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Deutsche Allgemeine Zeitung «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!- Deutschland. ** Scrlin, 18. Juli. In dem Expose der französi schen Regierung in den beiden Kammern wird zwar die Kriegserklärung gegen Preußen ausgesprochen, aber eine eigentliche Kriegserklärung in völkerrechtli chem Sinne ist bisjetzt weder von Frankreich noch von Preußen erfolgt, auch sind die diplomatischen Bezie hungen zwischen beiden Staaten nicht förmlich abge Anschein gibt, als ob man im vollen Einklänge mit der gcsammtcn Nation, an der Spitze dieser, gegen Deutschland in den Krieg gehe! Und gewiß hat man Grund zu solchen Befürch tungen. Wie sehr es in Frankreich an jener Ein- müthigkcit der Ueberzeugung von der Gerechtigkeit und Nothwendigkeit des Kriegs fehlt, die bei uns in Deutschland Gott sei Dank in so hohem Grade vor handen ist, das beweist die merkwürdige Rede deS greisen Staatsmanns ThierS (bekanntlich eines sehr enragirten Feindes der deutschen Einheit) im Gesetz gebenden Körper, und der Anklang, den sie bei der ganzen Linken gefunden (s. unser heutiges Feuilleton), das beweisen jene Rufe: „Es lebe der Friede!" mit welchen die Arbeiter von Paris durch die Stadt zogen. Wie ganz anders, wie beruhigend und erhebend ist doch in dieser Beziehung die Physiognomie Deutsch lands! Daß alle politischen Parteien, bis zur äußer sten Linken, jetzt in patriotischer Begeisterung für die Abwehr französischen Uebermuths geeint seien, das wußten wir schon aus den Kundgebungen der Organe des Fortschritts und der sogenannten demokratischen (Jacoby'schen) Partei. Ungewiß war noch die Stel lung der Arbeiter-und Socialistenpartei zur Kriegsfrage. Mit Freuden berichten wir heute (unter Sachsen), wie eine gestern hier abgehaltene sehr zahlreiche Versammlung aus diesen Kreisen zwar grundsätzlich gegen jeden Krieg, als eine Gefahr der Freiheit und der Humanität, sich ausgesprochen, aber zugleich anerkannt hat, daß im vorliegenden Falle Deutschland im Rechte sei und der brutalen Kriegs drohung Frankreichs nicht habe ausweichen können. Der heute zusammengetretene Reichstag wird dieser einmüthigen Stimmung der Nation einen osfi- ciellen und daher doppelt wirksamen Ausdruck ver leihen. Ferner hat in Hannover, also im Centrum der welfischen Agitation, eine Volksversammlung von 6000 Menschen, aus allen Parteien, sich mit Begeisterung für energische Führung des Kriegs und für die Po litik der Bundesregierung ausgesprochen. Die Procla- mationen, welche angeblich das französische Heer mit sich führt, um sie in Hannover und sonst auSzustreuen und damit die Bevölkerung zum Abfalle zu verleiten, dürften daher, selbst wenn die Franzosen bis Hannover kämen, was doch erst abzuwarten ist, nicht viel mehr als bloßen Maculaturwerth haben. krochen. Diese Thatsache ist zwar nicht zu ignoriren, doch sind nicht etwa Schlußfolgerungen auf die Er haltung des Friedens daraus zu ziehen. Die Haltung Frankreichs ist so klar, daß in dem angeführten Um stande nur ein neuer Beweis zu sehen ist, wie sehr Frankreich alle diplomatischen Formen beiseitesetzt und sich nur mit Hast in den Krieg stürzt. Die Nachricht einer von Frankreich an die süddeutschen Staaten ge richteten Sommation, sich über ihre Stellung zur schwebenden Frage zu erklären, dürfte sich bestätigen. Auch dürften die Mittheilungen österreichischer und süddeutscher Blätter nicht ganz ohne Grund sein, daß Frankreich im Sinne hat oder gehabt hat, einen Hauptcoup gegen Süddeutschland auszuführen, in der Hoffnung, daselbst eine entgegenkommende Stimmung anzutreffen und die Mobilmachung der süddeutschen Truppen zu lähmen. In dieser Hoffnung hat sich aber bekanntlich Frankreich getäuscht. Die süddeutschen Staaten, Negierungen und Volk, haben in der ern sten Lage ihre Pflichten gegen Deutschland keinen Augenblick verkannt und schließen sich mit Begeiste rung dem unvermeidlichen Kampfe für die nationale Sache an. Die kriegerischen Vorbereitungen sind übri gens bereits dort so weit vorgeschritten, daß man eine etwaigeUeberrumpelung von Frankreich nicht zn fürchten hat. Namentlich ist Baden in der Lage, wenigstens den augenblicklichen Anforderungen zu genügen. — Daß Gerüchte von Allianzen nach beiden Richtun gen hin verbreitet und auch geglaubt werden, ist na türlich; indessen sind dieselben nach beiden Seiten hin mit großer Vorsicht aufzunehmen, namentlich sind die Mittheilungen über Verhandlungen zwischen Preußen und Rußland, von Entschließungen Englands und Ita liens als voreilig anzusehen. — Von einigen Seiten ist für die nächsten Tage eine Pro clamation deS Kö nigs an das Volk angekündigt worden. Die Nachricht hat an und für sich nichts Unwahrscheinliches, indessen wird in unterrichten Kreisen angenommen, daß die Thronrede, mit welcher der König morgen vor den Reichstag und vor Deutschland tritt, dem Bedürfnisse wenigstens des Augenblicks genügen werde. V Serbin, 18. Juli. Hier war vorgestern, so gar durch Extrablätter, die Mär verbreitet, Ruß land habe an Frankreich den Krieg erklärt. Der Himmel verhüte, daß dieselbe, solange unser Krieg mit Napoleon dauert, jemals zur Wahrheit wird: die russische Allianz würde uns jedenfalls mehr kosten als eintragen, und es müßte wider aller Erwarten schief gehen, wenn wir nicht ohne sie fertig werden sollten. Nicht ganz ebenso aus der Luft gegriffen, wenn auch in dieser Form unrichtig, ist, wie ich höre, eine andere hier in Umlauf gesetzte Nachricht, wonach Rußland und Nordamerika gegen die Blokirung der deutschen Häfen protestirt hätten. In Bezug auf die Ostsee steht nämlich ein derartiger Schritt — zwar kein förmlicher Protest, aber doch eine sehr nach drückliche Vorstellung — von feiten Rußlands aller- Mittwoch, 20. Juli 1870. Inserate find an haasmjlem L Vogler in Leipzig oder an deren übrige Häuser zu senden. Zuserlionsgebühr sür dieEpaltenzeilcls/,Ngr., unter Eingesandt Ngr. Leipzig, 19. Juli. Thatsächlich Neues von Wichtigkeit liegt bis zu dieser Stunde nichts vor. Eine Mittheilung Rouher's im französischen Senat betreffend einen an geblichen Streifzug deutscher (preußischer) Trup pen auf französisches Gebiet „unweit Landau" behufs einer Recognoscirung bedarf der Bestätigung; ein anderes Gerücht wegen eines solchen Einbruchs bei Thionville (von der Saarlinie aus) ist, wie der Telegraph meldet, durch das Journal officiel amtlich widerlegt worden. Kaiser Napoleon soll zum Heere abgcreist sein. Das Gerücht von einer Kriegserklärung Ruß lands an Frankreich bestätigt sich nicht; wohl aber scheint cS nach einer heutigen Notiz von der Ankunft Gortschakow'S in Paris, als ob Rußland vermittelnd thätig sein wolle. Vielleicht aber gilt auch dieses per sönliche Bemühen deS russischen Reichskanzlers nur der von Rußland, wie man ziemlich zuversichtlich ver nimmt, ernstlich angestrebten Neutralisirung der Ostsee. Die angeblichen Bemühungen der Vereinigten Staaten sür Neutralisirung der Nordsee (von England hört man zur Zeit nichts Näheres) sollen sich, wie man uns heute aus Berlin schreibt, vorder- Hand darauf beschränken, die deutsch-amerikanische Post schiffahrt vor Störungen durch den Krieg sicherzustel len. Ein Versuch, den deutschen Rhedern die völker rechtliche Möglichkeit zu gewähren, durch Association mit amerikanischen Kapitalisten ihre Schiffe während des Kriegs unter den Schutz der neutralen amerika nischen Flagge zu stellen, ist zwar im Congreß zu Washington gemacht worden, hat aber, wie es nach einem gestrigen Telegramm scheint, weder im Senat noch im Repräsentantenhause die nöthige Unterstützung gefunden. Dahingegen tritt die Nachricht immer zuversicht licher auf, daß England wegen der vollständigen Neutralität Belgiens sehr ernsthafte Vorstellun gen in Paris erhoben habe. Auch scheint die fran zösische Regierung bestimmte Zusagen in dieser Hinsicht gemacht zu haben. Nicht so wegen Luxemburgs, wo man daher einen Einfall der Franzosen befürchtet. Die Schweiz hat für die Wahrung ihrer Neu tralität die nöthigen Vorkehrungen getroffen. Eine äußerst bezeichnende Thatsache meldet die Indöpendance beige aus Paris. Die Regierung, schreibt man ihr, werde vor der Entlassung der Kam mern (die man für morgen erwartet) von denselben sich noch außerordentliche Vollmachten geben lassen zur Beschränkung der Presse, der persönlichen Freiheit rc., um nöthigenfallS feindliche Bewe gungen im Innern mit Energie unlerdrücken zu können. Also man fürchtet feindliche Bewegungen im In nern — in demselben Moment, wo man sich den Vr. 166. Leipzig. Erscheint anher Sonntag« täglich. Preis vierteljährlich, r Thlr., jede einzelne Nummer 2 Ngr. Die Sitzung des Gesetzgebenden Körpers zu Paris am 15. Juli. Die Sitzung des Gesetzgebenden Körpers, worin der Krieg beschlossen und die Summe von 50 Mill. FrS. bewilligt wurde, ist so charakteristisch theilS für die Situation im allgemeinen, theilS für die rein verblen dete Stimmung der Majorität dieser Körperschaft im besonder«, und so interessant namentlich durch die Rede von ThierS, daß, obgleich wir über beides schon mehr- fach Bericht erstattet haben, wir dennoch die ausführ lichere Mittheilung, die wir jetzt in der Kölnischen Zeitung über die Thiers'sche Rede und die daran sich anschließende Debatte finden, unsern Lesern nicht vor- enthalten zu dürfen glauben. Hier ist sie wörtlich: ThierS: Ich bitte ums Wort zur Geschäftsordnung. ES ist hier nicht von der Interpellation (Dnvernois) die Rede, sondern von der Mittheilung, die uns die Regierung soeben gemacht hat. Der Herr Siegelbewahrer hat denen geantwortet, welche, wie ich, um den Frieden trauern. (Lärm.) Ordnungsmäßig steht nur die Mittheilung der Regierung zur Discussion an, und ich will sofort dem Herrn Siegel bewahrer eine Antwort geben, die nach der Discussion des Herrn Dnvernois nicht mehr denselben Sinn noch dieselbe Wichtigkeit haben würde. (Langanhaltender Lärm.) Nachdem die Kammer beschlossen, zuvor Dnvernois zu hören, der in kurzer Rede erklärt, seine Interpellation zu- rllckziehen zu wollen, verlangt Thiers wiederum das Wort, das ihm trotz des Geschreies nach Schluß der Präsident ertheilt. ThierS: Seien Sie überzeugt, meine Herren, daß, wenn ich über diese Frage nicht eine tiefe Ueberzeugung hätte, ich in diesem Punkte dem Gefühle nicht widerstehen würde, das Sie zu erkennen geben. Der Herr Siegel bewahrer sucht seine Schritte zu rechtfertigen, und ich be dauere, da ich kein MiSwollen gegen das Cabinet hege, daß ich mich gezwungen fühle, zn bekennen, daß wir den Krieg infolge eines Eabinetsfehlers haben. Der Herr Siegel bewahrer hat die eine Frage mit der andern verwechselt; er hat mit Recht bemerkt, daß wir Preußens Unternehmen in Betreff Spaniens nicht dulden dürfen. Preußen hat einen Ungeheuern Fehler gemacht, vor diesem Zwischenfalle aber wollte cS den Frieden, weil es die Gefahren kannte, die ihm dergleichen Unternehmungen drohten. Was uns an betrifft, so haben wir stets gesagt, daß der Tag kommen würde, wo es in Schwierigkeiten geratheu würde, nämlich an dem Tage, wo es die Hand nach Deutschland aus- fireckte. An diesem Tage wäre Preußen von ganz Europa verdammt worden und Oesterreich hätte auf unserer Seite gestanden. Daher sagte ich: Warten Sie zu, denn man muß zu einem Fehler nicht einen zweiten fügen, nämlich die Ungeduld, den ersten zu beseitigen. (Lärm.) Ja, wir hätten auf diese Weise die Gelegenheit erhalten, Sadowa auszuwetzen, und wir hätten dabei die ganze Welt für uns gehabt. In unsern Tagen darf man aus Laune keine Kriege herbeiführen, denn die ganze Welt ist als Zeuge dabei zugegen. Preußen hat einen großen Fehler be gangen; es büßt denselben zwar bereits durch eine Schlappe und durch den Krieg, aber leider wird es nicht allein zu büßen haben. Wenn es sich bei uns darum handelte, daö Auf geben der Eandidatur des Prinzen von Hobenzollern durch- zusetzeu, so stände ich auf Ihrer Seite; doch was mich im tiefsten Innern schmerzt, ist der Umstand, daß dieses Ziel der Hauptsache nach erreicht war. (Lärm. Nein, Nein!) Sie hatten die Hauptsache erlangt und ein bedeutender mo ralischer Eindruck war erreicht. Aber, sagt man, die Can- didatur war nicht auf alle Zeiten beseitigt. Ich lege Be rufung an den gesunden Menschenverstand ein und an das, was auf der Hand liegt; Sie werden in einigen Tagen das Urtheil der ganzen Welt über Ihre Politik vor Augen haben, Sie werden es in allen Blättern lesen. (Unter brechung.) Ich rede nicht von den französischen Zeitungen, auch nicht einmal von den preußischen, welche interessirte Parteien bei der Frage sind; aber ich rede von Europa: Europa hat sich Ihnen angeschlossen; Sie werden sehen, was es heute von Ihnen denkt, Sie werden dies durch die englische Presse erfahren, welche in dieser Angelegenheit eine so große Mäßigung gezeigt hat. Duque de la Fauconnerie: Es ist dies die Sprache, die man in Berlin führt! Thiers: Ich wiederhole es, ich berufe mich auf das, was auf der Hand liegt, und ich sage: wenn man an nimmt, daß Preußen nach einer solchen Campagne, wie es soeben gemacht hat, heute die Eandidatur des Prinzen von Hohenzolleru zwar aufgebe, aber im Sinne habe, mit der selben später wieder hervorzutreten, so heißt das, ihm eine Tollheit zuschreiben. (Unterbrechung.) Ja, es müßte toll sein! Der Minister des Aeußern: Warum hat es sich denn geweigert, es zu erklären? Arago: Weil Sie es provocirt haben. Thiers: Es hat sich geweigert, wollen Sie wissen, warum? (Neue Unterbrechung.) Eine Stimme: Das ist die Sprache, wie man sie in Preußen führt. Der Präsident: Wenn ein Redner auf der Tribüne ist, so muß man ihn seine Ansicht aussprechen lassen; ich bitte um Ruhe. Duque de la Fauconnerie: Die Kammer hat auch das Recht, ihre Ansicht kundzugeben. Thiers: Sie machen mich nicht müde, ich werde meine Meinung vollständig aussprechen. Eine Stimme: Man will Sie in Ihrem eigenen In teresse am Reden hindern. ThierS: Sie können sich weigern, mich in einer so ernsten Debatte zn vernehmen, ich spreche in vollster Auf richtigkeit meine Ueberzeugung aus, welche, wie ich glaube, die vieler Mitglieder der Kammer ist. Bendre: Wir wollen keinen Frieden um jeden Preis und Frankreich will einen solchen so wenig als wir. ThierS: Ich war niemals . . . (Lange Unterbrechung.) Sie wollen also nicht, daß ich dem Minister antworten soll? So wissen Sie denn, daß die Gewalt, die Sie mir anthun, auf Sie zurückfallen wird! (Neue Unruhe.) Ich