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ZUR EINFÜHRUNG Louis Spohr ist, wie E. T. A. Hoffmann, eine der Hauptgestalten der romantischen Mu sikentwicklung, die durch Carl Maria von We ber auf ihren Höhepunkt geführt wurde. Beide Künstler fanden sich in ihrer Vorliebe für die Wiener Klassiker und für die zeitgenössische französische Oper. Weber führte in Prag und später in Dresden, Spohr während seiner 35jährigen Hofkapellmeistertätigkeit in Kassel Opern unter anderem von Mehul und Cheru bim auf. Sie griffen beide vor allem in ihren Opern auf Elemente der französischen Revo lutionsmusik zurück. Das Leitmotiv beispiels weise hat von dort aus in ihre Musik Eingang gefunden, sich ausgeprägt und auf Wagner weitergewirkt. Namentlich Weber wurde sei nerseits von französischen Komponisten künst lerische Verehrung zuteil: von Berlioz, Saint- Saens, Debussy, mittelbar über Wagner von Cesar Franck, der sich der deutschen Musik eng verbunden fühlte. Aber auch gegenseitig zollten sich Weber und Spohr hohe Anerkennung. Nicht nur aus dem Gefühl der Verpflichtung heraus — Weber hat te ihm 1822 die Kasseler Kapellmeisterstelle vermittelt — führte Spohr die Weberschen Opern auf, so wie sich Weber für Spohrs Opernschaffen einsetzte. In Prag brachte We ber Spohrs „Faust“ zur Uraufführung, in Dres den setzte er dessen „Jessonda" auf den Spiel plan. In der „Faust"-Oper von 1813 hatte Spohr zum erstenmal die Leitmotivtechnik konsequent durchgeführt. In der „Jessonda" (1822) und dem „Berggeist" (1824) strebte er hin zum re- zitativ-ariosen Sprechgesang und zur Auflö sung der Nummernoper. Hierin wurde er Vor bild für Weber und Wagner. Andererseits nahm Spohr die romantischen Ausdrucksele mente, die er bei Weber fand, in seine Werke auf. Und: 1817, drei Jahre vor Weber, beschäftigte sich Spohr mit einem „Freischütz"-Stoff. (S. G.) Carl Maria von Weber hat zwei Sin fonien in C-Dur geschrieben. Beide Werke komponierte er in der Zeit vom 14. Dezember 1806 bis 28. Januar 1807 in dem „von tiefer Waldnacht wie ein Nest voll Sang und Klang im Busch eingehegten" Carlsruhe (in Schle sien). Hierhin hatte ihn Herzog Eugen Fried rich Heinrich von Württemberg-Öls eingela den, wo er vom Herbst 1806 bis zum Frühjahr 1807 als Gast des musikliebenden und -aus führenden Fürsten das kleine, jedoch sehr lei stungsfähige Hof-Orchester leitete und jene beiden Sinfonien schrieb. Die Monate, die We ber hier verbrachte, gehörten „zu den hellsten Lichtpartien in dem so schattenreichen Bilde seines Lebens". Beide Sinfonien verzichten auf die Klarinetten, die im Carlsruher Orchester nicht besetzt waren, bevorzugt erscheinen, si cher wiederum örtlich bedingt, Oboe und Horn. Die Vorbilder des 20jährigen Komponisten, die Wiener Klassiker, insbesondere Haydn, sind deutlich spürbar. Mit den beiden Mittel sätzen seiner Sinfonie Nr. 1 C-Dur o p. 19 erklärte sich Weber dem Mi^B schriftsteller Friedrich Rochlitz gegenüber spa ter noch „zufrieden", über die Ecksätze äußer te er: „Das erste Allegro ist ein toller Fanta siesatz, im Ouvertürenstil allenfalls, in abge rissenen Sätzen, und das Letzte könnte noch ausgeführter sein". Der erste Satz (Allegro con fuoco) wird von einem stolzen, lapidaren Dreiklangsgedanken eröffnet. Das hiernach zunächst geheimnisvoll und zögernd in den tiefen Streichern erschei nende Hauptthema, die eigentliche sinfonische Triebkraft des Ganzen, ist mit seinem schwär merischen Ausdruck bereits recht typisch für Weber. Da dieser Gedanke in verwandelter Gestalt auch in den anderen Sätzen auftritt, hat er geradezu leitmotivische Bedeutung. Nach einer ausgeprägten Steigerung wird einem weiteren Thema Raum gegeben, das, in h-Moll eingeführt, mit seiner leicht exoti schen Note schon an den „Oberon" gemahnt. Die weitere Entwicklung des Satzes geht frei lich etwas unbekümmert vor sich, doch ist es mit dem „tollen Ouvertürenstil" gar nicht so arg. Das Ganze besitzt einen frischen Zug un verbrauchter Kraft und überrascht durch viele gelungene rhythmische, harmonische und lodische Details. Das Thema des Andante in c-Moll wurde aus dem „Leitmotiv" des ersten Satzes entwickelt. Es bringt idyllische, geheimnisvolle Naturstim mungen, wie sie uns später im „Freischütz" wiederbegegnen. Die Oboe stimmt einen As- Dur-Gesang an, der in „romantische" Gefilde führt. Hörner und Fagotte weisen auf den Schauplatz der „Handlung“ hin, auf den Wald, der hier erstmalig im Weberschen Schaffen Ausdruck findet. Hermann Kretzsch- mar sah in diesem Satz mit seinen „Wolfs schluchtbässen und Agathenkantilenen" das „poetische Hauptstück der Sinfonie" und dar über hinaus „einen der schönsten langsamen Sätze, welche zur Zeit Beethovens und ganz unabhängig von diesem Meister geschrieben worden sind". Das kecke, spritzige und heitere Scherzo birgt in seinem Thema den Keim des späteren „Pre- ciosa“-Marsches in sich. Vielleicht hatte der Komponist auch das Scherzo der ersten Sin fonie Beethovens im Sinn. Witzig, mit dem Reiz des Exotischen in der Thematik spielend, stürmt das Finale dahin. Die lustig beginnenden Hörner finden Antwort in den tiefen Streichern. Die Violinen nehmen dann den Ruf der Hörner auf. uouis Spohr wurde 1784 als Sohn eines Arztes in Braunschweig geboren. Die Eltern er kannten früh seine große musikalische Bega bung und sorgten für eine gründliche Ausbil dung. Bereits mit fünfzehn Jahren wurde Spohr als Geiger Mitglied der Kapelle des Herzogs von Braunschweig. Der ersten Konzertreise mit seinem Lehrer Franz Eck nach Petersburg schloß sich die erste selbständige 1804 an, der viele weitere folgen sollten. Meist begleitete ihn die Harfenvirtuosin Dorette Scheidler, die er 1806 geheiratet hatte. Von 1805 bis 1812 war Spohr Konzertmeister der Gothaer Hofkapelle. Hier begegnete er erstmals Carl Maria von Weber. Als nächstes übernahm Spohr für kurze Zeit in Wien das Amt des Direktors am Theater an der Wien. Nachdem er von Ende 1817 bis 1819 Opernkapellmeister in Frankfurt am Main ge wesen war, erhielt er schließlich 1822 auf Emp fehlung Webers das Amt des Hofkapellmeisters in Kassel, das ihm eine gesicherte Existenz ga rantierte. Um 1848 gestaltete sich Spohrs Ver hältnis zu seinem Fürsten immer unerquickli cher. Gegen verschiedentliche Schikanen setzte sich der freiheitlich denkende Künstler ener- flkch zur Wehr. Darum mußte er 1857 gegen ^Fnen Willen in Pension gehen. Er starb 1859 in Kassel. Spohr galt neben Paganini als größter Violin virtuose seiner Zeit; vor allem bewunderten die Zeitgenossen sein beseeltes Adagiospiel. Auf die Entwicklung des Violinspiels hat er be trächtlichen Einfluß gehabt, vor allem auch über eine Reihe bedeutender Schüler (u. a. Ferdi nand David, Moritz Hauptmann). Der Dirigent Spohr, der — wie Weber — zu denen gehörte, die als erste einen Dirigentenstab benutzten, machte über die Grenzen Deutschlands hinaus von sich reden. Durch sein Mitwirken als Diri gent bei Musikfesten in Frankenhausen, Qued linburg, Düsseldorf, Aachen und Braunschweig erwarb er sich beträchtliche Verdienste um die Entwicklung des progressiven bürgerlichen Mu siklebens seinerzeit. Der Komponist Spohr, der zahlreiche Werke für alle Genres der Musik geschaffen hat, dar unter 10 Sinfonien, ist heute weitgehend ver gessen. Zu Lebzeiten wurde er nicht nur als berühmter Violinkomponist geschätzt, sondern er galt auch als bedeutender Meister der Oper. Von Spohrs umfangreichem kompositorischen Schaffen interessieren heute im wesentlichen nur noch einige wenige seiner insgesamt 15 Violinkonzerte. In ihnen wird deutlich, daß Spohr in der Bereicherung der Harmonik und des differenzierten Orchestereinsatzes neben Weber zur Entwicklung der musikalischen Spra che des 19. Jahrhunderts Bedeutendes beige tragen hat. In seiner Selbstbiographie berichtet Spohr, daß das Violinkonzert Nr. 8 a-Moll o p . 4 7 in der Schweiz entstanden sei. Unter dem 16. Mai 1816 notiert er: „Die tägliche Be wegung in der herrlichen, reinen, balsamischen Luft stärkt unseren Körper, erheitert unseren Geist und macht uns froh und glücklich. In sol cher Stimmung arbeitet es sich auch leicht und schnell, und schon liegen mehrere Arbeiten vollendet vor mir, nämlich ein Violinconcert in Form einer Gesangs-Scene und ein Duett für zwei Violinen." Spohr hatte das Werk für eine Konzertreise nach Italien geschrieben und am 27. Septem ber 1816 in der Mailänder Scala unter Ales sandro Rollo selbst uraufgeführt. Der Unter titel „In Form einer Gesangs-Scene" weist auf die Besonderheit der Anlage: Spohr wollte hier die Gesangsmelodik der Opernarie und die Charakteristika des vokalen Rezitativs in den instrumentalen Bereich übernehmen, d. h. dramatischen Gesang und Konzertform verbin den. Das Vorbild der italienischen Oper und auch der Verzicht auf sinfonisch ausgearbeite ten Orchesterpart sollten dem Werk (und dem Geiger Spohr) den Erfolg bei den italienischen Konzertbesuchern sichern helfen. Für uns ist dieses Werk charakteristisch für die beseelte, gefällige Melodik Spohrs überhaupt, seine Vor liebe für weiche Harmonisierung und seinen elegant-brillanten Violinstil. Das Konzert besteht aus drei Abschnitten, die ineinander übergehen. Am Beginn steht ein energisches Allegro molto, dessen Schwung in der einleitenden Melodie der 1. Violinen und Flöte gleichsam zusammengefaßt erscheint. Zwischen die teilweise variierten Wiederholun gen dieses Themas, das immer nur dem Or-