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Deutsche Allgemeine Zeitung «Wahrheit und Recht, Freiheit und Beseh!° Sonnabend, 30. Juli 1870. Inserate find an Haasenstein L Vogler in Leipzig -der an deren übrig, Hauser zu senden. Znseriionsgebiihr sür dieSpaltenzeilel s/,Ngr., unter Eingesandt Ngr. «r. 175. Leipzig. Erscheint außer Sonntags täglich. Preis vierteljährlich, ü Thlr^ jede einzelne Nummer 2 Ngr. Nachabonnements ans die Deutsche Allgemeine Zeitung für die Monate August und September z» dem Preise von 1 Thlr. 10 Ngr werden von der Expedition der Deutschen Allgemeine» Zeitung in Leipzig (Ouerstraße Nr. 29) angenommen. Die Postämter nehmen nur Nachabonuements auf das ganze Vierteljahr (Juli bis September) zum Preise von 2 Thlr. an. Leipzig, 29. Juli. Beginnen wir damit, festzustellen (soweit cs uns möglich), wa-von kriegerischen Nachrichten theils anscheinend Verbürgtes vorliegt, theils als unverbürgt und höchst wahrscheinlich auch unbegründet in das Gebiet der bloßen Erfindung zu verweisen sein dürfte. Zu letztern gehört allem Anscheine nach die von uns gestern — allerdings sogleich als unverbürgtes Gerücht — der berliner Volks-Zeitung entnommene Nachricht von einem angeblichen Einrücken zweier französischer Divisionen auf deutsches Gebiet. Nichts bisjetzt be stätigt dieses Gerücht, und da man nicht annehmen kann, daß eine so große Truppenmacht etwa blos re- cognoscirend herübergekommeu und dann wieder zu rückgegangen sei, vielmehr dann auch ein Zusammen stoß nicht würde auf sich haben warten lassen, so ist das Außenbleiben aller Telegramme über einen sol chen wol ein sicheres Zeichen, daß jene Nachricht selbst entweder ganz grundlos, oder doch eine starke Ueber- treibung war. Vielleicht sind eS die drei Compagnien, deren erfolgten, aber mit Verlust abgeschlagenen An griff wir heute unten melden, welche das Gerücht zu zwei Divisionen aufgebläht hat. Dagegen haben wir keinen Grund, die Richtigkeit der telegraphischen Nachricht zu bezweifeln, die wir um ihrer Wichtigkeit willen sofort heute früh in einer Extra-Beilage unsern Lesern mittheilten, der Nachricht, daß eine französische Flotte, aus sieben Panzerschiffen und zwei kleinen Dampfern bestehend, auf dem Wege nach der Ostsee (bei Skagen) gesehen worden und also wahrscheinlich nun schon in die Ostsee eingelau fen ist. Wir werden daher möglicherweise sehr bald von Unternehmungen derselben gegen unsere Küsten hören. Auf eine Landung ist es dabei wol nicht ab gesehen, denn sieben Schiffe, zumal Panzerschiffe, und zwei kleine Dampfer können nur eine gar nicht neu- nenSwerthe Zahl von Truppen an Bord haben. Die uns soeben über Amsterdam zugehende Nach richt, daß Kaiser Napoleon gestern nun wirklich zur Armee abgegangen sei, bedarf der Bestätigung. WaS daS Feld der diplomatischen Manöver betrifft, auf welchem jetzt eben ein Kampf mit dem allerschwersten- Geschütz eröffnet worden ist, nämlich dem der Enthüllungen von Thatsachen, die den Gegner in den Augen Europas moralisch vernichten sollen, so ist hier unsere norddeutsche Diplomatie der französi schen entschieden überlegen. Sie kämpft mit den Waffen unwiderlegbarer Wahrheit, während der Gegner nur solche der Lüge gebraucht. Darum treffen aber auch ihre Streiche so scharf und wahrhaft ver ¬ nichtend, während die deS Gegners von dem Panzer des guten Gewissens, welches unsere Diplomatie in dieser Sache hat, ohnmächtig abprallen, ja zum Theil auf ihn selbst zurückfalleo. Gegenüber der Veröffentlichung deö französischer- seit» der norddeutschen Bundesregierung angebotenen Vertrags, der gegen die Unabhängigkeit Belgiens und Luxemburgs gerichtet war, hat das Journal officiel nur eine sehr lahme Ausrede. Daß Verhandlungen der Art, wie die dort veröffentlichten, stattgefunden, wird zugestanden, allein der Kaiser, wird gesagt, habe die gemachten Vorschläge zurückgewiesen. Die von wem gemachten? Von seinem eigenen Botschafter! Dieser also wird förmlich deSavouirt, verleugnet. Aber wem in der Welt glaubt man weismachen zu können, daß Graf Benedetti im eigenen Namen und ohne Ermächtigung Vorschläge von so ungeheuerer Trag weite einem fremden Hofe gemacht habe? Er wäre ja dann werth, entweder ins Zucht- oder Irrenhaus gesperrt zu werden. Jedenfalls müßte noch jetzt Benedetti wegen schweren AmtsmiSbrauchs belangt werden, wenn es sich so verhielte. Wir werden sehen, ob dies geschieht! Unterdessen sind Schlag auf Schlag zwei weitere Enthüllungen von Berlin aus erfolgt. Schon gestern wurde officiös, durch die Norddeutsche Allgemeine Zei tung, angedeutet: eS existirten noch andere Verhand lungen, deren Vermittler Prinz Napoleon gewesen und deren Inhalt sich auf Italien und die Schweiz in ähnlicher Weise bezogen hätten, wie die Zumuthungen Beoedetti's auf Belgien und Luxemburg — d. h. im Sinne begehrter Annexionen an Frankreich! In unserer heutigen Extra-B.eilage aber finden unsere Leser ein direct amtliches Aktenstück, einen Circular erlaß BiSmarck'S an die norddeutschen Gesandten, worin sehr unumwunden auf einen Plan Napoleon'» hin gedeutet wird, mit Preußen gemeinsam (wenn dieses darauf einginge) einen bewaffneten Erobe- rungSzug gegen das unbewaffnete Europa zu unternehmen! ES erinnert das lebhaft an jene Vorschläge, die der erste Napoleon dem Kaiser Alexander von Ruß land zu einer Theilung Europas gemacht haben soll, ehe er Rußland mit Krieg überzog. Bei Gott, wenn sich jetzt nicht ganz Europa mit einem einzigen Schrei der Entrüstung gegen den französischen Cäsar als den gemeinsamen Feind und Räuber aller erhebt, so müßte nicht bloS jeder Funke von Moral, sondern auch der natürlichste Trieb der Selbsterhaltung in den Völkern und den Regierungen erstorben sein! Vom Kriegsschauplätze. Die Schlesische Zeitung schreibt unterm 25. Juli: Der zehnte Mobilmachungslag ist abgelaufen; die ge lammte Infanterie der Feldarmee des Norddeutschen Bundes steht in voller Kriegsstärke schlagfertig da, lein Mann fehlt in den Reihen, keine Patrone in den Taschen. Ihre 368 Bataillone, vor kaum einer Woche noch in schwa chen Eadres sormirt, repräsentiren heute eine Streiterzahl von 368000 Mann, sämmtlich in den Waffen geübt, in strenger Disciplin erzogen und erfüllt von dem Bewußtsein ihres hohen Berufs. Ilnsere zahlreiche Lavalerie der Linie ist in gleicher Weise kampfbereit; die Augmentirung der FriedenSregimeuter auf fünf Schwadronen ermöglicht eS, je vier derselben in jedem Augenblicke mit vollständig zu« gerittenen Pferden und ausgebildeten Reitern ins Feld zu stellen. Unter diesen Umständen dürfen wir hoffen, daß an der Westgrenze bereits ausreichende Kräfte vereinigt sein werden, um dem ersten Anprall widerstehen zn können. Die Rheinfestungen und die trefflichen CommunicationSmit« tel der Grenzländer lassen ein Bedenken wegen der Ver pflegung, der Munitionsbestände rc. nicht aufkommen, selbst wenn die Ausrüstung der Trains noch nicht beendet sein sollte. Die einzige Waffe, die ihres complicirten Materials l wegen ihre Mobilmachung noch nicht beendet haben dürfte, ist die Artillerie. Da indeß hier eine Zerreißung des Zu sammenhangs der taktischen Verbände weit geringcrn Be denken unterliegt als bei den übrigen Waffen, so ist anzu nehmen, daß man durch Zusammenstellung von Fliedens batterien oder in ähnlicher Weife das Bedürfuiß der auf den vorgeschobensten Posten stehenden Truppenabtheiluug gedeckt haben wird. Eine Ueberrumpelung ist also nicht mehr wahrscheinlich. Ehe die großen Operationen, eventuell die Offensive unsererseits beginnen kann, wird freilich noch mancher Tag vergehen, da der Eisenbahntransport nach dem Westen heute erst im großen Maßstabe begonnen hat. AVer auch der Feind ist für dieselben noch nicht ausreichend vor bereitet ; der Vorsprung, den er in den Rüstungen vor uns voraus hatte, betraf nur einen an sich geringen Theil der Armee; denselben zu verwerthen, hat er bisjktzt unterlassen, und von heute ob dürste er kaum noch in der Lage sein, Vortheil davon zu ziehen. — Ueber die Generalstabschefs der deutschen Armee theilt ein berliner Correspondent der Neuen Freien Presse Folgendes mit: Als solche werden neben v. Moltke noch die Generale v. Blumenthal und v. Sperling, dann der Oberst v. Stichle fungiren. Generalmajor v. Sperling ist bisjetzt in der preußischen Militärgeschichte noch wenig genannt worden. Er soll indessen eia tüchtiger und besonnener Offizier sein. Generallieutenant v. Blumenthal zeichnete sich schon im schleswig-holsteinischen Kriege als Generalstabsoffizier und im Kriege von 1866 als Generalstabschef der Armee de» Kronprinzen vortheilhast aus. An Jahren und Anciennetät jünger als beide, wird der Oberst v. Stichle als der be deutendste von allen dreien bezeichnet. Geboren im Juli 1823, trat er 1839 in das 21. Linieninfanterieregiment ein und wurde im Jahre 1840 Offizier. Er that sich bald durch seinen wissenschaftlichen Sinn und seine militärischen Eigen schaften Vortheilhaft hervor. Als er sein Regiment verließ, um ins Topographische Bureau zu Berlin einzutreten, ward ihm die seltene Auszeichnung zutheil, daß die Offiziere sei- Dem Könige Wilhelm beim Abgang nach dem Rhein. Mel.: Der alte Barbarossa, der Kaiser Friederich rc. Es tönt mit lauten Schlägen An des Kyffhäusers Thor, Es tritt im Waffenglanze Der große Kaiser vor. O Friedrich, deine Marken Erzittern von der Schlacht, Doch halten treue Mannen Am Rhein die Fahnenwacht! Da leuchten seine Augen, Da schlägt er an sein Schwert: Mein Volk, du bist erstanden, Bist deiner Väter werth! Heraus, du alte Klinge, Die einst der Welt gebot, Am Rhein da soll uns tagen Ein herrlich Morgenroth! So stürmt er in die Schlachten Tief in den Feind hinein, ES bebt in seinem Grunde Der hohe Thurm am Rhein. Heil Wilhelm Barbarossa, Dir König schlachtbereit: Du bringst, die lang verloren» DeS Reiches Herrlichkeit! Führ' uns in altem Glanze Zum Rhein und übern Rhein: Zu Strasburg in dem Münster Soll deine Krönung sein! öl. Ludwig Napoleon und „sein" Volk. Die Neue Preußische Zcimng hält folgendermaßen Gericht über Napoleon und die Franzosen: „Ueber den moralischen Werth des bonapartistischen Frankreichs herrscht in Deutschland wol so ziemlich Eine Stimme, die dahin geht, daß eine so verlogene, so verschuldete, so durchweg sittlich verrottete Gesell schaft seit lange nicht die Regierung eines Volks in den Händen gehabt. Dagegen begegnen wir bei vie len Deutschen noch einer Schätzung der Verstandes eigenschaften dieser Gesellschaft und ihre« Hauptes, die entschieden auf Täuschung beruht und welche von der gesammten Presse unablässig als ein Vorurtheil bekämpft werden sollte, in welchem Gefahr liegt. Diese Franzosen sollen gescheite Rechner in der Politik, ihr Kaiser soll ein weitschauender und tiefblickender Den ker sein, weil er in der That gewisse glänzende Er folge errungen hat. Aber der Glanz haftet nur an der Oberfläche. Das Innere ist von ebenso geringem Werth, als der Inhalt der prachtvollen Phrasen, welche Frankreich der Welt täglich bietet. Ludwig Na poleon ist, wenn wir seine Vergangenheit genau an sehen, mitnichten der feine, wohlunterrichtete, geschickt combinirende Kopf, für den er auf Grund der Er folge, die er gehabt, angesehen worden ist. Das kai serliche Frankreich ist in intellektueller Beziehung eine Scheingröße, die nur durch dreiste Anwendung von Lüge und durch rücksichtslose Gewaltthat eine Rolle gespielt, nur durch die 300000 Soldaten, die ihr zu Gebote standen, Ansehen in der Welt gewonnen hat. Die Franzosen dieser Aera erinnern uns als Nation an gewisse Gesellen in unsern nieder» Klassen, die durch Bornirtheit, welche das Selbstgefühl nicht stört, durch brutalen Gebrauch ihrer Muskelkraft und durch großmäuliges Auftreten nicht blos Ihresgleichen, son dern bisweilen auch bessern Leuten für einige Zeit imponiren. Sie sind bornirt, namentlich in Betreff des Auslandes, weil ihr Unterrichtssystem in majorem kranoi-ur gloriam ihnen nur ein dürftiges Bild von den Eigenschaften und Verhältnissen der Nachbarn gibt. Sie treten brutal auf, indem sie bei jeder Ge legenheit daS Recht beanspruchen, sich in die Ange legenheiten dieser Nachbarn zu mischen, Europa zu bevormunden, die ganze Welt nach ihren Absichten zu modeln. Sie sind in ihrer Presse, in ihren Volks versammlungen, ihren Kammern, ihren Depeschen, Manifesten und Proclamationcn großmäulig wie die Marktschreier. Wie der Kaiser nicht der tiefsinnige politische Grüb ler ist, so ist er auch nicht der vielwissende, vielge bildete Geist, für den er manchem bisher galt- Sein Wissen unterscheidet sich an Ausdehnung wie an Tiefe wenig von dem des Durchschnitts seiner Franzosen. Er hat deutsche Bildung genossen, aber dieselbe ist ihm längst wieder abhanden gekommen, und sein „Le ben Cäsar'S" war, soweit er direct dabei betheiligt, eine höchst mittelmäßige Leistung. Es sollte ihm einen Platz unter den Gelehrten verschaffen, und eö zeigte