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DtiiW MgtMmc Zkitimg. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz I» Donnerstag, 21. Jnli 1870. Insrrate flud an haasknsttm L vogs^ in Leipzig oder an deren übrig» Häuser zu senden. Insertionrsebühr ' sür die Spaltenzeilc l!/,Ngr., uutrr Eingesandt > >/, Ngr. Ur. 167. Leipzig. erscheint außer Sonntag« täglich. Preis vierteljährlich. 2 Thlr., jede einzelne Nummer 2 Ngr. Leipzig, 20. Juli. Die Thronrede, mit welcher am gestrigen Tape der königliche Bundesoberfeldherr dem Reichstage den Krieg mit Frankreich verkündigt ihat, athmet denselben Ton ruhiger Entschlossenheit und nicht übermüthigen, aber sichern Vertrauens auf die Gerechtigkeit unserer Sache und auf die durch Einig keit starke Kraft des deutschen Volkes, der auch in den persönlichen Reden und Antworten des ruhmbedeckten greisen Königs so wohlthuend und erhebend anklingt und der mit der Haltung der Nation in allen ihren Schichten im vollsten Einklänge steht. Einen besonders ergreifenden und erhebenden Ein druck werden allerwärts jene Worte machen, in denen unsere nationale Neugeburt und die daraus entsprin gende sichere Kraft im Vergleich zu dem traurigen Ehemals betont wird, die Worte: Hat Deutschland derartige Vergewaltigungen seine« Rechts und seiner Ehre in frühem Jahrhunderten schweigend er tragen, so ertrug es sie nur, weil es in seiner Zerrissenheit nicht wußte, wie stark es war. Heute, wo das Band gei stiger und rechtlicher Einigung, welche» die Befreiungskriege zu knüpfen begannen, die deutschen Stämme je länger desto inniger verbindet; heute, wo Deutschlands Rüstung dem Feind keine Oeffnung mehr bietet, trägt Deutschland in sich selbst den Willen und die Kraft der Abwehr erneuter fran zösischer Gemaltthat. Die Thronrede schließt mit der Versicherung, daß „wir kein anderes Ziel verfolgen, als den Frieden Europas dauernd zu sichern". „Dauernd!" Daraus wird es ankommen. Die einzige „dauernde" Garantie aber für den Frieden Europas und für unsere eigene Sicherheit gegenüber einem Volke, welches mit un verbesserlichem Uebermnthe immer und immer von neuem beides bedroht hat, besteht in einer nachhaltigen Schwächung der Mittel dieses Volkes zur Befriedigung solcher Gelüste. Das keltische Volk muß daher, indem es in einen Krieg eintritt, der die Einsetzung seiner ganzen Kraft und jedenfalls die schwersten Opfer von ihm fordert, dies mit dem festen und unabänderlichen Entschlusse thun, nicht anders Frieden zu schließen, als wenn cS volle Entschädigung für diese Opfer und sichere Bürgschaften gegen die Wiederkehr einer ähnlichen Gefahr von dieser Seite erreicht hat. Keine weich liche Sentimentalität, kein fades Gerede von Friedens liebe des französischen Volkes, auch nicht die Ungeduld, nur sobald als möglich wieder zu geordneten Zu ständen zurückzukehren, darf uns von diesem Ent- schlusse abbringen. Lieber, wenn es sein muß, einen etwas längern und hartnäckigem Krieg zur Erzielung eines ordentlichen Friedens und einer nachhaltigen Niederwerfung des Feindes, als einen raschem Frieden, *) Wir haben den vollständigen Text derselben sogleich heute früh in einer Extra-Beilage mitgetheilt. Leider war sie uns nicht schon gestern (wie wir gehofft hatten) zugegangen, wahrscheinlich infolge der sehr erklärlichen vorwiegenden Jnbeschlagnahme der Telegraphen durch amtliche Depescheu. der aber nur wieder neue Kriegsgefahren in seinem Schose trüge. Gan; Europa muß es uns danken, wenn wir mit diesen ewigen und nie ruhenden Störenfrieden, diesen Franzosen, einmal recht gründlich aufräumen. Wir haben viel nachzuholen von 1815, wo man jenes Frankreich, welches jahrzehntelang Europa bedroht, gebrandschatzt, mit Füßen getreten hatte, fast ohne eine nennenSwerthe Einbuße in seinen alten Grenzen wiederherstellte. Für diese Nachsicht Europas erweist sich Frankreich jetzt dankbar, indem eS muthwillig einen Krieg heraufbeschwört, der den Gesammtwohlstand Europas mit schweren Verlusten, uns mit den härte sten Opfern an Gut und Blut bedroht. Sorgen wir, daß ihm, dies noch einmal zu thun, für alle Zukunft unmöglich gemacht werde! Der Reichstag wird heute auf die Thronrede antworten. Er wird gewiß ebenso den im Volke le benden Gefühlen der Entschlossenheit, Begeisterung und Opferwilligkcit in der Führung des großen nationalen Kriegs als der berechtigten Forderung und Erwar tung desselben, den Krieg nur durch einen in vollem Umfange den Interessen Deutschlands und Europas entsprechenden ehrenvollen und dauerverheißenden Frie den beendet zu sehen, vollen und kräftigen Ausdruck geben. Von thatsächlichen Ereignissen haben wir biS- jetzt so viel zu melden, daß die Feindseligkeiten nun wirklich begonnen zu haben scheinen. Wir ver weisen deshalb auf die betreffenden Mittheilungen. Deutschland. **GerUn, 19. Juli. Die Nachricht hiesiger Blät ter, daß der König schon in den nächsten Tagen nach dem Hauptquartier abgehcn werde, ist verfrüht. Auch der Kronprinz und Prinz Friedrich Karl haben sich noch nicht zur Armee begeben, sondern befinden sich hier. — Der König hat bekanntlich bereits viele Zustimmungsadressen zu seinem Verhalten gegen Frankreich aus fremden Ländern erhalten. Eine solche ist jetzt auch von den Deutschen in Chicago (Vereinigte Staaten von Nordamerika) eingegangen. —- Bereits beginnen sich auch im Kriegsministerium viele deutsche Offiziere zu melden, die bisher in frem den Armeen, z. B> in der österreichischen, gedient ha ben, um an dem Kriege Deutschlands gegen Frank reich theilzunehmen. — Französische Blätter haben die Nachricht verbreitet, daß Preußen die belgische und niederländische Ne gierung wegen ihrer Stellung zur schwebenden Frage habe sondiren lassen. Preußen hat nichts Derartiges gethan, wohl aber hat die bel gische Regierung die Anfrage hierher gerichtet, ob Preußen die Neutralität Belgiens respectiren werde. Hierauf ist von Preußen die Antwort „8öriousement" (gewissenhaft) ergangen.— Die Thronrede, mit welcher heute der Reichstag eröffnet worden ist, trägt den Charakter der Entschiedenheit und Ruhe. Es spricht sich darin die Würde aus, die auf der Ent schlossenheit und dem Bewußtsein beruht, daß ein gro ßes Volk der Leitung der deutschen Politik seine be geisterte und opferbereite Unterstützung leiht. Die Rede hat nicht den Schwung einer Proclamation an das Volk, wie solche bei Beginn eines bereits begon nenen Kriegs abgefaßt zu werden pflegen. Es findet dies indessen in dem Umstande seine Erklärung, daß die Rede zu einer Zeit entworfen worden ist, wo der Krieg officiell noch nicht erklärt war. Die Rede hat auf die Reichstagsmitglieder, die sich ungewöhnlich zahlreich eingefunden hatten, einen sehr günstigen und tiefen Eindruck gemacht, ein Eindruck, der auch in den diplomatischen Kreisen bemerklich geworden ist. Der König verlas die Rede mit einem sehr ernste» und bedächtigen Tone, aus dem man entnehmen konnte, wie tief er das Gewicht der Worte selbst und die Ereignisse, welche sie eingegeben haben, empfand. Besonders wurde die Betonung der Stelle bemerkt, wo der diplomatischen Ungebühr Frankreichs gedacht wird. Als ein besonderes Moment in der Rede ist noch hervor zuheben, daß sie selbst jetzt, wo der Ausbruch des Kriegs bevorsteht, der feindlichen Nation gegenüber eine sehr ruhige und höfliche Sprache führt, eine Sprache, die sehr vortheilhast von dem plumpen, an maßenden und herausfordernden Tone absticht, der in der letzten Zeit von allen amtlichen französischen Organen, die französischen Minister nicht ausgenom men, angeschlagen worden ist.— Die officielleKriegs erklärung Frankreichs ist gestern Nachmittag hier eingegangen und vom hiesigen französischen Botschafts- sccretär Lesourd heute im Auswärtigen Amte über geben worden. Ebenso sind jetzt auch die diplomati- scheu Beziehungen definitiv abgebrochen. Bis auf die beiderseitigen Kanzler hat die preußische Botschaft Pa ris und die französische Berlin verlassen. Den Schutz der Deutschen in Frankreich hat die nordamerikanische Gesandtschaft in Paris übernommen infolge specieller Weisung des Präsidenten Grant. — Bon der Grenze oder dem wahrscheinlichen Kriegsschauplätze sind thatsächliche Nachrichten bisjetzt nicht eingegangen, außer daß bei Forbach zwischen einem preußischen und einem französischen Detachement Kugeln gewech selt worden sind. Eine Grenzüberschreitung von der einen oder der andern Seite hat indessen dabei nicht stattgefunden. — Man hat übrigens immer mehr Grund, anzunehmen, daß die französische Mobil machung, obschon die Kriegsvorbereitungen in Frank reich schon längerer Zeit im Gange sind, nicht eher zum Abschlusse als die norddeutsche oder deutsche ge langt. WaS das Lager von Chälons betrifft, so sind die Angaben über die dort lagernden Truppen über trieben. ES haben sich bisjetzt 20000 Mann dort be funden und werden, da das AblösungScorps dazu ge kommen ist, jetzt etwa 40000 Mann dort versam melt sein. — Das Generalpostamt trägt nach allen Die Rückkehr des Königs von Preußen aus Ems nach Berlin. L) SerUn, 18. Juli. So wären wir denn mitten im Frieden in den Krieg getrieben! Und welchen Krieg! Einen Krieg, der alle Begeisterung der großen Jahre 1813, 1814 und 1815 wach ruft, als wären die Be freiungsschlachten gegen den alten Napoleon erst jüngst geschlagen! ES herrscht seit der Rückkehr unserS greisen Königs in jeder Schicht der Bevölkerung nur Ein Ge fühl der Erbitterung über die Anmaßung des fran zösischen Cäsaren, und mit diesem Gefühl geht die Zuversicht über den Sieg unserer gerechten natio nalen Sache Hand in Hand. Als sich am vorigen Freitag die Nachricht verbreitete, der König kehre abends 9 Uhr aus EmS zurück, füllten sich schnell die Linden mit Tausenden von Menschen. Um 7 Uhr abends vernahm man schon die Kunde von der Kriegs erklärung Frankreichs. War schon die Erklärung über die Vorgänge in EmS am 13. Juli, über die scho nungslose Art, mit welcher der französische Botschafter gegen alle Regeln der diplomatischen Etikette den Schirmherrn des Norddeutschen Bundes mitten in seiner Cur auf offener Promenade über die wichtigsten Staatsacte haranguirte, eine allgemeine, s» brach sie bei dieser, einer frechen Ueberrumpelung gleichenden Kriegserklärung in Hellen Flammen aus. Schnell schmückten sich die Straßen mit den preußischen und norddeutschen Bannern. Der Potsdamer Bahnhof war von liebenden Händen mit BlumenfestonS geziert, und die Rampe, von der herab der rückkehrende Landes vater zur Stadt fuhr, glich mit ihren blühenden Ole andern und Orangenbäumen einem Blumenteppich. Der Bahnhof war dicht von einer in fieberhafter Auf regung auf- und abwogenden Menge besetzt; alle Straßen, durch welche sich der König nach dem PalaiS begeben sollte, zeigten bis in die obersten Stockwerke Kopf an Kopf, darunter holde Frauengestalten, bereit, den König mit dem Festesgruß wehender Tücher zu empfangen. Endlich, kurz vor 9 Uhr abends, nachdem schon der Zug in den Bahnhof gelenkt hatte und das brau sende Hochrufen der auf dem Perron Versammelten sich der draußen harrenden Menge mitgetheilt hatte, erschien der König in Begleitung des Kronprinzen auf der Rampe. Unter tausendfachem Hurrahrufen, Hüte- schwenken und Tücherwehen bestieg er die offene zwei- spännige Chaise mit seinem Sohne und fuhr unter dem Vortritt reitender Schutzleute schnell zur Stadt. Aber je näher er den Linden kam, desto undurchdring licher wurde das Menschengewühl. Im langsamen Schritt, umbraust und umwogt von einer enthusiaS- mirten Menge, gelangte er zur Rampe seines Palais, wo er einige bewegte, tief aus dem Herzen kommende und fast vor Rührung erstickte Worte an das Volk richtete. Man konnte sie nicht verstehen, denn sie blieben unter dem Gesänge der Nationalhymne, des Preußenliedes, unverständlich. Der greife Monarch hatte, entgegen seinem sonst so leutseligen, freundlichen Wesen, eine fast feierliche, ernst-wehmüthige Stimmung. Die Nachricht von der plötzlichen Kriegserklärung em pfing er erst auf dem berliner Bahnhofe. Man hatte das Telegramm gleich um 7 Uhr, unmittelbar nach seinem Eingänge auf dem Auswärtigen Amte, nach Potsdam depeschirt, und an der Wildparkstation gab ein Mann mit der Depesche in der Hand das ver gebliche, weil unbeachtet gebliebene Signal zum Halten des Zuges. So überraschte die Nachricht den König unvorbereitet. Auch Graf Bismarck, General Moltke, die dem Könige bis Brandenburg entgegengefahren waren, schienen keine Ahnung von einem so schnellen Eingänge der Kriegserklärung zu haben. Bismarck bemühte sich, der peinlichen Situation eine scherzhafte Wendung zu geben, aber der König wehrte mit der Hand ab. Man sah es ihm an, wie tief ihn diese Nachricht erschütterte, wie er Zeit bedurfte, über den Gedanken, in seinem hohen Alter noch einmal vor die Schwelle eines völkerverheerenden Kriegs gestellt zu werden, Herr zu werden. Aber bald genug siegte in diesem Kampfe seines edeln, offenen Herzens gegen schnöde, räuberische Ueberrumpelung seine kernige, mann hafte Natur, und im PalaiS angekommen, erledigte er sofort die nöthigen StaatSgeschäfte. Die Ordres zur Mobilisirung der Armee, zur Einberufung des Bun desraths und des Reichstags waren schon vorbereitet und harrten nur des königlichen NamenzugeS. Das Wogen, Singen und Hurrahrufen vor dem Pa lais hörte schnell auf, als dem Volke begreiflich gemacht wurde, daß der König der Ruhe bedürfe. Ein hun dertfaches „Nach Hause!" gab das Signal zum Heim gehen, und bald war der Platz leer und still und nur die Heldengestalt des alten Fritz blickte vom hohen Noß herab, sich freuend, daß die Enkel nicht aus der alten preußischen Art geschlagen sind. Die Spener'sche Zeitung berichtete unterm 15. Juli über die erfolgte Rückkehr des Königs nach Berlin: Der König ist gestern Abend um 8 Uhr 50 Mi-