. Von ganz besonderer Wichtigkeit ist Havre durch seine ungemein günstige Lage am Meere. Da es befestigt ist, so begeben sich unsere Truppen mit zahlreicher Artillerie dorthin; es sragt sich aber, ob die Stadt auf einen derartigen ernstlichen Angriff vorbereitet ist, vor allem, ob sie hinreichende Streitkräfte zur Verfügung hat, ohne die die Festungswerke keinen Werth haben würden. Das Ziel einer andern Bewegung ist das nicht minder wichtige Lyon im Süden. Wenn wir eine officiöse Andeutung in der Karlsruher Zeitung (die wir heute in der Extra-Beilage brachten) recht ver stehe», so wäre die ehemalige strasburger Belagerungs armee, einschließlich der badischen Division (unter dem Namen eines 14. Armeecorps) bereits nach diesem Ziele unterwegs. Ob der Oberbefehl über diese Truppen von General Werder fortgeführt, oder, wie jüngst die Kölnische Zeitung meldete, von Bogel v. Falckenstein übernommen werden wird, bleibt ab zuwarten. Es wäre ja allerdings zu wünschen, daß auch diese Kraft noch Gelegenheit fände, unmittelbar thälig in den Kampf einzugreifen; und gerade die Mission, energisch iu da« innere Frankreich vorzubre chen, eS in raschen Eilmärschen zu durchziehen und überall die etwa auftauchendeu Keime neuer Heere»- bildungen zu ersticken, wäre eine Aufgabe, die wie geschaffen scheint für den Sieger von Kisstngen und Aschaffenburg. Annexion oder nicht Annexion. Ansichten eine» langjährigen deutschen Bewohner» von Frankreich. 1' Aus SüLdeutschlanV, 6. Oct. Alle demokrati schen Blätter sind gegen Annexion von Elsaß und Loth ringen; als letzte Gründe wird das Selbstbestimmungs recht der Völker und daß die beiden Provinzen schließ lich doch nur ein Venedig für uns sein könnten, angegeben. Sollte in der That die Freiheit durch Annexion Schaden erleiden, sollten dafür nur widerwillige Bürger erlangt werden, deren Niederhalten einen gewissen Aufwand unserer Kraft in Anspruch nähme, dann müßte eS wünschenSwerth erscheinen, die Annexion abzulehnen. Die Frage ist so brennend, daß es an der Zeit sein dürfte, die angegebenen Berichte genauer zu unter suchen und festzustellen, ob solche nicht nur Sophismen sind, angewandt und sorgfältig gepflegt, um Frankreich ja nicht zu schwächen, in der Hoffnung, mit Hülfe desselben eine Herrschaft der kleinen Partei der Repu blikaner und Socialisten zu erlangen. Die Möglich keit des Erfolgs einer solchen Herrschaft durch Gewalt liegt allerdings nur in Frankreich vor. In Deutsch land kann diese Partei nur durch Gründe Raum ge winnen und versuchen, durch Erlangung der Mehrheit zur Herrschaft zu kommen. DaS Selbstbestimmungsrecht der Völker, von dem wir übrigen» durch Napoleon fast nur den MiSbrauch kennen, ruht im ganzen Volke und nicht in seinen Theilen, d. h. auch Hr. Jacoby wird nicht die Pro vinz eines Volks für berechtigt halten, sich von seinem Lande loszusagen und einem andern anzuschließen. Die Provinz Brandenburg wird also ebenso wenig nach ihrem Belieben ihren Anschluß an Rußland wie das Departement de la Seine seinen Anschluß an Deutsch land erklären können. Dergleichen braucht man nur anzuführen, um sofort jedermann klar zu werden. Elsaß und Lothringen sind aber keine französischen, sondern deutsche Provinzen, und Deutschland hat die wesentlichsten Gründe dafür, sein Bestimmungsrecht über dieselben weder an Frankreich noch an genannte Provinzen zu überlasten. Zweifel über die gewaltsame und widerrechtliche LoSreißung der Provinzen von Deutschland herrschen wol nirgends; und so sind wir gewiß befugt, unser Bestimmungsrecht zu unsern Gun sten auSzuüben. Dieses Recht ist so zweifellos als die Berechtigung der Aeltern, ein gestohlenes Kind wieder zurückzufordern, selbst wenn das Kind in der Zeil Anhänglichkeit und Liebe zu seinen Räubern ge faßt. ES wird an den Aeltern sein, da» geraubte Kind zu überzeugen, daß volle Liebe und Anerkennung nur von ihrer Seite möglich ist. In dieser Richtung weise ich darauf hin, wa» jedem Deutschen, der eine Zeil lang Frankreich bewohnt hat, bekannt ist, daß die Bewohner von Elsaß und Lothringen von den Fran zosen doch nie als ebenbürtig behandelt, sondern immer bespöttelt und herabgesetzt werden, trotz ihrer außer ordentlichen Verdienste für Frankreich. Nur in Augen blicken der Gefahr werden sie ihrer gediegenen Eigen schaften halber von der öffentlichen Meinung mit Schmeicheleien überhäuft. Wir kommen zu der weitern Frage, ob zweckmäßig, ob gefahrbringend? Die Zurücknahme dieser reichen und außerordent lich gewerbfleißigen Provinzen (im ganzen circa 2 Mil lionen) führt unserer Wehrfähigkeit Männer zu, be gabt ganz mit den deutschen Eigenschaften, der zähen und ausdauernden Tapferkeit; unsere Industrie wird aber mannichfach durch dieselbe bereichert, und so kann die Nützlichkeit der Maßregel kaum bestritten werden. WaS nun die Gefahr betrifft, welche uns aus der andauernden Widerwilligkeit der Einwohner er wachsen könnte, so wird es hiermit genau stehen wie mit der lange erklärten Unbesiegbarkeit der französischen Nation. Diesem Gespenst darf man nur mit allen Waffen, welche heute unsere, der französischen weit überlegene Bildung uns in die Hand geben, fest auf den Leib gehen, und bald wird es sich als Trug bild erweisen. ES ist nicht zu verkennen, daß trotz ihrer verschiedenen Sprache und Natur sich die Elsässer und Lothringer heute nicht freiwillig von Frankreich trennen würden, obgleich einzelne, vielleicht viele, wohl einsehen, daß sich ihre Geschicke, mit Deutschland ver bunden, in der Zukunft ungleich günstiger gestalten werden. Gediegener, alle Klaffen durchdringender Un terricht, verbunden mit strenger, gerechter Durchfüh rung der Gesetze, wird uns die Sympathien dieser fleißigen Bevölkerung bald wieder bringen; ei« Vene dig können diese Provinzen aber ihrer Natur nach nie werden. Selbst wenn eS längere Zeit bedürfen sollte, sie mit dem Mutterlande ganz wieder zu verschmelzen, so wiegt ihre strategische Lage eine kleine Gefahr für diese Zeit auf; die aber noch ganz deutsche Natur der Bevölkerung bürgt uns, daß sie nicht allzu lange Zeit gebrauchen werde, um sich uns ganz anzuschließen. Um das Selbstbestimmungsrecht unserer eigenen Nation für alle Zeiten gegen unfehlbar sonst wieder kehrende Angriffe zu sichern, müssen wir heute durch aus auf der Wiedervereinigung dieser Provinzen mit unserm Lande bestehen, besonders da wir hierdurch nur begangenes Unrecht sühnen. Aber auch die Freiheit wird dabei nicht verlie ren, sondern gewinnen. DaS nächste Ziel aller Par teien der Liberalen sollte heute die Sicherstellung un- Aus dem belagerten Paris. -s-London, 4. Oct. Die Nachrichten aus Paris fließen heute etwas reichlicher; mehrere Blätter haben außer einer HavaS'schen Correspondenz auch Privat nachrichten bis zum 29. Sept, erhalten. Aber ein recht klares Bild von den pariser Zuständen ist aus allen diesen Mittheilungen doch nicht zu gewinnen. Nach der Darstellung eines Correspondenten des Daily Telegraph ist der Geist unter den Vertheidigern vor trefflich und die Zahl der Wasfentragenden beliefe sich auf 600000 Mann; alles sei bereit, die Preußen zu empfangen. Fleisch und Brot, erzählt dieser Corre- spondent weiter, werden zu den gewöhnlichen Prei sen verkauft, aber alle Luxusartikel sind theuer. Ein Pfund Butter kostet 6 FrS., ein Ei 5 Sous. Dagegen kann man ein Pferd für eine Bagatelle wie Vr FrS. kaufen. Ein Privatbrief, den die Times abdruckt, liefert eine Probe der Illusionen, welchen sich die Pariser noch überlasten. „Der Feind", heißt eö darin, „be ginnt müde zu werden. UeberdieS herrscht das größte Elend in seinem Lager; die Gefangenen, welche wir gemacht, sind abgezehrt und sterbend vor Hunger, während unsere Soldaten keinen Mangel leiden und eifrig verlangen, ins Gefecht zu kommen. Die Stadt ist in vollkommener Ordnung, so ruhig als gäbe cs keine Belagerung; wir alle gehen unserm Geschäfte nach, in jedem Augenblicke bereit, zum Gewehr zu greifen. Die Zeil ist nicht fern, wo wir des Feindes ledig sein werden." Dagegen schreibt man der Pall-Mall Gazette: „Das Volk ist sehr unzufrieden über daS Betragen der Fleischer, welche in vielen Fällen ihre Läden ge schloffen haben, weil sie die von der Regierung fest gesetzten Preise nicht annehmen wollen. Es wird bald gefährlich werden, in Ernährungsangelegenheiten mit dem Volke zu spaßen. Man erzählt von einem Kaufmann, der für einen geräucherten Hering 50 Cent, verlangte; der Käufer erhob großen Lärm über diese Erpressung, die Nationalgarde schritt ein, und obgleich der Kaufmann selbst diesem Corps angehörte, ward sein Laden geschloffen und der Hering als oorpu8 ckelieti an die Thür genagelt. Es war diesen Morgen fast unmöglich, sich Fleisch zu verschaffen." Aehnliches erzählt auch der Correspondcnt der Morning Post: „Heute (am 28. Sept.) begann die beschränkte Fleischvertheilung, 500 Ochsen und 10000 Schafe. Um 5 Uhr morgens machte man Queue bei Duval, dem großen Fleischer in der Rue Tronchet. Die Nationalgarde mußte die Ordnung aufrecht erhal ten, da die Männer sich in der Reihe prügelten und die Frauen in Ohnmacht fielen. Um 7 Uhr vormittags war nicht ein Biffen Fleisch mehr zu haben. Wir müssen den Himmel bitten, daß keine HungerSnoth entstehe, denn daS wäre gleichbedeutend mit Straßen- prügclei, welche, durch zahlreiche Spione nach St.- Cloud gemeldet, dem Kronprinzen von Preußen eine erwünschte Gelegenheit darböte." Im ganzen glaubt dieser Berichterstatter die Lage also resumiren zu können: „Großes Zutrauen in den Geist der Truppen; große Hoffnung, daß keine poli tischen Zwistigkeiten auSbrechen werden, während der Feind unter den Manern ist; einige Angst, daß die Republikaner unter den Soldaten nicht die nöthige DiSciplin beobachten werden; eine leichte, aber, wie ich besorge, anwachsende Furcht vor einer HungerS noth, und die gewisse Ueberzeugung, daß ein Bürger krieg dem Frieden, dem Siege oder der Niederlage, folgen werde. England ist verhaßt, und ein Fremder würde kaum sicher sein." Nach einem andern Bericht in der Morning Post zeigen sich seit manchem Tage keine Privatkutschen mehr in den pariser Straßen, und man kann lange auf den einst so belebten und fröhlichen Boulevards einhergehen, ohne einer „fashionablen" Dame zu be gegnen. „Die unnützen Gaffer sind längst verschwun den; tiefer Trübsinn hat sich aller Gemülher bemäch tigt; man lärmt nicht mehr wie sonst in den Straßen, und wo die Leute in Gruppen znfammenstehen und sich unterhalten, bemerkt man nicht die lebhafte Gesti kulation, welche sonst den Franzosen eigen ist. In den feinern Stadtvierteln sind die Läden geschlossen, diejenigen ausgenommen, in denen man Fleisch, Brot und Gemüse verkauft; auch die vornehmer» CafsS sind nicht mehr geöffnet; die gemeiner» Wcinläden dagegen arbeiten mit Erfolg." Leipziger Gewandhausconcert. 7c Leipzig, 7. Oct. Die sogenannte „Oxford-Sym phonie" I. Haydn's, welche die Doctorpromotion des Meisters verherrlichen half, eröffnete am Abend de ll. Oct. daS erste Gewandhausconcert dieser Saison, welches ohne jeglichen Hinweis auf die jetzigen Zeit- Verhältnisse nur nach rein künstlerischen Gesichtspunkten geordnet war und durch eine Anzahl Meisterwerke die