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nach einem rhythmisch scharf betonten, später vom Solisten erweiterten Seiten thema kadenzartig das Soloinstrument ein, in gleichsam improvisatorischen Umspielungen zum Hauptthema findend. Nachdem auch das eigentliche zweite, sehr kantable Thema von der Solovioline vorgetragen wurde, werden im span nungsvollen Durchführungsteil die verschiedenen Themen und Motive in man nigfachsten Ausdrucksschattierungen verarbeitet. Die an die Reprise anschlie ßende Kadenz des Solisten hat Brahms nicht selbst ausgeschrieben. In den höchsten Lagen der Violine ertönt danach noch einmal friedvoll die Anfangs melodie, dann beschließt eine kurze, kraftvolle Coda den Satz. Ein wunderschönes, echt „Brahmssches" Adagio bildet den Mittelsatz des Wer kes. Der poesievolle dreiteilige Satz wird von den Bläsern eingeleitet, wobei die Oboen, von den übrigen Holzbläsern und zwei Hörnern begleitet, das lieb liche F-Dur-Hauptthema zum Vortrag bringen, das dann von der Solovioline aufgegriffen und variierend weitergesponnen wird. Nach einem leidenschaft lichen, weitgehend vom Solisten getragenen fis-Mol I - Mittel teil wird das An fangsthema wieder aufgenommen; arabeskenhaft umspielen die Figuren des Soloinstruments den Oboengesang. Das abschließende feurige Allegro giocoso, in Rondoform aufgebaut, beginnt sogleich mit dem durch den Solisten erklingenden, ein wenig ungarisch gefärb ten tänzerischen Hauptthema, das durchweg in Doppelgriffen erscheint. Von den Seitenthemen des Finalsatzes wird besonders ein energisch-markantes, aufsteigendes Oktaventhema der Violine bedeutsam, daneben eine zarte, ly rische G-Dur-Episode In einer Stretta gipfelnd, die das Rondothema noch ein mal in rhythmisch veränderter Form bringt, beendet der glanzvoll virtuose, spritzige Finalsatz mit einer Fülle origineller Einfälle das Konzert. Paul Hindemiths Sinfonie „Mathis der Maler" verdankt ihr Entstehen den Beziehungen zwischen Musik und bildenden Künsten, nämlich den Gemälden des berühmten elsässischen Isenheimer Altars jenes vermutlich mit einem Meister Mathis Nithart identischen Matthias Grünewald, der um 1470 in der Maingegend geboren wurde und 1528 als Maler und Wasserkunst meister des Rats der Stadt Halle an der Saale gestorben ist. In den drei Sät zen seines Orchesterwerkes, die drei Bildtafeln des jetzt im Museum zu Colmar befindlichen Altarwerkes entsprechen, verbindet Hindemith eine außerordent lich starke optische Bildkraft, die indessen nichts mit naturalistischer Nachah mung zu schaffen hat, mit einer gleich starken musikalischen Erlebnis- und Ausdrucksfähigkeit. Die Sinfoniesätze sind Ausschnitte — zum Teil in instrumentaler Umformung — aus Hindemiths Oper „Mathis der Maler". In diesem 1932 bis 1934 entstan denen Werk entlud sich die Feindschaft des Komponisten gegen das Nazire gime, das ihn kurz danach in die Emigration trieb. Seine Parallelen waren sehr deutlich. So entsprach eine Szene mit der Verbrennung lutherischer Schriften durch die Päpstlichen haargenau jenem schändlichen Vorgang der Vernich tung fortschrittlicher Bücher vor der Berliner Staatsoper am 10. Mai 1933. Die braunen Machthaber verstanden den in künstlerischer Form gebrachten Protest des Komponisten gegen ihre Kulturbarbarei sehr wohl und untersagten die Aufführung der Oper. Sie kam erst 1938 in Zürich heraus. In Matthias Grüne wald versinnbildlichte Hindemith, der sein eigener Textdichter war, das Ver hältnis zwischen dem schaffenden Künstler, dem Volk und der Kunstanordnun gen erteilenden Obrigkeit. Jahrelang hatte Hindemith — sehr im Gegensatz zu dem sich bewußt von der Menge absondernden Arnold Schönberg — nach neuen Bindungen zwischen Künstler und Hörer gesucht und sie in zahlreichen Jugendmusiken und Lehrstücken zu erreichen geglaubt. Deshalb ließen die Vorgänge Anfang der dreißiger Jahre in ihm eine große Enttäuschung über die den braunen Rattenfängern widerspruchslos ins Netz gehenden Menschen aufkeimen. Sein Mathis findet trotz seiner Sympathien mit dem deutschen Bauernkrieg nicht zum wahren Volk zurück, sondern er resigniert in der Ein samkeit. Diese Haltung eines Künstlers entspricht Hindemiths eigener Entwick lung. Er hatte in den zwanziger Jahren bedauerlicherweise nicht den Anschluß an die wirklich fortschrittlichen Kräfte gefunden und verkündigte deshalb nach den Wirrsalen des zweiten Weltkrieges in einer weiteren Künstleroper, die den Astronomen Johannes Kepler in den Mittelpunkt stellt und „Harmonie der Welt" heißt, noch deutlicher als in „Mathis der Maler" die Ausweglosigkeit des bürgerlichen Künstlers. Der 1. Satz der Sinfonie „Mathis der Maler" heißt „Engelkonzert" und vertritt in der Oper die Ouvertüre. Ihn durchzieht als Cantus firmus das mittelalter liche Lied „Es sungen drei Engel ein süßen Gesang". Der zu Beginn seiner kompositorischen Selbständigkeit äußerst ungebärdige und klanglich oft expe rimentierende Hindemith hatte um 1930 die belebenden Kräfte des deutschen Volksliedes neu erkannt, und gerade in der Oper „Mathis der Maler" spielen die alten kämpferischen Weisen der Reformationszeit eine große Rolle. Drei scharf geschnittene Themen werden in diesem Satz geistvoll kontrapunktiert und am Schluß mit dem Engellied verbunden, so daß ein greifbar deutliches Abbild musizierender Gruppen entsteht, eine klingende Parallele zu der in un geheurer Leuchtkraft strahlenden Darstellung der inbrünstig auf Arm- und Beinviolen spielenden Engel des Matthias Grünewald. Der 2. Satz („Grablegung") ist eine der erschütterndsten Trauermusiken, die wir kennen. Wer in den zwanziger Jahren geneigt war, Hindemith nur als Vernei ner des Bestehenden und als musikalischen Ironiker anzusehen, mußte er staunt und beglückt sein über die menschliche Wandlung, die sich im reifenden Künstler vollzogen hatte. Stoßweise verhaltene Rhythmen und mächtige melo dische Ergüsse zeigen gerade in diesem Satz, daß Hindemith, der ursprüng liche Verächter jeglichen romantischen Gefühls, die echten Werte innerlicher emotionaler Spannungen wiedererkannt und ihnen klingende Gestalt gegeben hat. Dem 3. Satz der Sinfonie („Versuchung des heiligen Antonius") liegt das viel leicht eindrucksstärkste Bild des Isenheimer Altars zugrunde. Mit expressioni stischer Grausigkeit stellt Meister Mathis schaurige, aus Tier- und Menschen-