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Sonnabend. LnpNg. D>- ZcUusg er schein! mit Au«nahmc de« Sonntag» täglich nachmittag« für den folgenden Tag Preis für da« Vierteljahr I>/, Thlr.j jede einzelne Nummer 2 Ngr. — Nr. 212. — 11 Dritschc Allgmrim Mmg. - < »Wahrheit uud Recht, Freiheit und Gesetz I» September 1858. Lu beziehen durch alle Post ämter de« In- und Autlande«. sowie durch die Ärpedltion in Leipzig lOuerstraße Nr. «). 2usert,on«gebühr ür den Raum einer Zeile 2 Ngr. Algier und die französische Colonisation. — Leipzig, 10. Sept. Der Bericht des neuen Minister- für die fran zösische Colonie Algier, deS Prinzen Napoleon, an den Kaiser gibt zu mancherlei Betrachtungen Anlaß. ES erweckt eine günstige Meinung für daS neue Regime der Colonien, welches mit dem Prinzen Napoleon beginnen soll, daß derselbe, die in officiellen französischen Berichten nur zu häufige Schönfärberei und Kitzelung der Nationaleitelkeit gänzlich beiseite setzend, ungeschminkt und unverhohlen die nackte Wahrheit über den gegenwärtigen Zustand Algiers sagt, wie wenig erfreulich dieselbe auch lautet. Aber es erhellt daraus auch, welches schwere Werk her neue Colonialminister über sich nimmt. Wird ihm gelingen, was keinem seiner Vorgänger gelungen? Wird ihm Muße genug gegönnt sein, um die Erfolge zu erzielen, wo we der die achtzehnjährige FriedenSregierung Ludwig Philipp's noch die in mancher Beziehung an Hülfsmitteln noch reichere und erfinderischere Gewalt deS neuen Kaiserthums bisher solche zu erzielen vermochten? Denn wie der Bericht deS Prinzen die Zustände der Colonie schildert, so ist zwar wol für die äußere Sicherung und militärische Behauptung derselben manches, für die innere Entwickelung dagegen in diesen mehr als 28 Jahren kaum NennenSwertheS geschehen! - - Eine europäische Bevölkerung von noch, nicht ganz 200000 Seelen, und davon nur etwa die Hälfte Franzosen, diese Bevölkerung mindestens zur Hälfte in den Städten, hauptsächlich in Algier selbst, zusammenge drängt, nur zur Hälfte etwa über das flache Land verbreitet, um dieses anzubauen; Mangel an Kapital, Mangel an UntcrnehmüügSgeist, Entmu- thigung der Kolonisten sowol als der Gesellschaften, welche dir Colonisation betrieben, und der Kapitalisten, welche ihr Geld dafür vorstrcckten — das ist das Ergcbniß der Arbeit beinahe eines vollen Menschenalters, der Ver geudung ungeheuerer Summen vom Staatsbudget und eines bedeutenden Aufwandes militärischer Kräfte! Durch letztem hat man so viel erreicht, daß wenigstens augenblicklich die Sicherheit der Provinz nach außen und auch im Innern hergestcllt scheint; aber man vermochte damit allein nicht zu bewirken, daß die Colonisation stetige Fortschritte machte, denn dies könnte nur das Werk des individuellen UnterüehmüngS- und Associations geistes der Nation sein. Das aber gerade ist es, waS der französischen Nation fehlt, waS ihr durch eine jahrhundertelange falsche Staätslenkung abhanden gekommen ist und was nicht so leicht wiederhergestellt werden dürfte, selbst wenn man sich entschlösse, von jenen falschen Regierungsma- rimeN abzugehen. Schon vor einem Virrtcljahrhundcrt, zu einer Zeit, wo das Werk der Civilisatiyn Algiers noch in seinen Anfängen war, hat einer der geistvollsten und kenntnißreichsten staätswirthschastlichcn Schriftsieller Frankreichs die Schwierigkeiten diese- Werks und das Precäre seines Ge lingenS vorauSgesagt. Michel Chevalier, in feinen „l.0ttres sur l'^mörigus <lu Aorä", spricht seinen Landsleuten überhaupt das Talent ab, in ähnli cher Weise wie die angloamerikanische Raffe, lediglich durch individuelle Anstrengungen, Colonien zu gründen, zu behaupten und gedeihlich auszu bilden. „Der Franzose", sagt er (II, 126), „muß immer, wie in Reihe und Glied, den Elnbogen seines Nachbarn fühlen. Die Amerikaner kann man vereinzelt auf ein neuanzubauendeS Gebiit werfen, sie werden dort eine Anzahl kleiner Mittelpunkte schaffen, die, jeder von seiner Seite aus sich erweiternd, zuletzt ein Ganzes bilden; handelt es sich dagegen um Franzosen, so muß man mit ihnen auf den neuen Boden sogleich eine ganze fertige gesellschaftliche Ordnung verpflanzen." So habe man es vor Zeiten in Canada gemacht und darum sei dort die Colonisation leidlich ge lungen; so werde man es in Algier machen müssen; auch da müsse die Regierung daS Meiste thun und werde nur wenig auf den Beistand der Kapitalisten rechnen dürfen. Das System der Einzeleinwanderungen sei für Algier nicht anwendbar; denn was durch diese dorthin geführt werden möchte, sei zumeist nur der Auswurf der großen Städte Frankreichs, wäh rend doch gerade dort, zum Gelingen der Colonisation, die Blüte der acker bau- und gewerbtreibenden Jugend des Landes erforderlich wäre. Aber die ordentlichen Landleute und die geschickten Handwerker in Frankreich seien taub für den Ruf der Colonisationsgesellschaften, sie hätten guten Grund, den Versprechungen der Speculantcn zu miSträuen; sie würden nur dann sich auf den afrikanischen Boden übersiedeln, wenn eine aufgeklärte Regie rung sie direct dazu aufforderte und dahin verpflanzte. Diese Voraussagungen flnd vollständig eingetroffen. Algerien ist noch jetzt, nach 25 Jahren, was es zur Zeit der Abfassung jener Briefe war, nicht eine Cdlonie, die sich selbst erhält, beschützt und entwickelt, sondern ein erobertes Land, das fortwährend von dem Mutterlande aus beschützt und dessen Entwickelung nicht blos, sondern dessen Fortbestand mit allen möglichen Mitteln künstlich erhalten werden muß, nicht eine Quelle wach senden Rcichthums, sondern eine Last für das Staatsbudget— statt aller andern Vortheile nur den einen, sehr zweideutigen, bietend: ein großes Uebungslager für die Armee und ein Abzugskanal für allerhand gefährliche oder doch unbrauchbare Elemente des Mutterlandes zu sein! Man will jetzt den Versuch machen, durch eine größere Freiheit, die man der colonisirten Bevölkerung gewährt, daS raschere Emporblühen Al geriens zu fördern; man will den Grundsatz der „Selbstregicrung", den man im Mutterlande beharrlich zurückstößt und wahrscheinlich auch ferner zurückstoßen wird, in der Colonie zu Ehren bringen. Wird dieser Weg zum Ziele führen? ES ist Grund vorhanden, daran zu zweifeln. Schon auf den ersten Blick hat es etwas Befremdendes, eine Selbständigkeit, die man der civilisirten, seit lange seßhaften, gleichartigen Bevölkerung des Mut terlandes vorenthält, einer Bevölkerung zu crtheilen, welche aus den aller- verschiedenartigsten und zum Theil zweideutigsten Elementen gemischt ist, welche großentheils nur nach Abenteurerart Wohnsitze eingenommen hat, die sie vielleicht deS nächsten wieder verläßt, um ihr Glück aufs neue an derwärts zu versuchen, welche überhaupt gar keine Bürgschaften eines fried lichen, gesitteten, thätigen Zusammenlebens gibt und geben kann. Selb ständigkeit und freie Bewegung durch eigene Kraft, als Frucht einer langen Gewöhnung und einer ererbten Sitte daheim, ist eine sehr werthvolle, ja schlechterdings nothwendige Mitgabe für Leute, welche Colonien gründen oder darin sich ansiedeln wollen, aber, wie uns scheint, ein höchst zweideu tiges Geschenk für solche, welche ohne eine derartige Gewöhnung in die Colonie kamen und nun Plötzlich in einen Zustand der Freiheit versetzt wer den sollen, den sie schwerlich im rechten Sinne zu benutzen und zu ver- wcrthen im Stande sein dürsten. Die Gründung von Colonien ist für ein Volt der beste Prüfstein sei ner innern Entwickelung, seiner Charakterbildung und des dazu mitwirken- den Einflusses seiner staatlichen Einrichtungen: das MiSllngen aller Colo nisationsversuche ist das sicherste Anzeichen, daß in dem Mutterlandc selbst „etwas faul" sei. Deutschland. Der Weser-Zeitung wird aus Hannover vom 8. Sept, geschrieben: „Ich kann Ihnen auS zuverlässiger Quelle die Mittheilung machen, daß nach einer hier eingetroffenen vertraulichen Nachricht Preußen auf der Kon ferenz die Aufhebung der Transitzölle beantragen und seinen Vorschlag auf Ermäßigung der Transitzölle zurückziehen wird. Mit Ausnahme Nas saus und eines der beiden Hessen (welches meinem Gewährsmanne unbe kannt), sind dann alle nord- und mitteldeutschen Staaten für die Aufhe bung der Transitzölle." Preußen. ? Serbin, 9. Sept. Der Prinz von Preußen hatte sich vorgestern zu dem König und der Königin nach Sanssouci begeben, um sich zu verabschieden. Es ist eine unbegründete Angabe, daß bei dieser Gelegenheit die Regierungsfrage auf Sanssouci zur Sprache gekommen sei. Der Prinz verweilte daselbst etwa 20 Minuten. Seine Unterredung mit dem König und der Königin soll sich aus politische Angelegenheiten gar nicht bezogen haben, zumal der König, wie man hört, sich gegenwärtig sehr angegriffen fühlt. Es ist die Angabe verbreitet, daß der König demnächst eine Reise nach Italien antrcten werde. Vorläufig möchte eS zweifelhaft sein, ob der Nath der Aerzte sich für die Ausführung dieser Reise nach Italien aussprechen werde. Gegründet ist eS allerdings, daß, als der König sich noch in Tegernsee befand, von einer Reise nach Italien ernstlich die Rede war. Der König selbst soll sich jedoch wenig geneigt dazu gefühlt ha ben. Zur Erledigung der Regierungsfrage haben die einleitenden Bera- thuugen stattgefunden. Die Entscheidung an höchster Stelle ist indessen noch nicht erfolgt. Daß die Stellung deS Prinzen von Preußen nach Ablauf deS bisherigen Mandats eine andere werden wird, gilt in hiesigen hervorragen den Kreisen ziemlich als eine ausgemachte Sache. Eine bedeutsame Erklä rung in dieser Beziehung soll bereits vorliegen. Gestern gegen Mittag war Or. Böger von Sanssouci hier eingetroffcn und hatte eine längere Unter redung mit dem Prinzen von Preußen. In gleicher Weise hatte der Wirkl. Geheimrath v. Meyerinck gestern eine Audienz beim Prinzen. — Die in Bezug auf Geheimrath Professor Schönlein verbreiteten Gerüchte, als ob derselbe gar nicht mehr nach Berlin zurückkehren werde, werden uns als unbegründet bezeichnet. DaS von Schönlein hier bewohnte Haus hat der selbe auf den 1. April 1859 gekündigt. Nicht minder unrichtig sind die Angaben in,Bezug auf den Leibarzt vr. Grimm. Derselbe hat zur Stär kung seiner angegriffenen Gesundheit wirklich der Erholung bedurft. Sei ner Abreise von Tegernsee hat kein anderer Anlaß zu Grunde gelegen. — Prinz Alfred von England wird heute nachmittags auf Schloß Babels berg erwartet. Die Begleitung desselben besteht auS sechs Personen. Der selbe dürfte bei seiner Schwester, dcr Frau Prinzessin Friedrich Wilhelm, in jedem Falle bis zur Rückkehr ihres Gemahls auS Schlesien verweilen. — Das Preußische Wochenblatt weist bei Besprechung einer Wahlschrift aus der