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974 Stahl und Eisen. Haarmanns neuestes Buch über das Eisenbahngeleise. 22. Jahrg. Nr. 18. welche wir als unerläfsliche Zugabe einer Eisen- bahnfahrt hinzunehmen gewöhnt sind, thatsächlich beseitigte. Aber es entstanden im Betrieb längs der Fuge zahlreiche Ausbröcklungen, welche eine dröh nende Fahrt veranlafsten und schliefslich eine Aus wechslung nöthig machten. Denn auch hier be- thätigt sich ebenso wie bei den gewöhnlichen Schienenverblattungen der Umstand, dafs die oft stark und unregelmäfsig abgelaufenen Radlauf flächen die Schienenfahrfläche keineswegs gleich- mäfsig berühren, sondern in schnellstem Wechsel bald mehr auf die äufsere, bald mehr auf die innere Schienenhälfte treffen und dadurch abscheerende Bewegungen veranlassen. Indessen diese Keime der Zerstörung innerhalb des Gestänges erwiesen sich noch untergeordneter Natur gegenüber den Mängeln des Langschwellen systems als solchem, welche indessen nicht constructiver Art, sondern in der Wechsel beziehung der Schwelle mit der Bettung zu suchen sind. Dazu kommt noch die leidige Entwässerungsfrage. So mufste das Ideal in den Staub sinken und heute lesen wir in Haar manns Buch den lapidaren Satz: „Die Schwellen frage hat sich dadurch, dafs Langschwellen auf freier Strecke ansscheiden, aufserordentlich ver einfacht.“ Uebrigens ist es sehr interessant, dafs Haarmann schon in jener Sturm- und Drang periode, wo ihn die Langschwelle begeisterte, doch nach der Querschwelle hinüberäugelte; der eisernen natürlich. Vielleicht hatte das Herz dabei weniger Antheil als die kühle Absicht, dem Eisen und Stahl auf alle Fälle ein neues Verwendungsgebiet zu sichern. Indessen, wie es oft so geht, fand man unversehens den goldenen Pantoffel an Aschenbrödels Fufs. Wir meinen damit die Haarmannsche Hakenplatte, zwar ein kleines Zwischenglied beim Geleisebau, welches aber gleichwohl bei der Ausgestaltung des Eisenbahngeleises von weitgehender Bedeu tung geworden ist. Schon jetzt ist eine Geleise länge damit ausgerüstet, welche dem halben Erdumfang gleichkommt. Wir müssen es jedoch dem Leser überlassen, sich diese persönlichen Erinnerungen aus dem ersten und umfangreichsten Abschnitt des Haar- mannschen Buchs zu ergänzen. Derselbe schildert unter der Devise: „Was war?“ alle älteren Geleiseconstructionen von Bedeutung in über sichtlicher, klarer, von nicht weniger als 322 vorzüglichen Abbildungen unterstützten Dar stellung. Gerade dieser mehr geschichtliche Theil mit seinen eingestreuten kritischen Be merkungen und seinen Ausblicken nach rechts und links mufs das Interesse aller Gebildeten in besonderm Mafse fesseln. Der zweite Haupttheil zeigt unserm geistigen Auge das: „Was ist“. Er schildert so sachlich wie möglich; in welcher Weise die mafsgebenden Eisenbahnverwaltungen der Hauptculturländer die Schienenwege ihrer am meisten beanspruchten Linien ausgerüstet haben. Der Verfasser stützt sich dabei weniger auf officielle Berichte und pri vate Mittheilungen, als auf eigene Beobachtungen und Versuche, die, was wohl zu beachten, an voll ständigen, blindlings aus der Strecke genommenen und dem Verfasser zur Verfügung gestellten Geleise stücken mit aller Ruhe und Gründlichkeit vor genommen werden konnten. Die Belagstücke sind dem Osnabrücker Geleisemuseum einverleibt. Sie haben mit allen ihren Einzelheiten innerhalb des Textes eine derartig vollendete und zweck- mäfsige bildliche Wiedergabe gefunden, dafs man durch das Studium dieser Holzschnitte fast unabhängig von den begleitenden Worten wird, ja Dinge und Umstände entdecken kann, die vom Verfasser gar nicht erwähnt wurden. Lehrreich ist der Vergleich der bei den verschiedenen Verwaltungen für erforderlich ge haltenen Aufwendungen an Eisengewicht und Schwellenauflagefläche. So schwankt das Schienen gewicht zwischen 35,40 kg/m (Oesterreichische Staatsbahn) und 52,00 kg/m (Belgische Staats- bahn), die Geleisauflagefläche zwischen 8000qem/m (Oesterreichische Staatsbahn) und 10 000 qem/m (Pennsylvania-Bahn, Amerika). Aehnliche Unter schiede geben sich kund hinsichtlich der An sprüche in Bezug auf Steifigkeit und Wider standsfähigkeit der Schiene. Noch auffallender ist es, dafs in berufenen Kreisen selbst bezüg lich der Abmessung und Form der Schienen fahrfläche sich noch keine allgemein anerkannte Norm eingebürgert hat. Die Lösung einer solchen Frage ist ja auf den Weg der Empirie angewiesen, und es bleiben deshalb, wie der Verfasser mit Recht hervorhebt, auch einseitige Versuche immer verdienstlich. Dennoch hat angesichts der That- sache, dafs im Fernverkehr Wagen der ver schiedensten Bahnen über ein und dieselbe Strecke laufen, ja dafs, bei Licht betrachtet, jedes einzelne Rad infolge ungleichmäfsiger Abnutzung des Laufkranzes seine ihm eigenthümliche Wirkung ausiibt, das Experimentiren mit grofsen Fehler quellen zu rechnen. Erst dann, wenn in Form und Material ein volles Zusammenpassen von Rad und Schiene wirklich erreicht würde, wäre der denkbar geringste Verschleifs beider und damit die höchste Betriebssicherheit und Schonung des Materials gewährleistet. Der Verfasser liefert auch Belege dafür, wie schwierig es selbst für die mit dem Eisenbahn betrieb ständig befafsten Techniker ist, den Ver schleifs des Schienenkopfes lediglich nach dem Augenschein zu beurtheilen. Es ist bei den eingezogenen Auskünften geantwortet, es sei an der Schiene weder Verschleifs noch Bruch ein getreten. Mittels eines Profilographen ist dann aber ermittelt worden, dafs die Abnutzung der betreffenden Schiene während eines fünfjährigen Betriebes in der Nähe der Schienenmitte sich