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Sonnabend. — Nr. 43. - 20. Februar 1858. Lcipjig Die Zeitung «e scheint mit Slurnahme de« Sonntag« täglich Nachmittag« für den folgenden Tag. Preis für da« Vierteljahr l'/j Thlr.j jede einjtlne Nummer 2 SIgr. Dklltschc Mmm Kcitllilg. «Wahrheit u»d Recht, Freiheit und GesetzI» ."in dejiehen durch alle Post amler de« In - und Auslande«, sowie durch die lLrpedition iu Lkipjig ivurrstraße Nr. «) Lnsertionrgcbühr für den Raum einer steile 2 Ngr. Diesseit und jenseit des Kanals. — Leipzig, 19. Febr. Einen stärker» Kontrast kann es wol kaum ge ben als zwischen dem, was wir in diesen letzten Tagen in Frankreich und waS wir in England haben vorgehen sehen. Dort die gedrückteste, ängst lichste Stimmung in den untern wie in den obern Regionen — hier das froheste Aufjauchzen von der Hütte bis zum Palast, die ungestörte und un erzwungene Einstimmigkeit aller Klassen der Bevölkerung in einem lauten Jubelrufe. Dort die Schärfe der Strafgesetze noch weiter und bis ins Un glaubliche verschärft, die Strenge der polizeilichen Ueberwachung aufs äu ßerste ausgedehnt: 30,600 Individuen mit einem male der Disrretion der Staatspolizei ausgcantwortet und gleichsam vogelfrei erklärt, die Stimme der Presse über allgemeine Angelegenheiten beinahe vollends ganz Erstickt, der Belagerungszustand und die Herrschaft der Militärdiktatur thatsächlich so gut wie permanent erklärt und über ganz Frankreich verbreitet — und bet alledem immer noch Besorgnisse vor neuen Angriffen auf die bestehende Ordnung und ihren kaiserlichen Wächter, ängstliches Nmschauen nach jedem Flüchtling, der sich in irgendeinem Winkel Europas verbergen möchte, un geduldiges Drängen bei den Nachbarregierungen auf Verschärfung der dor tigen Gesetze und Verdoppelung der Ueberwachungsmaßregeln, um Frank reich vor einem Einbruch von Meuchelmördern und Verschwörern zu schützen, als ob es mit allen jenen Ungeheuern Vorkehrungen dennoch nicht sich selbst zu schützen vermöchte — auf der andern Seite des Kanals dagegen die un beschränkteste politische und persönliche Freiheit, eine in ihren Ausdrücken oft heftige und anscheinend aufreizende Presse, ein völlig freies Vereins- und Versammlungsrecht, ein Asylrecht, welches die verwegensten Verschwörer und Revolutionäre aller Länder dort auf einem Punkte zusammenführt — eine für politische Spionage nicht organisirte und wenig brauchbare Polizei, die noch dazu keinen Schritt gegen die persönliche Freiheit und das sichere Recht des HauseS thun darf, ohne sogleich dem schützenden Arme der Ge richte zu begegnen — und inmitten dieser, nach den Begriffen des französi schen Polizeisystems jeder Bürgschaft entbehrenden und eine wahre Auflösung aller Bande der Ordnung verrathenden Zustände verkehrt die Herrscherin Englands nicht nur selbst und mit ihrer Familie, sondern auch mit einem ganzen Kreise fürstlicher Gäste mitten unter dem Volke — sorglos heiter, von den herzlichsten und zwangldsesten Freudenbezeigungen nicht blos offi- cieller und organisirter Körperschaften, sondern auch der unorganischen Masse der Bevölkerung auf jedem Schritt umgeben. Wir wollen diesen Contrast nicht weiter ausmalen: er ist so augen fällig, daß er auch dem blödesten Beobachtungsvermögen sich unabweisbar aufdrängt. Auch sind wir nicht gemeint, daraus Schlußfolgerungen zu Gunsten oder Ungunsten der einen und der andern der beiden Regierungen zu ziehen, welche allerdings zunächst für diese so verschieden gearteten Zu stände dieSseit und jenseit des Kanals verantwortlich erscheinen. So grelle Gegensätze deuten auf eine tieferliegende Grundverschicdenheit der beidersei tigen StaatS-'und Gesellschaftsordnungen hin, eine Verschiedenheit, deren Wirkungen zu beseitigen eine einzelne Regierung, auch wenn sie es sonst wollte, kaum so leicht im Stande sein möchte. Eine jahrhundertelange Ucbung und Gewöhnung hat die englische Nation für eine ausgedehnte bürgerliche und politische Freiheit geschickt gemacht und ihr dieselbe so sehr in Fleisch und Blut übergehen lassen, daß es ebenso unmöglich sein dürfte, sie davon durch Ueberredung oder Verführung zu entwöhnen, als ihr solche mit Gewalt zu nehmen. Und eine ebenso lange Gewöhnung an einen mehr oder minder straffen Despotismus, an einen Mangel sicherer Bürgschaften für persönliche und bürgerliche Freiheit, an ein System bureaukratischer Centralisation und polizeilicher Allgewalt hat in der französischen Nation jenen Geist der Selbständigkeit und der Selbstregierung bis auf einen sol chen Grad erstickt, daß eine Wiederbelebung desselben kaum denkbar, jeden falls mit den größten Schwierigkeiten verbunden erscheint. So scharf cin- geschnitten waren von jeher diese diametral auseinander gehenden Bildungs wege der beiden Nationen, daß selbst eine so gewaltige politische und ge sellschaftliche Umwälzung, wie die Französische Revolution von 1789, die Entwickelung der despotischen und bureaukratischen Neigungen im französi schen Volle nicht aufhalten konnte, vielmehr dieselbe nur noch mehr bescsti- gen half, daß umgekehrt in England ein fast durch drei Generationen fortgesetzter grundsätzlicher und hartnäckiger Absolutismus wie der der Stuarts selbst dazu dienen mußte, die Grundlegung und den Ausbau einer dauerhaften Schutzwehr der Freiheit zu beschleunigen. Ob, wann und durch welche Mittel es jemals gelingen wird, Frank reich aus der furchtbaren Alternative zwischen Despotismus und Anarchie, zwischen polizeilicher Verkümmerung der öffentlichen Freiheiten und deren gefährlichen Ercessen, worin cs sich seit 1789 ruhelos hin- und hcrwirft, zu retten und auf den allein sichern Weg, auf welchem das englische Staats- wcscn seit lange her sich bewegt, hinüberzuleiten, diese Frage mögen wir billig den französischen Staatsmännern und Publicisten überlasten. Uns liegt eine andere Erwägung näher. Das deutsche Staatswesen, ursprüng lich gleich dem englischen auf den Grundlagen altgermanischcr Freiheit er wachsen, ist im Laufe der Zeiten und namentlich im vorigen Jahrhundert, wo fast alle deutsche Fürsten, selbst die besten, wie Friedrich der Große, die Regierung Ludwigs XlV. nachahmten, so vielfach von den bureaukratischen, polizeilichen, centralisirenden und mcchanisirenden Elementen des französischen RcgierungSsystems überwuchert worden, daß wir in der größten Gefahr schwebten, je mehr und mehr einer ähnlichen Verbildung des öffentlichen Geistes, wie unsere Nachbarn jenseit des Rhein, und zuletzt wol gar ähn Uchen Zuständen der Auflösung einerseits, der Erstarrung in Despotismus und Unfreiheit andererseits, wie sie, zu verfallen. Glücklicherweise haben neuerdings sowol die Regierungen, wenigstens die einsichtigern, als die po litischen Parteien in Deutschland das Gefahrvolle des Wegs, auf dem wir uns befanden, je länger je mehr begreifen gelernt, und der neue Imperia lismus in Frankreich hat das unfreiwillige Verdienst, die letztem durch die von ihm für nöthig befundene Erstickung alles öffentlichen Lebens und Zer störung aller Sicherheit der Person, die erstem aber durch die ewige Ge fahr des Umsturzes, welche eben dieses System auf sich selbst und auf die ganze mit ihm verwachsene europäische Ordnung herbeizuziehen vcrurtheilt scheint, von jeder, auch der letzten Anwandlung einer Vorliebe für franzö sisches Staatswesen auf das allergründlichste geheilt zu haben. Diese heilsame Frucht vom Baume der Erkenntnis! wird, so hoffen wir, auch das neueste schreckensvolle Ereigniß in Frankreich sammt seinen Nachwirkungen den Staatsmännern und den politischen Parteien in Deutsch land eintragen. Und gleichzeitig haben sie volle Gelegenheit, an den erhe benden Scenen der Volksfreude und der allgemeinen Theilnahme an den, königlichen Familienfeste zu Windsor die wohlthätigen Folgen eines freien, lediglich auf die Herrschaft des Gesetzes und auf das verfassungsmäßige Zu sammenwirken von Regierung und Volk gegründeten Gemeinwesens zu stu- diren. Diese gedoppelte Erfahrung wird sicherlich nicht verloren gehen Deutschland. Preußen. ? Berlin, 18. Febr. Die Anrede, welche der Prinz von Preußen an die Vertreter der Landesuniversitäten beim Empfange dersel ben am 11. Febr. im Prinzlichen Palais richtete (Nr. 40), hat viele irrige Deu tungen erfahren. Der Prinz wie auch die Frau Prinzessin von Preußen haben dem Standpunkte, welchen die Wissenschaften im preußischen Staate einnehmcn, die vollste Anerkennung und Würdigung angedethen lassen. Wenn auf eine einseitige Richtung, die sich hier und da geltend zu machen strebe, hingewiesen und der Hoffnung Ausdruck verliehen ward, daß dies wol nur vorübergehend sein werde, so glauben wir diejenige Deutung als die berechtigtste bezeichnen zu dürfen, welche annimmt, daß der Prinz die Hoffnung habe aussprechen wollen, daß die Wissenschaft da, wo sie einsei tig zu werden Gefahr laufe, aus sich selbst heraus eine andere Richtung einschlagen und in die Bahn wieder einlenken werde, auf welcher der Ge- sammtgeist deS preußischen Volks in des Wortes edelster Bedeutung ihr be gegnet. Viele andere Deutungen stehen mit der ganzen vom Prinzen bisher bewährten hochherzigen .und rücksichtsvollen Haltung in solchem Widerspruche, daß sie einer Widerlegung gar nicht bedürfen. — Der König hat, wie man hört, die Prinzessin Friedrich Wilhelm vor mehrern Tagen durch ei nen kostbaren Schmuck von Brillanten überrascht, nachdem das hohe Kö nigspaar bekanntlich derselben vor der Vermählung ein sehr werthvolles, strahlendes Diadem von Diamanten verehrt hatte. Das neue Geschenk dürfte als ein Zeichen der persönlichen Anhänglichkeit deS Königs, seitdem derselbe die Prinzessin Friedrich Wilhelm kennen gelernt hat, zu erachten sein. Zu einem namhaften Manne, welchen der König nach Charlottenburg beschieden und wegen der Einzugsfestlichkeiten überaus theilnehmcnd befragt hatte, soll derselbe nach erhaltener genauer Auskunft über alles mit innigem Gefühl die Worte gesprochen haben: „Ach daß ich nicht dabei sein kann!" — Der Prinz und die Frau Prinzessin Friedrich Wilhelm hatten dem Magistrat die Absicht zu erkennen gegeben, den Vorständen der Innungen, der berittenen Corps, der Maschinenbauarbeitcr und der übrigen Genossen schaften, welche sich an den Einholungsfeierlichkeitcn betheiligt haben, Per sönlich ihren Dank auszusprcchen. Der Magistrat hatte deshalb die ersten Altmeister der Gewerke sowie die Führer der genannten Körperschaften auf gefordert, sich am 17. Febr. 11^ Uhr Vormittags im königlichen Schlosse cinzufindcn. Die Audienz fand in dem Pfeilersaale des Schlosses statt und wurde durch den Stadtsyndicus Hedemann die Aufstellung der zur An dienz geladenen 91 Personen so bewirkt, daß die Vertreter der berittenen Corps wie der Fabrikarbeiter in einer Reihe und die Innungen drei Mann tief Platz nahmen. Nach der vom StadtsyndicuS Hedemann an das hohe Paar gerichteten Ansprache erfolgte die Vorstellung, wobei der Prinz den Stadtsyndicus aufforderte, nicht mehr als drei zusammen vorzustcllen, da-