Volltext Seite (XML)
820 Stahl und Eisen. Eisenindustrie und Schiffbau in Deutschland. 22. Jahrg. Nr. 15. ergebnifs ein und zwar um so mehr, je dicker das betreffende Blech ist. Das kalte Gerade richten und namentlich das Hochkantrichten der windschiefen Stäbe, sei es nun durch den Hammer oder durch die Presse, beeinträchtigt die Ver- suchsresultate in der ungünstigsten Weise, und zwar in erster Linie diejenigen der Zugproben, so dafs die Ergebnisse einer solchen Probe niemals die wirklich in der Platte vorhandenen Qualitätszahlen zum Ausdruck bringen. Um richtige Vergleichszahlen für die Festigkeit und Dehnung zu erhalten, ist es daher nothwendig, die dickeren Probestäbe (10 mm und dicker) in Warmem Zustande gerade zu richten. Die Ab weichungen, welche warm gerichtete (entgegen den auf kaltem Wege ausgebohrten) Probestücke aufweisen, betragen 1 bis 2 kg für die Festig keit weniger, dagegen 2 bis 3 °/o für die Dehnung mehr. Diese geringen Unterschiede werden sofort viel gröfser, wenn man z. B. unter Beobachtung derselben Zubereitungsweise das Verhältnifs des Querschnitts zur Versuchslänge verschieden ge staltet. Bei gleicher Versuchslänge ergiebt der Probestab mit gröfserem Querschnitt eine Mehr dehnung bis 10 %• Bei dem Kaltbiegen pflanzen sich die bereits vorhandenen Anrisse der scharfen Scheerenkante über die Oberfläche fort, und zwar in weit gröfserem Mafse bei härterem als bei weichem Material. Es hiefse den Rahmen meines Vortrages überschreiten, wollte ich alle diese Punkte mehr als andeutungsweise hier streifen; ausdrücklich hervorheben will ich, dafs ich sie aus dem Grunde anzuführen nicht unterlasse, dafs ich von dem Wunsch getragen bin, die Verständigung hierüber zwischen unseren Schiffbauern und Eisenhüttenleuten zu fördern, da eine sach- gemäfse, die Gestehungskosten nicht aufser Ver hältnifs vertheuernde Untersuchung bezw. Prüfung der Qualität gleichmäfsig im Interesse beider Parteien liegt. Aus demselben Grunde will ich auf eine Frage noch zurückkommen, welche in enger Verbindung mit den zu Eingang dieses Capitels gemachten Zusammenstellungen der ver schiedenen Lieferungsvorschriften steht, nämlich die Frage, welche Beschaffenheit das Material besitzen mufs, damit es in bester und zuver lässigster Weise den ihm bestimmten Verwendungs zweck erfüllt. Ich habe oben darauf hingewiesen, dafs in Grofsbritannien ein Material gang und gäbe ist, das bei uns in Deutschland als zu hart für den Zweck angesehen wird, und wenn ich nunmehr in Beantwortung der Frage, ob das härtere oder weichere Material vorzuziehen ist, für das letztere eine Lanze einlege, so könnte es den Anschein gewinnen, als ob dies aus Rücksicht auf die Fabrication geschähe, die, wie wir oben gesehen haben, bei uns das basische Verfahren im Gegen satz zu Grofsbritannien, in dem das saure Ver fahren weit überwiegt, vorzieht. Dafs dies nicht der Fall sein kann, vermag ich durch den Hin weis zu bestätigen, dafs in unseren basisch zu gestellten Oefen ohneSchwierigkeitauch das härtere Material hergestellt werden kann, dafs dies aber zumeist nicht geschieht, weil hier das weichere Ma terial, dessen Erzeugung im sauren Ofen immerhin Schwierigkeiten macht, als das wesentlich bessere, weil zuverlässigere Material angesehen wird. Wo liegt die Grenze zwischen hartem und und weichem Material ? Als Kriterium, ob das selbe der einen oder anderen Kategorie zu zuweisen ist, gilt im allgemeinen die Härtbar keit. Es kann nun keinem Zweifel unterliegen, dafs Material mit einer Zerreifsfestigkeit von 45 bis 46 kg/qmm noch Härtung annimmt, so dafs man gut thut, eine Bruchfestigkeit von nicht mehr als 44 kg als äufserste Grenze nach oben anzunehmen. Will man eine untere Grenze- festsetzen und nimmt dabei den jetzt hier üb lichen Spielraum von 7 kg, so erhielten wir ein Material von 37 bis 44 kg, d. h. ein solches, das, eine entsprechende Dehnung vorausgesetzt, sich bei unseren Land-Eisenbauten durch jahre lange Erfahrung bestens bewährt hat. Ein Schritt nach dieser Richtung ist durch die Ver fügung des Reichs-Marineamts vom 27. November 1896 gethan, indem dadurch für gewisse Profil stahle die Vorschriften von 44 kg Festigkeit und 16 °/o Dehnung in 40 kg und 20 °/ ge- ändert worden sind. Alle Eisenconstructionen sind mehr oder weniger unbestimmten und rechnerisch unbestimmbaren Nebenspannungen ausgesetzt. Diese Spannungs- differenzen und Nebenspannungen können bei härterem Material schon deshalb gefährlich werden, weil eine Menge scharfer Kanten und Querschnitts übergänge, namentlich bei Blechen und Profil- stahlen, ganz besonders aber auch in den Niet verbindungen, nicht zu vermeiden sind. Gefähr lich ist für das härtere Material insbesondere auch die Bearbeitung, bei der trotz aller Vor sicht manchmal Fehler gemacht werden, die aber häufig geradezu in Mifshandlung in warmem oder halbwarmem Zustande behufs Vornahme von Kröpfungen, Schweifsungen u. s. w. über geht. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dafs mail bei dem weicheren Material wesentlich sicherer vor durch falsche Behandlung hervor gerufenen gefährlichen Spannungen als bei härterem ist. Auch unter ganz normalen Verhältnissen kann härteres Material durch das Richten und die fernere Bearbeitung leichter in Gefahr kommen als weiches. Ausklinkungen, die zwar thunlichst selten gemacht werden sollen, die aber doch nicht immer ganz zu vermeiden sind, sind für alle Stahlsorten nicht unbedenklich, bei härterem Material aber geradezu gefährlich. Nicht allein die praktischen Erfahrungen, sondern auch theoretische Erwägungen führen